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Ägypten vor den Wahlen
Das Parlament ist bereits gewählt, die Jugend dort aber kaum vertreten. Trotzdem an „al Shabab“ - der Jugend - kommt in Kairo niemand vorbei. Jeder dritte Ägypter ist 14 oder jünger. Jugendliche haben die Revolution angestoßen. Nun wollen sie mitreden. Ob mitten in Kairo oder draußen auf dem Land, ob an Eliteschulen oder unter Straßenkindern – die jungen Ägypter fordern Demokratie. Sie kommen aus scheinbar unterschiedlichen Welten. Ihre Ideen aber ähneln sich, wenn es darum geht, ihre Heimat zu verändern. Ein Streifzug durch ein junges und sehr politisches Land vor der Präsidentschaftswahl.
Beim demokratischen Nachwuchs?
Rana Khamis hat einen Traum: In diesem Traum lebt sie in einem Land ohne Korruption, mit einem Präsidenten, dem sie vertraut. Vielleicht ist sie dann sogar selbst Ministerin. Rana ist 18. Sie weiß, dass das noch eine Weile dauern wird. „Vielleicht in zehn oder 20 Jahren“, schätzt die Kunststudentin aus Kairo und legt dann eine Hand auf ihr Herz: „Der Wandel beginnt hier, in jedem selbst.“ Wahrscheinlich sind es die Schritte Einzelner, die ein Land in Richtung Demokratie bringen. Die 18-Jährige macht es vor. Sie will ihr Land verändern, sie als Frau. Seit sechs Jahren sitzt sie im Jugendparlament, lernt dort, mitzureden und zu überzeugen. Etwa ihren Vater. Eigentlich wollte er sie nicht nach Kairo zum Studium gehen lassen. Ausziehen? Das macht ein unverheiratetes Mädchen nicht, heißt es in vielen Familien. Aber sie hat sich durchgesetzt. „Baba, es geht um meine Zukunft“, hat sie gesagt, als sie ein Stipendium für die British University bekam.
Vor kurzem haben sich Abgeordnete die Ideen aus dem Jugendparlament angehört. Für Rana ist das ein Erfolg. Sie konnte ihre Vision von Ägypten vorstellen: Politiker sollen nicht mehr nur an sich denken, die Ausbildung muss besser werden. An staatlichen Schulen sollten Kinder so viel Englisch lernen, dass sie es nicht später mühsam an der Uni nachholen müssen, wie es bei ihr der Fall war, meint sie.
Baustelle oder künftige Mittelschicht?
Auf dem Weg nach New Cairo, einer der Satellitenstädte, die in den vergangenen Jahren außerhalb der Millionen-Metropole Kairo entstanden sind, geht es vorbei an Baustellen. Villenanlagen werden aus dem Boden gestampft. „Deswegen haben wir die Revolution gemacht“, sagt eine Dame im Bus und zeigt auf ein Plakat, das die Villen bewirbt. „Luxus in jedem Detail“ ist darauf zu lesen. Weiter außerhalb gibt es moderne Mietsblöcke. Wächst dort eine neue Mittelschicht? Im Jugendzentrum von New Cairo scheint es so. Da ist etwa Mohammed El Khalergy. Der 22-Jährige hat Zahnmedizin studiert, nun ist er arbeitslos wie jeder vierte junge Ägypter. Aber es war nicht seine Misere, die ihn vom ersten bis zum letzten Tag auf den Tahrirplatz getrieben hat, wie er erzählt. Es geht ihm ums Prinzip. Da verdienen manche 1,5 Millionen ägyptische Pfund im Monat – fast 200.000 Euro also – und andere nur 150, empört er sich und fordert Einkommensgrenzen für alle. Vor den Parlamentswahlen hat er für die Friedrich-Ebert-Stiftung seine Landsleute über die Wahl informiert. Wochenlang ist er durch seine Heimat gereist, die derzeit einer demokratischen Baustelle gleicht.
Bei der Elite der Zukunft?
