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Bändchenbinden bei Bon Jovi
Die Mail kam von der Uni: Bon Jovi suche Praktikanten für das Konzert in München. Lohn gebe es keinen, steht in der Beschreibung des Programms "Intern for a day", außer natürlich "hands-on experience", Blicke hinter die Kulissen und Karten für das Stadionkonzert mit mehr als 60.000 Zuschauern. Anne und Claudia haben das Angebot angenommen und für jetzt.de ihren Tag protokolliert:
Endlich Pause: Anne (links) und Claudia, Bon Jovi-Praktikantinnen.
Anne, 11:15 Uhr, Olympiapark – Wo ist das "Loading Dock", an dem wir Praktikanten unsere Chefin Melanie treffen? Die Sicherheitsleute können uns nicht weiterhelfen. Eine Telefonnummer von ihr haben wir nicht. Wir laufen ziellos um das Stadion.
11:25 Uhr – Das Handy klingelt. Melanie ist dran. Sie sucht uns. Wir finden sie. Endlich. Das Praktikum kann losgehen. Bon Jovi-Fan war ich zwar nie, aber neugierig. Wie sieht es aus hinter der Bühne? Wie schnell wird das alles auf- und abgebaut? Arbeiten wirklich so viele Leute dort? Ja, wirklich. 100 Menschen begleiten die Tour als Helfer, sagt Melanie.
Claudia, 11:25 Uhr – "Livin‘ on a Prayer" kann ich mitsingen. "It’s my life" sowieso. "Always" war auf Kuschelrock 13. Das muss reichen an Mitsing-Repertoire. Bon Jovi gibt es in meiner Popmusik-Welt gefühlt irgendwie schon immer. Und obwohl (oder gerade weil?) die Band seit 30 Jahren eigentlich immer gleich klingt, füllt sie nach wie vor Stadien mit Menschenmengen einer mittelgroßen Stadt. Über 60.000 Leute sollen allein heute kommen! Wie werden diese Massen korrekt in die Arena geschleust? Wie wird so ein Mammut-Konzert koordiniert? Jetzt lang darüber zu sinnieren, bleibt mir keine Zeit. Bin spät dran und finde mich auf dem Olympia-Gelände nicht gut zurecht. Dumm: den falschen Fans hinterhergelaufen. Die wollen zu Pink. Die Sängerin gibt heut auch ein Olympia-Konzert, aber in der -Halle, nicht im Stadion. Wo geht’s lang?
11:30 Uhr – Melanie ist Kanadierin und mit 22 Jahren schon Tourmanagerin bei Bon Jovi. Sie redet schnell. "Wie geht‘s euch? Schon gefrühstückt? Ich nicht", sagt sie und läuft los zu einem Zelt hinter dem Stadion. Wir versuchen Schritt zu halten. Im Zelt: Riesiges Frühstücks-Buffet. Ich weiß nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Food-Luxus für die Roadies und Praktikanten. So wird das Umsonst-Arbeiten erträglicher und der Blick hinter die Kulissen lohnt sich gleich mehrfach.
Claudia und ein Berg liebevoll gepackter VIP-Taschen.
11:45 Uhr – Statt Frühstück war nur Zeit für ein paar Süßigkeiten und Wasser. Weiter geht's. Zum Fan-Club, einer von drei Ständen auf dem Olympiagelände, wo es die ganz besonderen Tickets gibt. Keith, ein großer, breiter Typ vom Management, kommt uns entgegen. "Die Trucks müssen ausgeladen werden", sagt er. Wir drehen um. Dass wir viel laufen werden, wurde uns vorher gesagt. Bequeme Schuhe sind deshalb Pflicht.
12:00 Uhr – Roadies holen Kisten mit Tourequipment aus einem Lkw. "Fan Club", "VIP" oder "Europe" steht darauf. "Hier, du nimmst diese", sagt ein Typ mit Walkie-Talkie, schaut mich an und zeigt auf eine kleine Kiste. Er denkt wohl, ich habe keine Kraft in den Armen. Soll mir recht sein, so komme ich nicht ins Schwitzen.
12:00 Uhr – Mein Arbeitsplatz für die nächsten Stunden ist ein blauer Pavillon mit der Aufschrift "VIP Experience". Was zu tun ist? Kartons auspacken. Darin: Taschen, Ponchos, Handtücher, Magazine, Schlüsselbänder, farbenfrohe Plastikplaketten. Letztere sind die wertvollsten Teile hier. Es gibt sie in rund, quadratisch und rautenförmig – alle mit Bildnis des Rockgotts Jon Bon Jovi. Glitzernd steht darauf geschrieben Golden Circle, Hot Seat oder Diamond Circle. Die Plaketten passen zu verschiedenen Tickets und bemächtigen die Fans zu besten Plätzen, exklusivem Merchandise, VIP-Party und früherem Einlass. Aha. Es gilt, Schlüsselbänder an Plaketten zu friemeln und Fan-Pakete zu packen. Das Ganze im Akkord.
