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Alles schläft, einsam wacht

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„Elektro kann ich ausblenden“: Miriam lernt im Club


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Miriam, Lehramtsstudentin in Würzburg, arbeitet im Club „Posthalle“

Gerade läuft Booka Shade, das ist so gar nicht meine Richtung, das kann ich gut ausblenden. Bei Wir sind Helden oder etwas anderem, das mir gefällt, würde ich mir nichts zum Lernen mitnehmen. Aber so Elektrokram und die „Deutsche Geschichte der Frühen Neuzeit“ aus der Beckschen Reihe passen gut. In der Garderobe kann ich mich wenigstens gut hinsetzen. Und ich sollte wirklich mal mit dem Lernen fürs Staatsexamen anfangen, im Oktober muss ich in Deutsch und Geschichte ran. Solange es nur um Grundlagen geht, nervt mich der Krach im Hintergrund nicht. Gäste, die mal eben Kippen aus ihren Jacken holen, wollen allerdings oft wissen, was ich da denn lese. Ein Buch im Club ist eben doch ein Fremdkörper.

Ich arbeite in der „Posthalle“ auch hinter der Theke, da hat man aber nie seine Ruhe. In der Garderobe muss ich zwischen zehn und sechs zwei Stoßzeiten abarbeiten, ansonsten stehe ich auf Abruf bereit. Zugegeben: Die freie Zeit nutze ich nicht nur zum Lernen. Ich spiele auch mal „Quizduell“ und wenn wir zu mehreren sind, quatschen wir sowieso. Am liebsten vergleichen wir dann unsere Tattoos. Viele von uns „Thekenkräften“ lassen sich die Tattoos nämlich bei der gleichen Tätowiererin stechen. Wenn ein neues dazugekommen ist, wollen wir das gleich sehen


„Es hatte etwas von einer Seifenoper“: Toni* verliebte sich im Hotel


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Toni, angehende Hotelfachwirtin aus Hamburg, hat als Rezeptionistin gearbeitet                 

Ich hatte den letzten Zug nach Hause verpasst. Damals war ich gerade erst nach Hamburg gezogen und wusste als ehemaliges Landei noch nicht, dass die ganze Nacht über Busse fahren. Die Hotels, in denen ich als Rezeptionistin gejobbt habe, lagen alle in der Bahnhofsgegend. Eigentlich habe ich gerne dort gearbeitet. In den Spätschichten checkte zwar nur selten ein Gast ein, aber dafür waren die Kollegen supernett. Ab und zu bin ich nach Feierabend noch dageblieben und habe eine Runde mit den Nachtportiers geschnackt, die übernahmen immer so ab elf. Daniel* kannte ich also schon.

Er war mir erst gar nicht groß aufgefallen, aber als ich den Zug verpasst habe, hat er mir gezeigt, wie man im Hotelsystem Mails verschickt. Später hat er gefragt, ob wir vielleicht einen Film zusammen schauen wollen. Ja, warum nicht? Den Film haben wir dann auf seinem Laptop angeguckt, den er wie die meisten Nachtportiers mithatte – die hatten ja noch mehr Freizeit als wir. Daniel und ich haben uns dann ganz gut verstanden. Zwei Tage später habe ich gemerkt, dass ich etwas für ihn empfinde. Daniel war Mitte dreißig, sehr sportlich, man konnte gut mit ihm über Gott und die Welt reden. Er wusste eben genau, wie man eine Frau um den Finger wickelt. Wir haben uns noch öfter getroffen.

Drei Monate hat unsere Affäre gedauert, dann hat er Schluss gemacht. Er sagte, er hätte sich verliebt – und zwar ausgerechnet in die eingebildete Kollegin, die ich sowieso noch nie ausstehen konnte. Die beiden sind schnell zusammengezogen, waren dann das Traumpaar im Hotel. Das war ganz schrecklich für mich. Irgendwann kam er dann an und meinte, ihm sei alles viel zu schnell gegangen. Aber nach außen spielte er „große Liebe“. Es hatte wirklich etwas von einer Seifenoper. Zwei Jahre ist das mittlerweile her. Meine Ausbildung zur Hotelfachwirtin mache ich in einem anderen Hotel.

*Name von der Redaktion geändert



„Manchmal bin ich auf zehn Seiten pro Nacht gekommen“: Björn schrieb einen Krimi in der Kaserne

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Björn, Entwicklungsingenieur aus Aalen, hat seinen Wehrdienst im fränkischen Hammelburg gemacht

Als Wachsoldat war ich wenig produktiv, aber als Gefreiter vom Dienst bin ich schon mal auf zehn DIN A4-Seiten pro Schicht gekommen. Ich habe im Grundwehrdienst in der Nähe der Kaserne gewohnt und war oft in Nachtschichten eingeteilt. Als Gefreiter vom Dienst geht man zwar Streife, aber man läuft nur im und um das eigene Gebäude herum, überwacht nachts den Eingang und behält die Waffenkammer im Auge. Meistens lag die direkt gegenüber vom Posten. Vor allem an den Wochenenden, an denen die anderen heimgefahren waren, war das ein Kampf gegen die Müdigkeit. Aber ich hatte endlich Zeit zu schreiben.

