Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Alles nur geklaut!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Made In Germany“ gilt noch immer als Qualitätssiegel. Das Problem ist nur: Oft stimmt dieser Herstellerhinweis nicht so wirklich. Zumindest wenn man es genau nimmt. Produkte, Trends und Dienstleistungen, die uns als Neuheiten und Innovationen verkauft werden, sind allzu oft zuerst in den USA erdacht, gebaut oder veröffentlicht worden. Leute im Allgemeinen und Industrievertreter im Besonderen, die immer auf China schimpfen, weil dort Patente und Urheberrechte genau wie die Menschenrechte nichts gelten, merken bei einem kurzen Rundgang durch die Regale der deutschen Internet- und Unterhaltungsbranche: Alles nur geklaut! Wir leben selbst im Land der Fälscher. Weil auch die lautesten Trends nicht mit Überschall-Geschwindigkeit unterwegs sind und etwa zwei Jahre brauchen, um den Atlantik und den kulturellen Graben zu überwinden, haben clevere Geschäftsmänner genügend Zeit, um erfolgreiche Konzepte zu lokalisieren, analysieren und reproduzieren. Das ist nicht einmal illegal. Ein schönes Beispiel für diese Erfolgspraxis ist die deutsche Internet-Business-Gemeinde „OpenBC“, bei der Mitglieder ihr Profil ins Netz stellen und auf einen Headhunter warten. Drei Jahre nach Gründung hat das Portal 1,5 Millionen Nutzer, 2005 sechs Millionen Euro Umsatz gemacht und geht nun an die Börse. Das Erfolgsrezept hatten sich die Macher wohl von amerikanischen Business-Communities wie LinkedIn abgeschaut, die in den USA bereits seit fünf Jahren online sind und acht Millionen Mitglieder aufweisen können. Vielleicht ist das so, als würde ein Musiker eine Cover-Version eines populären Liedes aufnehmen. Melodie und Struktur bleiben gleich, aber die deutschen Unternehmer übersetzen den Text und interpretieren ihn gemäß deutscher Eigenheiten. jetzt.de hat die dreistesten, tollsten und erfolgreichsten US-Abklatsche der letzten Jahre zusammengestellt.

Das Video-Portal Das Original: Mit YouTube lernten die Bilder das Fliegen im Netz. Jeden Tag werden auf der, Anfang 2005 gestarteten, Seite mehr als 60 000 neue Videos hoch geladen, 20 Millionen Menschen schauen jeden Monat vorbei, und gucken sich jeden Tag mehr als 100 Millionen Videos an. YouTube ist - wie MTV zu Beginn der 80er Jahre - eine Hype-Maschine, die mit dem Schlachtruf „Broadcast Yourself“ Stars einer neuen Art hervor bringt. Mit dem „Star Wars Kid“ oder „lonelygirl15“ ist die Kulturindustrie endgültig ins Netz umgezogen. Google war diese Erkenntnis vor einigen Wochen 1,6 Milliarden Dollar wert. Die Fälschung: Mit Clipfish startete im Sommer 2006 der deutsche YouTube-Klon. Nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass der Fernsehsender RTL hinter dem Projekt steckt. Ob das dem authentischen Image, von dem die Web 2.0-Graswurzel-Projekte vor allem leben, geschadet hat, lässt sich noch nicht sagen. Das wurde daraus: YouTube hat auf dem Internet-Videomarkt einen Anteil von 45 Prozent. Google Video belegt mit 23 Prozent den zweiten Platz. Clipfish kann nur einen Bruchteil der Nutzerzahlen aufweisen. Dass die Firma permanent Talent-Wettbewerbe und Themen-Aufrufe startet, spricht dafür, dass die Nutzer freiwillig nicht genügend Trash einsenden.


