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Anyone can play guitar

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Wie oft im Leben bekommt man die Gelegenheit, Eddie Van Halen zu sein? An Fasching vielleicht. Man setzt sich die Tantenperücke auf, zieht die Leggings in der schwer benennbaren Farbe an und den Tiger-Blazer über. Fertig ist der Eddie oder zumindest seine ästhetische Kopie. Will man sich in den berühmten Gitarristen aus Los Angeles hineinfühlen und annähernd spüren, welchen Wahnsinn er sich Ende der Siebziger auf der Gitarre überlegen konnte, spielt man Guitar Hero: Van Halen. Das Spiel wirbt mit 25 Songs der Band inklusive "3 Signature Eddie Van Halen Guitar Solos". Ohne eine Minute beim Gitarrenlehrer gewesen zu sein, greift man sich die kleine Kunststoffklampfe, statt in die Saiten haut man auf bunte Knöpfe – schnell muss das gehen – und auch am Jaulhebel, den Eddie nicht hätte missen wollen, wird oft gezogen. We can be heroes, just for one game. Was für David Bowie früher wie Zukunftsmusik geklungen hätte, ist binnen kürzester Zeit zum Oldie ernannt worden.


Sich auf eine Bühne beamen zu können ist doch reizvoller als in einen staubigen Kriegsschauplatz, oder?

In einer Pressemitteilung des Spieleherstellers Activision Blizzard wurde am Mittwoch das Ende von Guitar Hero verkündet: "The company will disband Activision Publishing's Guitar Hero business unit and discontinue development on its Guitar Hero game for 2011." Vor sechs Jahren kam Guitar Hero auf den Markt. Activision sicherte sich damals die Rechte vom Entwickler Harmonix für 100 Millionen Dollar. Letztlich Peanuts, denn Guitar Hero erwuchs zu einem Milliardengeschäft. Ein Auszug aus dem Repertoire: Legends of Rock, World Tour, Decades, Smash Hits, Modern Hits, Band-Specials mit Liedern von Aerosmith, Metallica und den bereits erwähnten Van Halen. Die Liste endet mit dem im Herbst letztens Jahres herausgebrachten Warriors of Rock, die wohl letzte Guitar Hero-Variation.

Leider hat die Knarre die Klampfe aus Plastik abgelöst. Activision Blizzard will sich ab sofort vor allem auf das Kampfspiel Call of Duty konzentrieren. Aber ist es nicht viel schöner, vor dem Bildschirm die Hüfte mehr oder weniger rhythmisch zu schwingen, als hypnotisch in eine bedrohliche Pixellandschaft zu ballern? Sich auf eine Bühne beamen zu können ist doch reizvoller als in einen staubigen Kriegsschauplatz, oder? Die Absatzzahlen von Guitar Hero sprechen dagegen. Dabei spiegelt dieses Videospiel das grundsätzliche Bedürfnis des Menschen, seine Vorbilder zu imitieren. Es ist die in Plastik gepresste Luftgitarre. Das erinnert an die Grundschule, als man auf dem Schulhof die akrobatischen Kampfchoreografien der Power Rangers nachgespielt hat. Das war auf dem Bolzplatz so, als man sich an Ronaldinhos Tricks versucht hat. Das ist immer noch so, wenn die Indie-Hipster ihre Morrissey-Tollen zurechtkämmen. Guitar Hero war außerdem ein Ausdruck der Gleichheit wie der Losung "Mach es selbst": Auch derjenige, der sonst nicht im Takt zu "Wonderwall" klatschen konnte, bekam die Chance, einmal bei Oasis mitzuspielen.

Vielleicht besteht im Ende von Guitar Hero ja eine Hoffnung für die vergessene Gilde der Gitarrenbauer. Ganz abwegig ist es doch nicht, von dem Druckknopfgitärrchen auf ein elektrisches Modell mit echten Stahlsaiten umzusteigen. Hier hat man natürlich nicht so schnell ein vergleichbares Erfolgserlebnis. Van Halen ist dann der Name eines Berges, für dessen Besteigung man vorher Stunden in schäbigen Kletterhallen verbracht haben muss. Zu viel Aufwand für die Aussicht? Wahrscheinlich bleibt die Hoffnung auf steigende Zahlen im Nachwuchsgitarristen-Sektor unerfüllt, denn der Trend geht in eine andere Richtung: Tanzen. Systeme, die die Körperbewegungen des Spielers mit einer Kamera erfassen und im Spiel abbilden können, verkauften sich im Weihnachtsgeschäft schon gut und sind das Next Big Thing unter den Videospielen.

Dass Guitar Hero letztlich nicht bloß ein Produkt ist, das sich immer schlechter verkauft, sondern ein Kultobjekt, das seinen Platz in der Popkultur schon gefunden hat, zeigt sich beispielhaft in Sophia Coppolas jüngstem Film Somewhere. Der Protagonist Johnny Marco verbringt darin einige der wenigen glücklichen Momente an der Konsole, zusammen mit seiner Tochter Cleo. Ob Guitar Hero den Stellenwert eines Game Boys unserer Zeit einnehmen wird, wird sich zeigen. Vielleicht sprechen wir eines Tages ja in einem so nostalgisch aufgeladenen Ton, wie unsere Väter, wenn es um die Vinylplatte geht, und zeigen unseren Enkeln, die sich längst telepathisch zum Videospielen verabreden, die angestaubte SG aus Plastik mit den Knöpfen drauf – ein tragischer Held in verblichenen Regenbogenfarben.

Text: jurek-skrobala - Bilder: Activision

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