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Ätsch, Plattenfirma
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Die Musik von Death Grips anstrengend zu nennen, ist eine Untertreibung. Sie ist eine geradezu aufreibende Mischung aus beunruhigenden, schmerzhaften und verwirrenden Störgeräuschen über brutalen Bässen und wahlweise unerträglich schleppenden oder hypernervösen Drums. Die „Raps“ wirken in Inhalt und Vortrag wie die verwirrten Tiraden eines obdachlosen, cracksüchtigen Blackmetalfans. Dabei zielt die Band nie auf platte Schock- oder Überwältigungseffekte. Das Video zu Guillotine zeigt lediglich den Rapper MC Ride auf dem Beifahrersitz eines Autos und trotzdem ist es einer der verstörendsten Clips, die man in langer Zeit gesehen hat.
Dass so ein Act einen Majordeal vorgelegt bekommt, ist außergewöhnlich. Schließlich sind die großen Plattenlabel künstlerischen und kommerziellen Wagnissen seit jeher und heutzutage ganz besonders abgeneigt. Wegbereiter war hier wohl der große Erfolg des Odd Future Kollektives um T Laut eigener Aussage war man sich also mit Epic nicht über das Erscheinungsdatum des kommenden Albums einig geworden. Dass große Labels viel Vorlaufzeit für eine Veröffentlichung benötigen und unliebsame Werke gerne Mal auf die lange Bank schieben, davon können so einige Künstler ein Lied singen – Fiona Apple oder Lupe Fiasco zum Beispiel, die die Veröffentlichung ihrer Alben nur mit massiver Fan-Unterstützung erzwingen konnten oder Nas, der 2010 mit einem
wütenden Brief an DefJam für Aufsehen sorgte. Scheinbar wollten es
Death Grips gar nicht wo weit kommen lassen und hatten beschlossen, das Werk kurzerhand und ohne weitere Absprachen ins Netz zu stellen. Gesagt, getan: Am nächsten Tag ist No Love Deep Web über verschiedene Plattformen frei stream- und downloadbar.
Von einem Leak spricht man, wenn Musikstücke oder Alben vor Veröffentlichungstermin im Netz auftauchen, was trotz aller Schutzmaßnahmen seitens der Plattenfirmen regelmäßig passiert. Diese Lecks werden z.T. verursacht durch Hackerangriffe, oft sind es auch Mitarbeiter oder Journalisten, die Vorabversionen der Werke online stellen. Der Fall Death Grips ist ein Novum: Es ist die Band selbst, die sich – glaubt man ihrer Darstellung – allen vertraglichen Verpflichtungen zum Trotz selbst geleakt hat. Diesen Affront gegen das eigene Label krönt ein unmissverständliches Coverartwork: Das Foto eines erigierten Penis', auf den mit Filzstift der Albumtitel gekrakelt wurde. Die Blogosphäre reagiert erwartungsgemäß hysterisch: Death Grips, der Leak und der Penis sind – ähem – in aller Munde.
Umso mehr, als die Internetseite der Band kurz darauf eine Zeit lang offline ist – die Musiker machen das Label dafür verantwortlich, Epic dementiert dies. Seit einigen Tagen halten sich nun beide Seiten zu den Vorfällen bedeckt, die Spekulationen und Diskussionen dagegen nehmen immer mehr Fahrt auf. Die anfänglichen Reaktionen waren positiv bis begeistert und zeichneten ein Bild, das der Band sehr schmeicheln dürfte: Von der punkrockigsten und mutigsten Aktion seit Langem war die Rede. In dieser Interpretation sind Death Grips ein lärmender Robin Hood im Guerillakampf gegen den bösen Major. Viele sehen in den Vorfällen zudem einen weiteren Beleg für die gezählten Tage der großen Plattenfirmen, für deren Unfähigkeit mit dem durch das Internet rasant beschleunigten Rhythmus der Trends und Strömungen und dem freien Austausch der Daten mitzuhalten. Sie bejubeln den Leak als einen weiteren Schritt hin zum Wegsterben aller verknöcherten, gierigen Mittelsmänner zwischen Künstler und Publikum. Nach dieser Lesart kann man fast Mitleid mit Epic haben: Ein großes Plattenlabel versucht endlich mal wieder ganz vorne mit dabei zu sein, abseitige Trends frühzeitig zu erkennen und zu fördern – und wird von einer frechen und unberechenbaren Band abgewatscht.
Inzwischen mehren sich auch Stimmen, die das Verhalten der Band kritisieren: Warum bei einem Major unterschreiben, um sich danach über dessen Geschäftspraktiken beklagen, wenn die doch hinlänglich bekannt sind? Hier wird das Verhalten der Band zu einem selbstgerechten Publicitystunt. Die Verschwörungstheoretiker sehen sowieso alle unter einer Decke.
Für sie ist der Skandal eine von Band und Label gemeinsam konzertierte, perfide Werbemaßnahme. So Öffentlichkeitswirksam so ein Eklat auch sein mag, ganz glauben will man das nicht – würde sich ein großer, prestigeträchtiger Konzern tatsächlich, und sei es nur zum Schein, so eine Blöße geben? Sich bewusst Öffentlich so verwundbar zeigen? Trotzdem ist auffällig, wie bedeckt sich das Label bislang hält. Bis auf das Dementi zur abgestürzten Website gibt es bislang keinen offiziellen Kommentar und auch sonst sind keine unternommenen Schritte erkennbar. Allerdings kann man davon ausgehen, dass es im Hintergrund gewaltig rumort.
Und so wird es spannend zu sehen, wie Epic demnächst agiert. Schlagen sie zurück und verklagen die Band wegen Vertragsbruch, ja: Copyright-Verletzung? Bestätigen sie also das Bild des großen, bösen Majors mit den veralteten Dogmen aus einer grauen, netzlosen Vorzeit? Oder aber spielen sie mit und schaffen es nachträglich das Beste aus dem entstandenen Wirbel herauszuholen? Denkbar wäre das sehr gut. Die Band selbst hat derweil eine ausgedehnte Tour für Oktober/November angekündigt, die –dafür muss man kein Wahrsager sein – wohl sehr gut besucht sein wird. Ob kalkulierter Publicitystunt oder nicht, sie versteht es auf jeden Fall, die Gunst der Stunde zu nutzen. Ansonsten gilt das Gleiche, was seit einiger Zeit für alle Umwälzungen in der Musikbranche gilt: Wer auf lange Sicht die Gewinner sind, oder ob am Ende gar alle verlieren, das muss sich erst noch zeigen. Sonst noch was? Ach ja, das Album: Das ist richtig gut geworden!