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A Million Little Lies

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Nach einem Jahrzehnt mit vagen Erinnerungen und tonnenweise Schnaps, Crack, Kleber und allem, was unterwegs noch so zu haben war, erlaubte James mit 23 Jahren seinen Eltern, ihn in die Entzugsklinik einzuliefern. Kurz nach diesem Rettung in letzter Minute begann James Frey über seine Erlebnisse zu schreiben, zwischendurch verdiente er sein Geld als Skateboard-Verkäufer, Rausschmeißer und Drehbuchschreiber, kehrte aber 2002 wieder an den Schreibtisch zurück und schrieb seine Erinnerungen fertig. Das Buch „A Million Little Pieces“ erschien 2003 im Verlag „Doubleday and Anchor“ und weiter wäre das nicht erwähnenswert gewesen. Wenn nicht zwei Jahre später eine andere Person auf der Bühne erschienen wäre. Oprah Winfrey - in Amerika eine Institution, an der niemand vorbeikommt, der nach oben will. Egal ob Hollywood-Schauspieler oder Politiker. Wer dem gemeinen Volk etwas mitteilen möchte, sollte tunlichst auf ihrem Talkshow-Sofa Platz nehmen. Oprah ist Kopf eines großen Unternehmen und neben einer eigenen Zeitschrift und ihrer Talkshow, hat sie auch einen Buchklub gegründet. Wann immer sie dort ein Buch empfiehlt, ist das eine Art Lottogewinn für Autor, Verlag und anhängige Unternehmen. Eben diese Oprah empfahl von wenigen Monaten die Taschenbuchausgabe von „A Million Little Pieces“. Mit Tränen in den Augen schilderte sie, wie dieses Buch sie gefesselt hatte und wie auch ihre Kollegen nächtelang wach lagen, um das Leiden des jungen Frey mitzuverfolgen. Das Buch schoss nach dieser Sendung die Bestsellerlisten nach oben und verkaufte mehr als 3,5 Millionen Exemplare. Weniger Schönes folgte kurz darauf. Die Macher der Webseite The Smoking Gun wollten für ihr „Mug Shot Archiv“ – das sind diese schönen Fotos von Verhafteten, auf denen sie eine Tafel mit ihren Daten halten – ein Exemplar von James Frey organisieren. Eigentlich keine schwere Sache dachten sie, da Frey in seinem Buch von unzähligen Verhaftungen berichtet hatte. Doch ganz so einfach war es nicht. Und nach sechswöchiger Recherche kamen die Herausgeber zu dem Ergebnis: „A Million Little Pieces“ bestand aus A Million Little Lies. Nicht nur hatte er viele Begebenheiten in seinem Buch maßlos übertrieben, aus einem mehrstündigen Gefängnis-Aufenthalt gleich eine dreimonatige Strafe gemacht, er nahm gar die Schuld an einem Zugunglück, bei dem mehrere Jugendliche ums Leben kamen, auf sich, obwohl er nichts damit zu tun hatte. In einem sechsseitigen Dokument listete „The Smoking Gun“ eine Ungereimtheit nach der anderen auf. Nach der Veröffentlichung des Artikels wurde es für Frey ungemütlich. Zunächst musste er Oprah in ihrer Talkshow Rede und Antwort stehen, dann trennte sich seine Agentin von ihm und als allerletzte Maßnahme zur Schadensbegrenzung verfasste Frey ein neues Vorwort, das nun in den neuen Auflagen seines Buches stehen wird. Darin entschuldigt er sich wortreich für seine phantastischen Exkursionen und bittet seine Leser um Verständnis für die künstlerischen Freiheiten, die er sich genommen hat. Falls du dir abseits der Diskussion um die Freiheiten eines Autors selbst ein Bild machen willst: das Buch ist mittlerweile auch in Deutschland erhältlich. Tausend kleine Scherben ist als Taschenbuch bei Goldmann erschienen und kostet 9,95 Euro.

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