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Alles Knallköpfe - die Feuerwerker-Typologie
Der Maßlose Das einzige Datum, an dem er sich bei LIDL mal einen Einkaufswagen nimmt, ist der 29. Dezember. Der Maßlose kauft vier Familienpackungen mit Raketen, das ist sein Fundament. In den Tagen bis Silvester wird er seine Freundin außerdem ungewohnt willig zum Einkaufen begleiten und kurz vor der Kasse noch die ein oder andere Ergänzung seiner Feuerkraft vornehmen. Wenn die Freundin angesichts der enormen Kosten dagegen protestiert, sagt er „Schatz, der Giga-Knister-Vulkan hat dir aber letztes Mal so gut gefallen!“ Auf der Silvesterparty zwingt er alle Gäste schon um halb elf die ersten Sektflaschen auszutrinken, weil seine Abschussbatterie noch nicht umfangreich genug ist. Während später alle feierlich den Countdown runterzählen, steht er schon mit Bommelmütze und Schal im Flur und schreit „Schatz, hast du die Las Vegas-Cracklingkreisel weg?“ Punkt zwölf Uhr wirft er seine Freundin im Rausstürmen einen flüchtigen Neujahrskuss durch die Sektflöte zu. Mit Sekt hat er ja noch nie was anfangen können. Vier Minuten später steht er rotbackig wieder im Zimmer und zwingt panisch quengelnd alle nach draußen. Mit blitzvereidigten Helfern entzündet er das vorbereitete Spektakel, das sich nicht so sehr durch ausgefeilte Choreographie sondern nur durch massive Übermacht auszeichnet. Dabei ist sich der Maßlose auch nicht zu schade, selbst die kleinsten Böller mit Zirkusdirektoren-Geste zu zünden. Zehn Minuten lang spenden die Zuschauer Beifall, während er unentwegt Zellophan-Packungen aufreißt und Zündschnüre entdröselt. Von seinen Effekten bekommt er nichts mit, denn wenn er Zeit hätte, an den Himmel zu schauen, gilt sein misstrauischer Blick den Nachbarn und deren Vorräten. Seine Zuschauer zerstreuen sich, schließlich steht der Maßlose gegen 1 Uhr nur noch mit dem achtjährigen Nachbarjungen im Schnee und vernichtet verbissen seine Böller. Er wirft sie immer an die gleiche Stelle. Das findet er schon gut, aber irgendwie war es diesmal auch nicht so super wie früher, vermutlich weil er die „Magic Lights“-Stalinorgel doch nicht gekauft hat. Knallfrösche sind für ihn Kinderkram. Für den Ballistiker ist der Jahreswechsel ein Hochamt. Lerne ihn kennen auf der nächsten Seite.
Der Ballistiker Mit Raketensortimenten oder Knallfröschen muss man ihm nicht kommen. Kinderkram für Familienväter! Er erledigt seine Vorbereitungen für den Jahreswechsel im „Jagd- und Fischereisportgeschäft Bruckner“. Bis Mitternacht verhält er sich ruhig und schaut gebrannte DVD’s, dann zieht er bedächtig seine Lederhandschuhe über und die Ohrenschützer aus dem Baumarkt. Er braucht keine Jacke, denn er friert eigentlich nie. Ruhig geht auf die Straße der Mietssiedlung, stellt sich in die Mitte und entsichert seine vorbildlich gepflegte Schreckschuss-Pistole. Regungslos drückt er ab und freut sich über den heillosen Schrecken von Frauen und Kindern. So eine Pistole ist toll laut. Lauter als jeder Cina-Böller. Die Leuchtpatronen, die er abschießt, tauchen alles in unheilvolles Seenotrettungslicht, was den Ballistiker als Einzigen beruhigt. Er ballert so lange in die Luft, bis die Kinder lauter heulen als die Luftheuler. Dieses Heulen erinnert ihn an die Sirenen von einem Bombenalarm. Dann zieht er seinen Ohrenschutz ab, steckt die Waffe in ihr Nylonholster und ist zufrieden. Die Halbwüchsigen nicken ihm aus ihrem schwarzen Mercedes heraus zu. Das hätte er mal wieder geschafft. Auch wenn es nicht so schön war wie damals, als Opa im Kartoffelschnapsrausch mit seinen russischen Handgranaten Omas Apfelbaum weggesprengt hat. Ballern mit Verstand? Das ist nichts für den Verkappten. Denn eigentlich ballert er ja gar nicht. Eigentlich.