Auch Mira Sameh, Kenzy Nourehdin und Menna Elsobki finden, dass sich die Bildung ändern muss. Alle drei sind in Kairo aufgewachsen und sprechen fließend deutsch. Sie gehen auf eine deutsche Privatschule mit beheiztem Hallenbad, Foto-AG, Klassenfahrten nach Frankreich und ins bayerische Voralpenland. Rund 2.000 Euro zahlen ihre Eltern pro Schuljahr. Und doch sind die „sozialen Spannungen“, wie Menna sie nennt, in Hörweite. Von der Dachterrasse ihrer Schule können sie das Innenministerium sehen, der Tahrirplatz liegt dahinter. „Die soziale Schere geht bei uns sehr weit auseinander“, sagt die 17-Jährige. Um das zu ändern – da ist sich die die Tochter eines Ingenieurs und einer Bankerin sicher – müsse man in Bildung investieren. Mehr Lehrer für weniger Schüler. „Es ist schwer, Kindern etwas beizubringen, wenn ein Lehrer auf dem Land 80 Schüler unterrichtet“, ergänzt Kenzy. Überhaupt die staatlichen Schulen: Da werde hauptsächlich auswendig gelernt. Das kritische Denken fehle dort, sind sich die drei einig. Die Mädchen hinterfragen viel. Auch die rechtliche Praxis. „Die Judikative ist noch immer abhängig vom Militär“, moniert Mira. Und Kenzy kritisiert, dass Zivilisten vor Militärgerichte gebracht werden. So haben sie sich Demokratie nicht vorgestellt.
Abgehängt und doch dabei – Straßenkinder in Giza
„Saura, Saura“ - „Revolution, Revolution“ ruft der elfjährige Mohammed und zeigt auf ein selbstgemaltes Bild mit Panzern. Der Junge mit dem offenen Hosenstall und den viel zu großen Plastiklatschen lebt mit dem 16-jährigen Ahmed in Giza. Vom Tahrirplatz ist es etwa eine Stunde bis in das Caritas-Wohnheim. Kinder und Jugendliche „at risk“, finden dort ein Zuhause, bis sie wieder in ihre Familien können. Ahmed aber hat keine Familie. Seine Eltern sind gestorben. Als sein Bruder heiratet, landet er auf der Straße. Er nimmt Drogen, schlägt sich durch. Heute ist er clean, sagt er. Eigentlich hat Ahmed sechs Jahre Grundschule hinter sich. Nach der Zeit auf der Straße beginnt er nun aber wieder von vorn: Lesen und Schreiben lernen, Zähne putzen, sich regelmäßig waschen. In dieser Ecke Kairos wird sichtbar, warum sich Ägypten in Sachen Pro-Kopf-Einkommen doch auf Platz 134 der UN-Liste findet. Der Tahrirplatz mit seinen Bloggern und dem Coffee-to-go scheint plötzlich weit weg.
Und doch war Ahmed zur Stelle, als es nach Mubaraks Sturz' ums Aufräumen ging.
Er hat auf dem Tahrir die Straße gekehrt. Alles sollte sauber werden nach der Revolution. Heute ist er enttäuscht. Er hatte gehofft, dass er schneller etwas merken würde vom Aufbruch.
Draußen auf dem Land
Ein bisschen geduldiger, aber nicht weniger politisch ist Hisham Mehdhat. Der 14-Jährige weiß, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sich sein Land ändert. Und doch hofft er. Hisham will Arzt werden. Er wohnt auf dem Land am Fayoum-See, wo die meisten Menschen von der Fischerei leben – quasi vom Fischernetz in den Mund. Kairos nervenaufreibender Verkehr ist fern. Auf den Straßen sind mehr Esel als Autos unterwegs. Die Revolution aber hat auch dort ihre Spuren hinterlassen. „Wir brauchen eine bessere Bildung“, sagt der Vierzehnjährige. Nicht mehr nur auswendig lernen, will er etwa. Sein Hemd ist zu groß, die Anzughose schlottert. Er hat sich sichtbar Mühe gegeben für die Gäste aus dem Ausland. Was er sagen möchte, hat er sich auf Englisch notiert. Wie Deutschland das gemacht hat, nach dem Krieg und der Wende, wollen er und seine Klassenkameraden wissen. Sie fragen viel, wollen lernen. Demokratie lernen.