12:10 Uhr – Im VIP-Club, dem Partyraum für die Fans mit 400-Euro-Ticket. Wir stellen Plakate auf und sollen die Bilder, die Bon Jovi-Schlagzeuger Tico Torres in seiner Freizeit malt, gut platzieren. "Stellt sie dahin, wo es schön aussieht", sagt Melanie. Ab auf die Theke damit.
12:45 Uhr – Neuer Arbeitsplatz: Stand für Fans mit Golden Circle-Tickets. Sie haben mehr gezahlt, um früher ins Stadion zu kommen. Keith kommt mir entgegen, breit grinsend. "Hey, du sollst mir helfen? Das wird super. Wie heißt du?", sagt er, hebt die Hand zum High Five. Dass wir uns vorhin schon begegnet sind, hat er wohl vergessen. Er drückt mir einen Kasten mit goldenen Bändchen in die Hand. Mein Job: sie den Fans ums Handgelenk wickeln. Die warten hinter dem Absperrgitter schon wie eine Herde darauf, dass das Tor aufgeht.
Auf der nächsten Seite: Unterarm-Overkill und - endlich - der große Moment.
13:20 Uhr – "Immer lächeln. Die Fans mögen es, wenn man eine positive Ausstrahlung hat", hat Keith gesagt. Ich versuche daran zu denken, während ich im Minutentakt die gleichen Fragen beantworte: Wo muss ich hin? Wann geht es weiter? Komme ich wirklich früher rein?
14:00 Uhr – "Golden Circle Fast track" ist das Zauberwort, um ein Bändchen von mir zu bekommen. Wegen der vielen anderen Ticket-Kategorien herrscht Verwirrung. Keiner weiß, wo er sich anstellen soll. Es gibt viele Stände, zu viele. Einige Fans sind davon genervt. Sie haben bis zu 400 Euro für die Tickets bezahlt. Ich habe fast Mitleid.
14:30 Uhr – "Wie geht‘s? Bist du gut drauf? Alles ok?" Keith versucht, mit seiner amerikanisch-positiven Attitüde gute Laune zu verbreiten. Mir knurrt der Magen. Das Essen, das Keith mir gebracht hat, liegt noch verpackt unter dem Tisch. Bisher gab‘s nur Wasser. Zum Trinken ist kaum Zeit. Die Fans wollen ihre Tickets. Sie strahlen uns an, wenn wir ihnen den VIP-Pass geben. "Hach, ich bin so aufgeregt", sagt eine Frau Mitte 30 und hüpft vor dem Stand herum.
15:30 Uhr – Mittlerweile schaue ich kaum noch auf. Ich sehe nur noch Bändchen. Und Unterarme: Behaart, rasiert, mit Armband, mit Uhr, mit Sonnenbrand, mit Tattoo, mit Kratzern.
16:00 Uhr – Ich habe inzwischen 400 VIP-Pakete gepackt und laufe ohne Pause durch die Gegend. Die Fans werden allmählich ungeduldig. Wir sind hier chronisch unterbesetzt. Tourmanagerin Melanie schickt mich los, um Anne zu suchen. Die arbeitet an einem anderen Stand. Vielleicht kann sie uns unterstützen?
16:15 Uhr – Eine Ticket-Klasse höher als Golden-Circle: Ich arbeite jetzt am Diamond-Circle-Stand. Upgrade sozusagen. Erst jetzt merke ich, dass meine Fußsohlen brennen, die Knie schmerzen und ich dringend sitzen muss. Ist aber nur halb so schlimm, denn jetzt arbeite ich mit Claudia zusammen.
16:30 Uhr – Abmarsch Richtung Catering-Zelt. Ankunft im Paradies. Hier wird feinstes Essen aufgetischt. Saltimbocca, Salate mit Spirulina-Algen und Sojasprossen, Kuchen, Obstberge, getrüffeltes Lamm, Minzsuppe, Ingwer-Chili-Cookies. Aaaah! Aus unseren langen werden glückliche Gesichter. Schamloses Mehrfach-Zugreifen inklusive. Cheesecake in der Hand, geht’s wieder zurück zum Arbeitsplatz.
