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Alles frisch, alles umsonst - Wie Blogs die Popwelt aufmischen

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Aleks ist so etwas wie ein Trüffelschwein. Der 28-jährige Programmierer einer Frankfurter Internetagentur verbringt seine Freizeit meistens mit „scannen“. Damit meint er das permanente Durchforsten von MySpace, Podcasts und DJ-Mixen nach neuen Songs von neuen Bands. Wenn ihn etwas aufhorchen lässt, stellt er es sofort auf Discodust, dem Blog, das er im November 2006 gegründet hat. Aleks lädt täglich MP3s auf seine Seite, meistens sind es Songs und Remixe irgendwo auf der Schnittstelle zwischen Indie und Techno. Er sieht sich selbst als Lieblingsplattenhändler, der „weiß, was man gerne hört und einem die neusten Platten vorspielt.“ Nur erzählt er eben im Netz von seinen Favoriten und Handel ist es eigentlich nicht. Die Downloads auf seiner Seite sind alle umsonst. Das ist mit ein Grund, weshalb sein Blog so gut besucht ist: derzeit sind es um die 6000 Leser am Tag. Die Texte auf Discodust verfasst Aleks auf Englisch, seine Besucher kommen aus ganz Europa und Amerika. Discodust ist nur eines von unzähligen MP3-Blogs, die mittlerweile eine große Leserschar im Netz anziehen. Sie funktionieren alle nach einem ähnlichen Prinzip: Die Auswahl der Musik ist persönlich gehalten, ihre Beschreibung ist kurz und knapp, die Songs gibt es umsonst - und das Wichtigste: Sie sind heute die ersten, wenn es darum geht, ein nächstes großes Ding zu wittern.

