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AGBs vor-lesen lassen
Den Nutzungsbestimmungen von Online-Diensten hat man meistens mit einem einzigen Klick zugestimmt. Aber, mal ganz ehrlich, wer liest sich vor dem "I have read and agree to the Terms" schon durch seitenweise Juristendeutsch bzw. -englisch? Eben. Weil wir trotzdem immer auf "Zustimmen" klicken, will sich eine neue, nicht kommerzielle Website dieser "größten Lüge im Netz" annehmen: "Terms of Service; Didn't Read", kurz "ToS;DR".
Die Website ist eine Initiative von Unhosted.org, die Idee dafür ist beim "Chaos Communication Camp" des deutschen Chaos Computer Clubs im August 2011 entstanden. Einer der Macher von "ToS;DR" ist Jan-Christoph Borchardt, 23. Nach seinem Informationsdesignstudium in Stuttgart hat er als Designer an verschiedenen Open-Source-Projekten wie ownCloud mitgearbeitet, bevor er sich "ToS;DR" angeschlossen hat.
Auch Jan hat das mit dem Lesen vor dem Bestätigungs-Klick früher nicht ganz so ernst genommen: "Ich habe mir nur von einigen Diensten die AGBs wirklich durchgelesen, aber die meisten Leute lesen das gar nicht. Wir wollen zeigen, wozu Dienste wie Google Mail und Twitter fähig sind." Um das zu begreifen, würde das Lesen allein gar nicht ausreichen. "Man muss erst mal verstehen, was da steht", sagt Jan, "abgesehen davon, dass die Texte furchtbar lang und unübersichtlich sind, versteht man diese Juristensprache kaum."
Für den Fachjargon hat das Team seit Juni Unterstützung. Der Pariser Jurastudent und FSFE-Aktivist (Free Software Foundation Europe) Hugo Roy leitet seit zwei Monaten das Projekt und bewertet mit seinem Fachwissen die Nutzungsbedingungen der Online-Dienste. Neben Jan, der sich um das Logo und die Nutzerführung kümmert, ist noch der Javascript-Programmierer und "Unhosted"-Mitgründer Michiel de Jong im Team.
Jan-Christoph Borchardt
Noch ist "ToS;DR" im Aufbau, bisher sind knapp 50 Online-Dienste in der Bewertung (Stand: 17.8.2012), trotzdem kann man die Funktionsweise schon gut erkennen: Jan, Michiel und Hugo zerlegen die Nutzungsbedingungen, denen man beim Registrieren zustimmen muss, und listen deren Inhalt stichpunktartig auf. "Inspiriert haben uns die europäischen Waschmaschinenlabels", sagt Jan, "da muss man nicht kapieren, wie die Maschine produziert wird oder was sie verbraucht, wichtig ist nur die Info, dass ein Grünes 'A' am besten ist." Wie ein "Eco-Label" für Webseiten-Nutzungsbedingungen soll am Ende "ToS;DR" werden: Mit einem grün hinterlegten Daumen oder einem Kreuz auf orangefarbenem Hintergrund geben sie gleich eine Wertung. Bei Facebook sieht das zum Beispiel so aus: Für die Hilfe, die man beim Sichern seines Accounts bekommt, kriegt das Social Network einen Pluspunkt, für die Tatsache, dass man seinen Klarnamen verwenden muss und dafür, dass man Facebook die Rechte über jeden eingestellten Content überschreibt, ein Minus.
Am Schluss soll jede Seite eine Gesamtnote bekommen, von der Bestnote A, die anzeigt, dass Nutzer fair behandelt werden und keine Daten missbraucht werden, bis zur schlechtesten Wertung E. Bisher haben erst ein paar Seiten Gesamtnoten, zum Beispiel Twitpic ein wenig überraschendes E. Besser abgeschnitten haben der Hosting-Dienst GitHub (B) und die Suchmaschine DuckDuckGo (A). Von den "Großen" wie Facebook, Google, Twitter, Apple und Skype fehlen die Gesamtnoten noch.
Ende August will Roy das Projekt beim Technikfestival "Campus Party" in Berlin vorstellen, auch um mehr Unterstützer zu finden. "Momentan lesen die Leute einfach die Nutzungsbedingungen und picken gute und schlechte Punkte heraus, dafür ist kein besonderes Wissen notwendig", sagt Jan, "Wir sind eine lose, unabhängige Organisation ohne Hierarchie. Jeder kann mitmachen und ist mehr als willkommen." Am meisten brauchen sie noch Juristen oder Personen, die sich mit Juristensprache und Nutzungsbedingungen auskennen. Bisher sorgen der juristische Rat von Hugo und der berufliche Background der drei für eine zuverlässige Einschätzung.
Eine einzige Website wie "ToS;DR", auf der man alle Online-Dienste nach ihrer Nutzerfreundlichkeit abfragen kann, ist ziemlich praktisch, vor allem, weil man die Infos häppchenweise und mit einer Wertung bekommt. Nötig scheint sie auch zu sein. Das Blog irights.info zitiert das "I/S: A Journal of Law and Policy for the Information Society", wonach amerikanische Wissenschaftler berechnet haben, dass der durchschnittliche (US-)Nutzer 76 Arbeitstage im Jahr damit verbringen müsste, um die Nutzungsbedingungen aller von ihm genutzten Online-Dienste zu lesen. Und, AGB-Hysterie hin oder her, laut Bitkom liest nur jeder fünfte Internetnutzer mehr oder weniger regelmäßig die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Online-Anbietern, 22 Prozent der Internetnutzer verstehen die Texte nach eigener Aussage meistens nicht und insgesamt wünschen sich 53 Prozent verständlichere Formulierungen.
Geht es nach den Machern von "ToS;DR", dann soll ihre Seite internationale Gültigkeit haben. Aus ihrer Sicht ist das auch unproblematisch: "Die Nutzungsbestimmungen eines Dienstes sind landesbedingt nicht allzu unterschiedlich. Aber es spielt eine Rolle, wo die Rechtsprechung gilt. Facebook hat Beispielsweise einen Sitz in Irland, um Europa abzudecken", sagt Jan, "das berücksichtigen wir natürlich." Eine Rechtsberatung will "ToS;DR" aber nicht sein. "Wir sind keine qualifizierten Juristen, versuchen aber, so objektiv wie möglich zu sein und hoffen, dass Juristen sich für das Projekt interessieren und uns helfen, die Bewertungen zu verfeinern", sagt Jan. Einen konkreten Rat braucht es aber gar nicht, ein D oder E als Bewertung reicht als Empfehlung, sich bei bestimmten Diensten nicht zu registrieren.