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An der Theke mit dem Kneipenhorst

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Vier Herrengedecke und drei Asbach Hütchen. So viel verträgt der Kneipenhorst. Trinkt er mehr, muss ihn seine Frau Maritta aus der Kneipe abholen. Der Kneipenhorst ist 62 Jahre alt, hört gerne Musik von Helene Fischer und Michael Wendler und ist mit mehr als 1300 Facebook-Freunden in Mainz ein kleiner Star. Und das, obwohl es ihn gar nicht gibt.  

Eigentlich war der Kneipenhorst eine Schnapsidee von Daniel Sieben, 32, und Kris Braun, 30. Vorbild war ein Typ, der immer in Mainzer Kaschemmen herumhing und den die beiden Kneipenhorst getauft hatten. Weil er immer da war, viel trank und aussah, als würde er Horst heißen – was immer das bedeutet. Eines Abends in einer Bar wurde aus dem Namen eine Geschäftsidee: Warum gibt es eigentlich kein Bonusheft für Eckkneipen, fragten sich Daniel und Kris? Mit dem es immer das zweite Bier oder das zweite Herrengedeck – ein Pils und einen Korn – umsonst gibt?  

Eine Marktlücke, fanden sie. Sie beschlossen, sie zu schließen. Die Grundlagen waren da: Daniel ist einer der Macher des Gutscheinbuchs Luups, mit dem es in über 20 Städten Ermäßigungen in Restaurants, Bars und Kultureinrichtungen gibt. Kris hat mit einem Freund ein Unternehmen gegründet, das Internet-Erklärfilme für Senioren produziert.  

Ihre ersten Schritte waren deshalb logischerweise eine Website und das Facebook-Profil des Kneipenhorsts. 2012 gab es die ersten Posts im „Onkelsprech“, wie Kris es nennt, voll mit Wörtern wie Schmackofatz und Tschüssikowski. Jeder Post ist durchdacht, jeder Fehler Absicht. Deshalb stehen hinter Ausrufezeichen oft ein paar Einser, schließlich ist der Horst im Gegensatz zu seinen „Enkeln“ kein Digital Native. „Wir posten so, wie Horst posten würde, wenn er bei Facebook wäre“, sagt Kris.  

Die Strategie kam an: „Wer ist eigentlich dieser Kneipenhorst?“, fragten sich viele Studenten. Grund dafür waren erste Appetithappen, die neugierig machten, ohne dass irgendjemand wusste, was dahinter steckte. An den Straßenlaternen klebten orange Sticker, wer etwas auf sich hielt, öffnete sein Bier mit einem Feuerzeug, auf dem Kneipenhorst.de stand. Um das Merchandising hatten sich Daniel und Kris nämlich zuerst gekümmert. „Viele haben den Horst schon liebgewonnen, als es das Heft noch gar nicht gab“, sagt Kris. „Die Leute mögen ihn, als wäre er echt.“  

Eine wichtige Komponente fehlte aber noch: die Kneipen. Wochenlang tingelten Daniel und Kris durch kleine Kaschemmen, tranken ein Bier nach dem anderen und überzeugten die Wirte davon, bei ihrem Bonusheft mitzumachen. Die Akquise war nicht einfach. Wenn zwei Typen wie Daniel und Kris – beide knapp zwei Meter groß und in Kapuzenpulli und Sneakers unterwegs – eine düstere Raucherkneipe betreten, verstummen die Gespräche. Die Wirte waren zunächst skeptisch: Auf einmal sollten sie zwei dahergelaufenen Jungs Geld dafür zahlen, dass sie ihre Lokal in einen noch nicht existierenden Kneipenführer aufnehmen. Und dann sollten die Wirte auch noch ein zweites Bier umsonst an diejenigen ausschenken, die mit dem Gutscheinheft auftauchten – für viele ein ungewohntes Konzept. „Einige fürchteten eine studentischen Invasion“, erinnert sich Daniel. Die meisten ließen sich aber überzeugen. In der aktuellen Ausgabe des Kneipenhorst-Heftes sind 34 Eckkneipen und Imbissstuben, mit Namen wie „Bierbumb“, „Zum Stolpereck“ oder „Bei Helga“.  