Die Listen-Bücher

Das Original: Der Londoner Grafiker und Fotograf Ben Schott verschickte zu Weihnachten 2001 eine smart-schmucke Sammlung von Trivialwissen und Anekdoten an seine Bekannten. Ein paar Monate später war aus Informationen wie „Was gab es am 14. April 1912 auf der „Titanic“ zu essen?“ und „Welche Luftgeschwindigkeit kann ein Husten erreichen?“ ein globaler Bestseller geworden. Der Charme des Zweckfreien machte das Buch zum perfekten Geschenk, oder, wie manche meinten, zur perfekten Klolektüre. Schott kopierte sich später selbst und brachte noch Kompendien über Essen und Sport heraus. Die Fälschung: „Dr. Androwitschs Kleines Universal-Handbuch“ ist nur eines von vielen Listen-Büchern. Hier erklärt der allwissende Autor wie man eine Tischordnung aufstellt, den perfekten Papierflieger baut oder was man beachten muss, sollte man einer Sphinx begegnen. Das Genre „Listen-Buch“ hat viele Exemplare aufzuweisen, wie das „Große Buch der Listen“ oder „Zahlen bitte“. Das Jugendmagazin Neon hat eine eigene Rubrik „Unnützes Wissen“ eingeführt. Das wurde daraus: Landete „Schott’s Sammelsurium“ 2005 noch auf Platz acht der Jahres-Bestseller-Liste, ist der Hype mittlerweile doch merklich abgeklungen. Manchmal kommen die Plagiatoren eben einfach zu spät. Den Erfolg von Schott konnte keiner der Klone erreichen. Und für das Weihnachtsgeschäft 2006 findet sich bestimmt ein neuer Trend. Das Rock-Girl

Das Original: Süßes Mädchen, circa Teenager, ein bisschen traurig und so richtig wütend auf alles, zieht sich betont schlampig an und kauft sich eine Stromgitarre. Archetypen gibt es gleich mehrere: Avril Lavigne, Ashlee Simpson, Kelly Osborne, Emily the Strange. Die Fälschung: Nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ schmeißt sich die Allround-Image-Maschine Jeanette Biedermann in ein Lederoutfit und „röhrt“ über wilde Zeiten mit wilden Männern. Schuljungsbands suchen sich Schulmädchensängerinnen und machen weiter wie immer, geben sich aber romantisch-feminine Namen wie Juli oder Silbermond. Das wurde draus: Die Rettung für alle unangepassten Teenagerinnen, denen echtes Saufen und Kotzen einfach zu hart ist, die aber trotzdem gerne mal die Rebellin in sich freilassen wollen. Schließlich kann man auch ohne Drogen und Motorrad Spaß haben. Möglicherweise aus 80er-Nostalgie fahren aktuelle Rocksängerinnen in Deutschland oft Nenas genölten Vokalausdruck auf.


Der Ego-Shooter

Das Original: „Doom“, das Videospiel mit dem weltweit übelsten Ruf. Wird für die zunehmende Verrohung der Jugend verantwortlich gemacht. Auch deshalb ist das Videospiel, das die Softwarefirma ID 1993 zum ersten Mal heraus gab, wohl eines der berühmtesten Spiele aller Zeiten. Mittlerweile kämpfen die heldenhaften GIs in der dritten Folge gegen Außerirdische oder Dämonen oder teuflische Aliens. Weil ID mit „Doom“ neue Standards in Sachen Geschwindigkeit oder 3-D-Grafik setzte, gilt das Spiel als Begründer des Ego-Shooter-Genres. Die Fälschung: „Farcry“, Produkt der Coburger Firma „Crytek“. Wurde 2004 von den Brüdern Cevat, Avni und Faruk Yerli gegründet. Zusammen haben die Jung-Unternehmer die so genannte „Cry-Engine“ entwickelt, die in der Spieler-Szene für ihre brillante Grafik bekannt ist. In „Farcry“ kämpft der Spieler gegen Söldner und genmutierte Super-Kämpfer auf einer pazifischen Insel. Das wurde daraus: „Crytek“ ist eine der wenigen Erfolgsgeschichten auf dem deutschen Computer-Spiel-Markt und hat mittlerweile 150 Mitarbeiter. Der Farcry-Nachfolger „Crysis“ ist mit 17 Millionen Euro Produktionskosten ein Produkt im Blockbuster-Format. Bill Gates verwendete kürzlich eine Demoversion des Spiels bei einer Windows-Vista-Präsentation und meinte trocken: „Cool Game“. Wohl ein Ritterschlag. Die Casting-Show

