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„Armes Deutschland“: Wie sich die Regierung im Kampf gegen Rechts ins eigene Bein schießt

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Herr Wagner, Ihre Organisation ist eins der erfolgreichsten Aussteigerprojekte überhaupt. Wie wird Ihre Arbeit angesichts gehäufter Übergriffe durch Rechtsradikale in Zukunft aussehen? Um es kurz zu machen: gar nicht. Die Förderung für mein Projekt endet zum 31. Dezember, und ich habe keinen blassen Schimmer, was die Regierung dazu veranlasst. Was aus den Aussteigern wird, die wir mit Exit betreuen, steht in den Sternen – es ist zum Heulen. Wie kommt es, dass die Förderung von Exit nicht verlängert wird? Das kann ich ihnen genau sagen: Das kommt von der Inkompetenz und dem blinden Aktionismus, der in den zuständigen Ministerien entsteht, wenn mal wieder zu viel Braun in den Nachrichten auftaucht. Dass unsere Förderung nach sechs Jahren ausläuft, war natürlich vereinbart - dass sie aber gerade jetzt, da ein NPD-Verbotsantrag den nächsten jagt, nicht mehr verlängert wird, ist mir vollkommen unbegreiflich. Eine Schweinerei sondergleichen!

Grund des Ärgers von Herrn Wagner ist das neue Bundesprogramm zur Bekämpfung von Rechtsradikalismus, „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus“, welches das vorherige Programm ablösen und verbessern soll. Auf den ersten Blick liest sich das Programm, das ab dem 1. Januar 2007 in Kraft treten soll, Vertrauen erweckend: 19 Millionen Euro Fördermittel für lokale Initiativen, plus weitere fünf Millionen für Strukturprojekte wie Opferberatungsstellen und mobile Beratungsteams. Klingt doch zumindest nach genügend Geld für einen guten Plan. Von wegen! „Strukturprojekt“ hießen wir bei unserer Gründung auch noch. Jetzt, da die Förderung ausläuft, heißt es aber plötzlich: Exit und andere etablierte Projekte, wie zum Beispiel das Anne-Frank-Zentrum Berlin oder Zivilcourage Pirna, seien per Definition keine Strukturprojekte und fallen aus der Förderung raus. Ohne Begründung. Ist mir völlig schleierhaft. Plötzlich ist so viel Geld da, aber die bestehenden Projekte, die ihre Notwendigkeit mehrmals unter Beweis gestellt haben, werden gestrichen. Wir haben in den letzten Jahren über 250 Menschen bei ihrem Ausstieg aus der Naziszene unterstützt. Wir haben gekämpft und für die Politiker einen Drahtseiltanz nach dem anderen hingelegt. Diese Arbeit ist gefährlich - das ist keine Kindertagesstätte, die wir hier laufen haben. Natürlich haben mich NPD und Konsorten auf dem Kieker, die wissen alles über mich. Und jetzt kommt Herr Staatssekretär Kues mit seiner so genannten Strategie und sagt: ‚Exit braucht kein Mensch, im Gegenteil – so was fördert doch nur den Rechtsradikalismus. Den Kampf gegen Rechts kann man auch ohne Exit gewinnen.’ - Meine eigenen Verbündeten treten mir in den Arsch!“ Mit den eigenen Verbündeten meint Wagner die zuständigen Ministerien und deren Staatssekretäre Hermann Kues (Familienministerium) und Kajo Wasserhövel (Arbeitsministerium), die das Programm am vergangenen Dienstag unter heftiger Kritik von Experten vorgestellt haben. Im Zentrum der Kritik: die Vergabe der Etatverwaltung an die Kommunen wegen der dort oft unterschätzten Dringlichkeit von Projektarbeit gegen Rechts, der einseitige Fokus auf die Jugend, die fehlende Einbindung gesellschaftlicher Gruppen wie Polizei, Ordnungskräfte und Behörden. Wie sollte denn Ihrer Meinung nach die Förderung besser gestaltet werden? Zumindest müssten die bewährten Projekte weitergeführt werden. Ob das Geld bei den Kommunen liegt oder sonst wo, ist mir eigentlich vollkommen egal. Die Bundesländer, die jetzt in die Pflicht genommen werden sollen, sind gar nicht bereit das zu tragen. Die sind doch selber arm. Ich habe meinen fünf Mitarbeitern zum 31. Dezember gekündigt, weil ich sie ja selber kaum bezahlen kann. Wir betreuen hier aktuell rund 50 Leute, die nach dem Ende von Exit alleine klar kommen müssen, für die bricht ein wichtiger sozialer Puffer weg. Opfer, Ex-Nazis, Angehörige. Das kann doch nicht der Sinn so einer Reform sein! Die Polizei kann diese Arbeit allein niemals bewältigen. Bei den Seminaren für Bundespolizisten, die ich leite, sagen die Jungs mir selbst, dass sie gegen rechte Gewalt nur einschreiten können. Für den Rest - nachhaltige Betreuung, Opferarbeit, Gesinnungsanalysen und so weiter - brauchen die uns. Mit welchen Argumenten und Maßnahmen wollen Sie die Bundesregierung überzeugen, Exit weiter zu fördern? Mein Antrag auf Projektveränderung wurde bereits abgelehnt. Frau von der Leyen hat von mir eine neue Bewerbung für 2007 auf dem Tisch liegen. Obwohl ich das eigentlich nicht einsehe, denn wir kriegen hier sogar verstärkt Nachfragen aus dem Ausland – ich habe kürzlich einen Vortrag in Tschechien gehalten, aus Korea kommen viele Anfragen, in Kalifornien bedauert man immer noch, keine Organisation wie unsere zu haben. Das wissen die in den Ministerien aber alles. Warum die uns dennoch den Hahn abdrehen, ist mir ein Rätsel. Deshalb hege ich ehrlich gesagt keine großen Hoffnungen mehr, was die Unterstützung seitens der Politik angeht. Ist das also das Ende? Sie geben einfach auf? Nicht ganz. Wir machen jetzt hier unser eigenes staatsbürgerliches Fass auf. Ein Netzwerk jenseits der Politik. Dafür gehe ich jetzt Klinken putzen, kreuz und quer durch Deutschland, um private Unterstützer zu finden. Unsere Teilpatenschaften von Bürgern für Aussteiger zum Beispiel haben immer gut funktioniert und müssen weitergehen, die Opferbetreuung ebenfalls, gar nicht zu reden von Aussteigerinnen aus der rechten Organisationsebene, Müttern mit fünf Kindern zuhause. Das sind wichtige Brennpunkte. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als die absoluten Härtefälle so gut ich kann weiter zu betreuen. Auf eigene Faust. Träumen Sie von der aufgeklärten, engagierten Zivilgesellschaft? Ach wissen Sie, den Begriff „Zivilgesellschaft“ kann ich echt nicht mehr hören. Das ist nur wieder so eine Hülse, mit der sich Politiker in Gutmenschlichkeit suhlen, während sie ihr Land zugunsten einer bequemen Reformwillkür vor die Hunde gehen lassen. Armes Deutschland! Foto: Exit

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