Bei Helga

Einer der ersten Wirte, der zusagte, war Scholly, der Besitzer der Kneipe „Zum Heringsbrunnen“. „Ich mag die Art, wie die das aufziehen“, sagt Scholly in breitem Meinzerisch, „mit so viel Euphorie und Frische.“ Für ihn ist das Bonusheft eine neue Möglichkeit, Kunden zu gewinnen und an den Laden zu binden. Erst vergangenes Wochenende hat ein Mann um die 60 zwei Gutscheinhefte bei ihm gekauft – eins für sich, eins für seine Frau. Von 100 Leuten, die mit dem Kneipenhorst zu Scholly kommen, kehren etwa fünf auch ohne zurück, schätzt er. „Ich denke da langfristig. Mal ein Bier aufs Haus, das tut ja schließlich keinem weh.“ Und aus manchen Kneipenhorst-Besuchern sind auch schon Stammkunden geworden.  

Vor allem bei den Studenten in Mainz kommt der Kneipenhorst gut an. Gerrit zum Beispiel ist abends öfter in der „Helga“, seit er das Bonusheft zum ersten Mal gekauft hat. „In Großbritannien ist der Pub ein gesellschaftliches Zentrum, hier ist es eher verpönt, in die Eckklause zu gehen.“ Deshalb fand er die Idee vom Bonusheft von Anfang an „super“, sagt er. Max vermisst den Kneipenhorst sogar an seinem neuen Wohnort: „Es wäre schön, wenn es sowas auch in Stuttgart gäbe.“  

Dabei sitzen in Eckkneipen normalerweise keine Studenten, sondern Stammkunden: meist ältere Männer, die schon seit Jahren in „ihren“ Laden kommen, am Tresen Bier trinken und mit dem Wirt per du sind. Junge Leute trauen sich nur selten, in dieses geschlossene System hereinzuplatzen. An vielen Kneipen laufen sie vorbei - und bleiben draußen. Gehen sie doch einmal hinein, dann oft in kleinen Gruppen, wenn sich alle schon ein wenig Mut angetrunken haben. Denn diese Kneipen üben eine Faszination aus - gerade weil sie anders sind als die Bars, in die der Durchschnittsstudent so geht. Sie sind ein Erlebnis, weil sie ein Ort sind, an dem man in eine andere Welt eintaucht. Manchmal schwingt ein ironischer Unterton mit beim Besuch einer eher schäbigen Kaschemme, oder sogar eine zweifelhafte Neugier auf die fertigen Typen, die man klischeehaft dort erwartet und die dort leider oft auch sitzen.   

Das war es auch, was Daniel und Kris an den Mainzer Eckkneipen gefallen hat – und was sie gerne in andere Städte tragen würden. Sie könnten sich gut vorstellen, mit dem Kneipenhorst zu expandieren – allerdings bräuchten sie dafür Leute, die die Arbeit in den anderen Städten übernehmen. Selbst in Mainz haben sie es nicht alleine geschafft, im Team sind mittlerweile noch zwei Freunde von ihnen.  

Das Kneipenhorst-Team (von links): Marc Distel, Simone Gemmer, Daniel Sieben, Kris Braun

Finanziell gesehen lohnt sich der Kneipenhorst für die vier nicht. Pro Jahr gibt jeder Wirt 40 Euro und wer das Heft kaufen möchte, muss neun Euro bezahlen. Das deckt nur die Fixkosten. Der Stundenlohn des Teams wird auf das Jahr gerechnet weniger als zehn Cent betragen, trotz etwa 2000 verkaufter Hefte. „Das ist nur ein nettes Nebenprojekt“, sagt Daniel „Wir wollen die Kneipen bekannter machen und ihnen helfen. Wir betreiben quasi Kneipenmarketing.“ Und es ist ein Modellprojekt. Die Jungunternehmer wollen damit Marketingstrategien lernen, für künftige Projekte. Die können dann auch gern Geld abwerfen. Ideen haben sie genug: Schon jetzt gibt es ein Kneipenhorst-Fußballteam, organisierte Kneipentouren und Partys im Eckkneipenstil. Ein Kneipenhorst-Quartett ist in Arbeit – mit Rubriken wie Thekenlänge, Thekenerfahrung des Wirts und dem Preis für einen Vollrausch (17,60 Euro in der billigsten Kneipe, dem Rhabanus-Eck – dafür gibt es vier Herrengedecke und drei Asbach Hütchen).  

Und dann wäre da noch das Fernziel, der Angstgegner, wie die beiden es nennen: „Eine eigene Kneipe, das wäre schon toll“, sagt Kris. „Aber wir wissen wir jetzt, was da alles mit dranhängt. Das dauert, bis wir uns das trauen.“ Doch wenn es dann soweit ist, wird einer sicher per Facebook für sie werben: Der Kneipenhorst.

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