Das Original: 15 Minuten Ruhm für jeden. Die oft bemühte Andy-Warhol-Prognose bewahrheitet sich neben dem zur Gewöhnlichkeit verkommenen Nachmittags-Talk in Castingshows wie der Gesangstalentsuche „American Idol“. Am Ende bekommt die Fernsehnation als Belohnung fürs Zuschauen neue Stars, und die Industrie hat die Möglichkeit von der ersten Sekunde auf das richtige Pferd zu setzen. Die Fälschung: Deutsche Popstar-Castings wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Popstars“ bieten ein breites Spektrum an talentfreien Selbstdarstellern mit einem gesunden Maß an Selbstüberschätzung. Das wurde draus: Mit dem schadenfrohen Voyeurismus des Fernsehpublikums ließ sich so viel Geld verdienen, dass längst weitere Castingkonzepte erfunden oder in den USA abgeschaut wurden. Mittlerweile schlittern „Stars auf Eis“, andere Sendungen behaupten „You Can Dance“ und Deutschland sucht – nachdem es sein „Next Top Model“ gefunden hat – inzwischen den „Top Dog“, denn auch Hunde und abgemagerte Mädchen haben Peinlichkeitspotenzial.


Das Online-Auktionshaus

Das Original: Ebay. Wurde 1995 von Pierre Omydar in San José gegründet. Hat heute mehr als 20 Millionen Mitglieder, und ist vom Flohmarkt zur einer basisdemokratischen „Mall“ geworden, in der sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen ihre Produkte anbieten. Durch kontinuierliche Zukäufe wurde Ebay zum Marktführer im Bereich Online-Handel und macht 1,5 Milliarden Dollar Umsatz. Die Fälschung: Vier Jahre nach Ebay gründeten die Berliner Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer das Auktionsportal „Alando“. Es war die Hochzeit des Internet-Hypes und eine gute Zeit für Startups. Alando hatte eine ähnliche Struktur wie Ebay und hatte nach kurzer Zeit den deutschen Markt erobert. Das wurde daraus: Nur ein paar Monate nach der Gründung von Alando verkaufen die Samwer-Brüder ihr Unternehmen für 43 Millionen Dollar an Ebay – die dadurch in den deutschen Markt einsteigen. Die Samwers gründeten später Jamba und sind als Risikokapitalgeber für Internet-Startups aktiv. Gangster-Rap

Das ist das Original: Schlimme Jungs mit Einschusslöchern und Knasterfahrung rappen von der Krux mit der amerikanischen Gesellschaft, die sie zuerst in die Illegalität getrieben hat und nun als böse Buben stigmatisiert. Die Interpreten sind straßenerfahrene Schurken, ehemalige Crack-Dealer oder anderweitig straffällig Gewordene wie Tupac Shakur, Notorius BIG oder Snoop Dogg. Ironischerweise verkaufen sich tote Gangster-Rapper wie geschnitten Brot – denn „realer“ geht’s nicht. Die Fälschung: Weiße Mittelstandskinder gründen eine „Band“ in der Garage ihres geschiedenen Vaters und rappen zunächst über ihre Probleme in Schule und Familie. Schon Anfang der 90er versuchte das Rödelheim-Hartreim-Projekt den deutschen Straßen Gefährlichkeit anzudichten. In den letzten Jahren haben sich besonders die Acts des Berliner Hip-Hop-Labels Aggro Berlin durchgesetzt. Hart ist die Sprache hier zwar auch, allerdings mit dem US-Vorbild in Sachen Knock-Out-Sozialkritik kaum zu vergleichen. Deutscher Gangster-Rap ist eher ein Mix aus pubertären Wichsfantasien mit einer dicken Kruste aus bekifften Gewaltvisionen. Das wurde draus: Obwohl in Deutschland derzeit eine Prekariats-Studie die nächste jagt, wirkt das in deutschem Gangster-Rap beschriebene „Street Life“ immer etwas bemüht. Die Zuhilfenahme amerikanischer Slangvokabeln hilft nicht über die Alltags-Belanglosigkeit hinweg, die das System BRD glücklicher-, in diesem Fall unglücklicherweise hervorruft. Im Angesicht echter, von Crack und Klebstoff gezeichneter Ghetto-Motherfucker würden sich die meisten deutschen „Gangster“ jedenfalls schnell in die beschauliche Gemütlichkeit ihres Fernsehsessels zurückwünschen. Auch wenn der in einem 30 Quadratmeter großen Hartz-IV-Nest in der Platte steht.