18:17 Uhr – Ein Fan bringt die liebevoll gepackte VIP-Merchandise-Tüte zurück. "Den Krempel brauch ich nicht." Verdattertes Entgegennehmen. Warum fühle ich mich gerade persönlich zurückgewiesen?
19:15 Uhr – Nicht mehr lang bis Konzertbeginn. Fast 62.000 Menschen sind inzwischen im Stadion. Wir Praktikanten zerlegen die Pavillons, bauen Tische ab, zertrampeln leere Kartons. Übriggeblieben VIP-Pässe und Fan-Pakete werden in Kisten verstaut. Die große Versuchung: Bisschen was von dem Zeug mitgehen lassen und draußen verhökern? Feigling geblieben. Einzig ein paar olle Regenponchos landen in der Praktikantentasche. Die stinken allerdings nach Plastik und hinten drauf prangt "Bon Jovi VIP" mit Dolch-durchs-Herz-Logo. Egal. Wird man alles bei Ebay los!
19:45 Uhr – Ab in den "Partyraum" im Stadion. Hier dürfen sich die VIP-Fans aufhalten und ihr besonderes "Treatment" genießen: Es gibt Essenskörbchen für jeden, Drinks und eine Fototapete mit Band-Logo. Aus den Boxen dröhnen Bon-Jovi-Hits in Dauerschleife. Riesen Ansturm auf die Fotowand, vor der die Fans in Roter-Teppich-Manier posieren dürfen. Eine Endvierzigerin mit nietenbesetzter Jeansjacke und Eighties-Bon-Jovi-Gedenkfrise übertreibt es ein bisschen und legt eine Art Luft(Gitarren?!)-Solo hin. Ich muss für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen und die Dame bitten, sich zu beeilen. Da wollen noch andere drankommen. Zack Zack. Im Hintergrund, und von den Fans unbemerkt, läuft der Abbau des "Partyraums" an: Papp-Bandmitglieder wegtragen, Transparente von den Wänden lösen, dallidalli. Die Show fängt gleich an! Mit Richie Sambora unter dem Arm geht’s Richtung Aufzug.
20:00 Uhr – Vor der Bühne: Mein linkes Knie macht sich mit fiesem Pieksen bemerkbar. Ich schaue mich um: überall Fans mit Golden Circle-Armband. Von mir umgebunden. Zum Dank werde ich von einem Fan angemotzt, weil ich meine Tasche vor mich auf den Boden gestellt habe. "Ein Rucksack ist für den Rücken", brüllt mir die Frau ins Ohr. Ich verstehe sie kaum, lächle sie apathisch an und wechsle den Platz.
20:10 Uhr – Wir wuchten Kisten und Container durch die Gegend. Vom Partyraum in den Aufzug, vom Aufzug in die Katakomben des Olympia-Stadions. Draußen geht ein Getose sondergleichen los. Das ist er wohl – der Konzertbeginn. Mist, jetzt haben wir den Auftakt verpasst! Im Skelett des Stadions: unzählige Roadies, Securitys, Menschen ohne sichtbar erkennbaren Auftrag, aber tierisch rührig von A nach Z rennend, immerzu irgendwas in ihr Walkie-Talkie sprechend. Auf einer Zwischenebene springen wir ab, hier geht’s ja raus in die Arena! Geil! Gucken! Das Olympiastadion ist voll. Die Leute müssen sich allerdings noch warmfeiern. Unfassbar: Die Security –Frau am Blockeingang weist uns sogleich zurecht, dass wir hier nicht stehen dürfen. Lässig verweisen wir auf unsere "Bon Jovi – Working"-Aufkleber, die uns doch Pass nach überall sind. Sie lässt uns abblitzen. Boah, peinlich! Die Leute gucken, wir schleichen uns wieder rein. Müssen ja eh noch ein paar Kisten wegbringen.
21:17 Uhr – I WANNA LAAAAAAAAY YOU DOOOOOWN IN A BED OF ROOOOOSES! Epic Poser Stadium Rock it is! Endlich stehen wir im Stadion. Auf den Leinwänden: Rosen! Feuer! Herzen! Explosionen! Jon singt mit geschlossenen Augen, natürlich. Drei Meter entfernt knutscht ein Pärchen hinter der Absperrung. Leider nix mit schnuckeliger Romantik, dafür: Offenes Herumgezüngel der beiden. Rollen da etwa ein paar Tränen? Wir gucken. Und merken: Kuschelrock war doch irgendwie schön.
Text: anne-hemmes - und Claudia Beckschebe; Fotos: Amna Franzke