Kurzgeschichten und Gedichte hatte ich schon früher verfasst, als Bundeswehrsoldat habe ich hauptsächlich an einem Krimi gearbeitet. Nachts herrschte dort immer eine angespannte Stimmung. Eigentlich total still, aber man war ja darauf fixiert, dass jederzeit etwas hätte passieren können. Die Atmosphäre in der Geschichte war dann ähnlich düster wie die Nächte, in denen ich sie schrieb. Es geht darin übrigens um einen ehemaligen, mittlerweile wahnsinnigen Geistlichen, der glaubt, über Ritualmorde Menschen wieder auferstehen zu lassen, was Kommissar Jansen zum Glück verhindern kann.

Mir war in der Kaserne langweilig und am Text zu arbeiten, war mir lieber, als mich ein oder zwei Stunden schlafen zu legen. Meine Kollegen haben in der Nacht ferngeschaut oder auf der Play Station Portable gezockt, die war damals gerade neu. Ich glaube, jeder war mit sich beschäftigt, da hat sich wohl keiner richtig für meinen Krimi interessiert. Auch die Unteroffiziere vom Dienst und Wachleiter, die gleichzeitig Schicht hatten, haben mich einfach machen lassen.

Später habe ich den Text auf ein Webportal gestellt und positive Kommentare bekommen. Die zwei Thriller, die ich später in einem kleinen Verlag veröffentlicht habe, konnte ich trotzdem erst als Student schreiben. Ich habe Mechatronik mit Schwerpunkt Medizintechnik und Biomechanik studiert und alles, was ich dabei gelernt habe, hat die Geschichten wissenschaftlich noch einmal aufgepeppt. Den Büchern merkt man an, dass sie fachlich korrekt und plausibel sind. Mein erster Krimi war doch noch ziemlich abstrus.



„Ich habe so einen Deutschrockstil“: Sven spielt im Wachhäuschen Gitarre

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Sven aus Fulda ist Wachmann bei einem Zeitungsverlag

Überprüfen, ob alle Feuerschutztüren im Gebäude geschlossen sind, checken, ob die Lichter auch auf den Toiletten ausgeschaltet sind, manchmal lasse ich auch einen Redakteur rein, der seine Chipkarte vergessen hat – mehr ist es eigentlich nicht. Als Wachmann bin ich dafür verantwortlich, dass zwischen 22 und 6 Uhr früh niemand Unbefugtes auf das Firmengelände kommt. Einmal hat sich ein Betrunkener auf dem Gelände verirrt, da habe ich die Polizei gerufen. Meistens sitze ich aber im Wächterhäuschen, habe viel freie Zeit und darf nicht einschlafen.

Zum Glück hat mir meine Frau zum Geburtstag eine Gitarre geschenkt. Ich könnte in der Wachzeit auch Fernsehen oder lesen, aber davon wird man halt müde. Und eigentlich bin ich froh, wenn ich einmal wieder zum Üben komme. Ich bringe zum Nachtdienst immer mein Anleitungsbuch mit und versuche, mir die Griffe selbst beizubringen. Dazu singe ich. Ich habe so einen Deutschrockstil. Peter Maffay oder Drafi Deutscher mag ich, aber auch von ,Mendocino‘ habe ich die Noten hier. Mein Favorit ist „Dünne“, da läuft die Musik von Marius Müller-Westernhagens „Dicke“. Dazu habe ich einen Text geschrieben, in dem es um die Nachteile vom Dünnsein geht. Ich habe den Song meiner Tochter vorgespielt, die magersüchtig ist. Sie war dann sehr betroffen.

Die Zeitungsausträger, die gegen zwölf Uhr ihre Stapel abholen, grinsen eher, wenn sie mich mal wieder beim Üben ertappen. Bei denen habe ich schon einen Spitznamen. Ich ,heiße‘ Lucius, wie der Sänger von Truck Stop. Auch mein Chef lacht mittlerweile, wenn er die Gitarre sieht und eine Kollegin sagt mir voraus, dass ich noch einmal berühmt werde. Dass es je dazu kommt, glaube ich nicht. Denn spätestens nach eineinhalb Stunden ist Schluss mit Solokonzert: Dann tun mir nämlich die Finger weh – und ich muss doch wieder Kreuzworträtsel lösen.



Text: therese-meitinger - Illustrationen: Sarah Unterhitzenberger

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