Computeranimierte Spielfilme

Das Original: Kinofilme, in denen ausschließlich computeranimierte Bildfolgen zu sehen sind, galten zu ihrer Entstehungszeit den 80er Jahren als Nischenprodukt für Kinder und Computernerds. Die auf Animationsfilme spezialisierten Pixar Studios ließen mit Filmen wie „Findet Nemo“ und „Die Unglaublichen“ ein völlig neues Genre entstehen: computergenerierte Filme, die dank ihrer niedlichen Optik und simplen Plots Kinder ansprechen, während Erwachsene die cleveren Dialoge und die physikalische Korrektheit der Bilder bestaunen. Die Fälschung: Mit dem 2003 erschienenen Animationsfilm „Back to Gaya“ entstand der erste Wurf aus deutschen Landen. Deutsche Zeichentrickfilme gab und gibt es schon zuvor – „Back to Gaya“ sollte allerdings nicht weniger als den Beginn der deutschen Computer-Generated-Imagery-Ära darstellen. Das wurde draus: Obwohl computeranimierte Trickfilme in deutschen Kinos gut laufen, konnte „Back to Gaya“ nur magere 150 000 Besucher in die Kinos locken. Trotz massiven Marketings. Ob es an der zu stark an amerikanische Vorbilder angelehnten Optik und Handlung lag, darüber streiten sich die Kenner. Die Modern-Mystery-Serie

Das Original: „Lost“, eine Geschichte über die 48 Überlebenden eines Flugzeugabsturzes im Pazifik, gilt als eine der besten TV-Serien aller Zeiten und als Beweis dafür, dass man auch im Fernsehen Unterhaltung in Kino-Qualität machen kann. Die ABC-Produktion zeichnet sich durch eine hohes Budget aus, und erzählt mit guten Schauspielern, Original-Tropen-Setting und aufwändigen Spezialeffekten eine mysteriöse Geschichte über den Kampf ums Überleben und dunkle Geheimnisse - Kabale und Kannibalismus eben. Die Fälschung: „Verschollen“, eine Geschichte über die 20 Überlebenden eines Flugzeugabsturzes im Pazifik. Die RTL-Produktion wurde hauptsächlich in deutschen Studios gedreht und sieht aus wie eine billige Soap-Opera am Strand. Die Besatzung eines gestrandeten Traumschiffs spinnt ihre Intrigen. Zum Beispiel gibt es da das schöne Model, das auf seiner Robinson-Insel keine anderen Sorgen hat, als sich in den richtigen von zwei Brüdern zu verlieben. Das wurde daraus: „Verschollen“ erreichte in der so genannten werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen nur einen Marktanteil von 14,9 Prozent und wurde im Frühjahr 2005 nach der zweiten Staffel abgesetzt. Einen Monat später startete übrigens „Lost“ auf Pro7. Mitarbeit: henrik-pfeiffer Fotos: dpa, Eichborn, Bloomsbury, AP, AP, Reuters, Crytec, AP, dpa, RTL, AP, dpa, AP, ddp, dpa, AP, dpa,

  • teilen
  • schließen