„Es ist inzwischen selten, dass eine gute Band zuerst in einem traditionellen Medium auftaucht – irgendein Blogger war meistens schon viel früher dran“, sagt Aleks. Die Lieder, die er online anbietet, bekommt er auf Anfrage entweder von den Künstlern selbst, von Lesern, aber auch immer öfter von Labels selbst zugeschickt. Gelesen wird sein Blog wiederum von denselben Leuten: von anderen DJs, Produzenten, Label- und Clubbesitzern und von Talentscouts der Musikindustrie. Die Präsenz auf MP3-Blogs spielt mittlerweile für Bands also durchaus eine Rolle, wenn sie Großes vorhaben. Einzelne Blogs können zwar wenig für die Karriere einer Band ausrichten, aber wenn viele in einem Sammelbecken gebündelt werden, kann die Sache schon ins Rollen kommen. Dieses Sammelbecken heißt Hype Machine. Der Blog-Aggregator sucht auf mehr als 1700 Musikblogs nach neuen geposteten Tracks und veröffentlicht sie nach Beliebtheit und Erscheinungsdatum aufgelistet. Das Vorgehen, als User auf einmal alle Neuerscheinungen abzugrasen, wird demnach „one stop-shopping“ genannt. Ein Programm namens Peel geht sogar noch weiter. Hat man dort einmal die URL seiner liebsten Blogs eingegeben, lädt das Programm automatisch alles auf die Festplatte, was auf den Webseiten aktualisiert wird. Was die Blogger dazu schreiben, interessiert dann eigentlich nicht mehr. „MP3 blogs are killing music“ beschwerte sich Jonathan Galkin, Betreiber des New Yorker Labels DFA (Hot Chip, LCD Soundsystem) jüngst in einem Interview mit dem Online-Magazin Plan B. Früher, als es noch keine MP3-Blogs gab, hätte das Label von einer erfolgreichen Single noch 20.000 Vinyl-Platten abgesetzt, jetzt seien es nur noch bis zu 5000. Schuld sei vor allem die Hype Machine. Die richtet, so Galkin, noch einen viel größeren Schaden an als illegale Torrent-Tauschbörsen. Wenn man sich die besten Tracks über die Hype Machine herunterladen kann, muss man sich nicht mal mehr die Mühe machen, ein ganzes Album mühevoll im Netz zu suchen. Außerdem seien sich die User oft nicht darüber im Klaren, dass die Musik, die auf Blogs angeboten wird, illegal ist. „Ich stelle so gut wie nie etwas ohne Genehmigung der Künstler oder Labels online“, sagt Aleks, räumt aber gleichzeitig ein, dass viele Blogger das anders handhaben. „Natürlich kann man nicht bei Daft Punk persönlich um Erlaubnis fragen, wenn jemand seinen selbstgemachten Daft Punk-Remix schickt.“ Auch er hat schon Unterlassungsmails von der RIAA (US-Verband der Musikindustrie) bekommen. Gerade weil Blogs sehr viele Remixe und Mash-Ups veröffentlichen, ist die rechtliche Situation oft sehr heikel. Viele in der Industrie haben selbst keine Ahnung, wer an solchen Remixen die Rechte hat. „Im Zweifelsfall geht man als Blogger schon ein Risiko ein.“ Auf der anderen Seite wissen auch die Labels, dass Blogs heute wichtige Bekanntheitsgeneratoren sind. Einige Labels, zum Beispiel Gomma aus München oder Kitsuné aus Paris, arbeiten mittlerweile gezielt mit Bloggern zusammen, indem sie sie mit Songs versorgen. Für den Musikkonsumenten bedeutet das auch, nicht mehr monatlich eine Popbibel aus Papier durchwälzen zu müssen, um sich über Musik zu informieren. Vor allem nicht, wenn man als erster da sein will. Das beliebte Popkulturblog Hipsterrunoff (deutsch: Hipster-Abfluss), selbsternannter „moral compass of electroblogville“ drückt es deutlich aus: „Wir brauchen keine Musikmagazine mehr, um neue, gute Musik ausfindig zu machen.“ Guter Musikjournalismus, heißt es, sei heute für einen großen Teil der jüngeren Internetnutzer nicht mehr interessant. Interessant sei, was frisch und umsonst ist. Printmagazine haben heute auch gar nicht mehr den Anspruch, alles als erstes zu haben. Das können Blogs ohnehin besser. "Aktualität ist hier weniger wichtig", sagt Walter Wacht, Redakteur bei der deutschen Spex. Eigentlich stellt sich für ihn die Frage nicht, ob man in Zukunft noch Magazine in die Hand nehmen wird. „Blogs stärken nur das Interesse an Musik. Ein Magazin verschafft aber viel tieferen Überblick. Gute Texte beschreiben nicht nur, dass eine Band interessant ist, sondern auch die Phänomene, die sie erst relevant machen. Und das liest sich auch noch gut, wenn es erst zwei Monate später gedruckt wird.“ Einen erfolgreichen Mittelweg schlägt seit zwölf Jahren Pitchforkmedia ein. Das in Chicago ansässige tagesaktuelle Online-Musikmagazin gilt mit 160.000 Klicks pro Tag seit Jahren als die zentrale Geschmacksautorität der amerikanischen Indie-Szene, die Washington Post spricht sogar vom „Yogi des Indie-Rock“, dessen weise Ratschläge blind befolgt werden würden. So wird etwa der Erfolg von Arcade Fire und Broken Social Scene in der Anfangsphase vor allem Jubelarien von Pitchfork-Autoren zugeschrieben. Und auch wenn Pitchforkreviews unter Bloggern als elitär und versnobt gelten: „Die Leute interessieren sich sehr dafür, was wir zu sagen haben“, meint Mark Richardson, Pitchfork-Redakteur. Für ihn geht es darum, „diesem Ding nahezukommen, das passiert, wenn Musik einen auf eine gerade zu magische Weise überwältigt“. Angesichts von Hardware-Parties, auf denen 200 GB-Festplatten voller MP3-Dateien getauscht werden, befürchtet er, dass der soziale Aspekt davon, Musik miteinander zu teilen, total flöten geht. „Ich hoffe jedenfalls, dass die gemeinsame Erfahrung von Musik in Zukunft nicht nur bedeutet, Datenpakete von einem Computer zum nächsten zu schieben.“ Eine gut geschriebene Meinung sei weiterhin viel wert, egal wie hoch die Anzahl der Klicks wäre. Vor Blogs hat er keine Angst, Discodust lese er beispielsweise täglich. Und: „Das Bedürfnis nach einem Genre-übergreifenden, professionell und fundiert geschriebenen Musikmagazin wird es immer geben.“ Den letzten Satz sagt übrigens nicht Mark von Pitchfork, sondern Blogger Aleks.

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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