Der Verkappte Der meistverbreitete Typus unter den Bildungsbürgern. Feuerwerk - dafür hat er eigentlich keine Sinn. Früher, ja, da hat er schon mal mit echten „Schweizern“ den Gullydeckel hochgehen lassen, aber jetzt ist das vorbei. Kaum kann er glauben, dass es immer noch Menschen gibt, die sich bei LIDL den Einkaufswagen mit ordinärem Sprengkörpern volladen. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe - ein schönes Fondue zum Beispiel, mit selbstgemachter Cumberlandsauce. Als er dafür in letzter Minute ein bisschen Johannisbeergelee kaufen muss, fällt ihm doch tatsächlich so ein 787-Schuß-Kugelspucker in die Hand, den er „aus Spaß“ mal mitnimmt. Die Gäste, die dann später zum Fondue kommen, haben als „spaßiges“ Gastgeschenk für jeden eine Rakete mitgebracht. Der Verkappte bietet sich gönnerhaft an, die Aufgabe zu übernehmen, das alberne Zeug hochzujagen. Da aber erhebt sich „spaßiger“ Protest von den versammelten männlichen Gästen - allesamt Verkappte, die das Hochjagen für sich beanspruchen. Weil keiner den anderen zusammenschlagen möchte, rennen alle Männer um fünf vor zwölf ohne Schal und Mütze nach draußen, während die Frauen derweil auf sich und ihre Begünstigung durch die Evolution anzustoßen. Ihre Männer haben draußen inzwischen den Nachbarskindern die Knallteufel abgekauft und bewerfen sich kreischend damit. Wenn sie wieder reinkommen, haben sie nasse Füße und rote Backen und diskutieren pseudowissenschaftlich die Aktion mit dem Gullydeckel. Wer ist eigentlich die Frau in der zu großen Männerjacke, die nicht auf die Straße kommt, obwohl alle feiern? Die Verschreckte. Lerne sie auf der nächsten Seite kennen.
Die Verschreckte Das ist genau die, die auch bei jeder noch so harmlosen Schulhof-Schneeballschlacht einen Schneeball ins Auge bekommen hat. Jetzt will sie als einzige aus der Partygesellschaft um zwölf nicht mit nach draußen kommen und zwar „so halt“. Weil sie das Alleinsitzen vor den verkrusteten Bleigießerein aber unendlich schlecht draufbringt, steht sie dann doch im Türeingang und zwar mit einer viel zu großen Männer-Winterjacke, die sie sich schnell übergeworfen hat. In der friert sie trotzdem unwahrscheinlich. Blöd ist, dass sie ausgerechnet und heimlich in den Maßlosen verliebt ist, der gerade brüllend die Zündbefehle gibt. Feuerwerkskörper müssen mindestens 15 Meter von ihr weg aufgestellt werde, trotzdem hält sie sich die Ohren zu, wenn die Kreiselbiene losgeht. Gerade als es der Verschreckten ein bisschen gefällt und sie sogar eine Wunderkerze angezündet hat, fährt ihr ein Luftheuler unkontrolliert in den Dutt. Der Abend ist hin, das Jahr auch. Sie ist tatsächlich schwer verletzt und hat sich auch noch mit der Wunderkerze ein Loch in den Lieblingspulli gebrannt. Sie hasst Silvester und nächstes Mal bleibt sie im Bett. Fotos: ap