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50 Jahre "On the Road" - Ein Besuch in Tanger, der heimlichen Hauptstadt der Beatniks

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„Nebenher bekamen Burroughs und ich auch Opium von einem Burschen mit einem roten Fez im Zoco Chico. Tags darauf mischten wir Hasch und Kif mit Honig und Gewürzen und machten große ,Majoon’-Kuchen und kauten sie mit heißem Tee und machten lange prophetische Spaziergänge zu den Wiesen voll kleiner weißer Blumen.” Jack Kerouac in „Große Reise nach Europa”

Von Tarifa nach Tanger: Nirgendwo sind zwei Welten so nahe beieinander und gleichzeitig so weit voneinander entfernt. Das Licht ist klar, die Sonne brennt, der Wind kühlt. Die Überfahrt dauert eine halbe Stunde. Dann kommt man an in einer anderen Welt, einem anderen Kontinent, einem anderen Land und einer anderen Stadt. Wäre man anstatt mit Tagesausflüglern aus den Bettenburgen der Costa del Sol, die mit ihren Digitalkameras masturbieren, alleine auf der Fähre, hätte diese Fahrt tatsächlich etwas Erhabenes. Von 1923 bis 1956 stand Tanger unter internationaler Verwaltung. Die Stadt war wegen ihrer Steuervorteile und ihres Status als Freihandelszone Sitz von Banken und wegen ihrer Freizügigkeit Anziehungspunkt für Schmuggler, Sinnsucher, Reiche, Schwule und Exzentriker. Sie war berüchtigt wegen ihrer Pädophilen-Szene und wegen der Unmengen von Haschisch, das die Bauern im Rif-Gebirge keine 100 Kilometer entfernt noch heute anbauen. Paul Bowles kam als einer der ersten und ging als letzter. 1999 starb er in Tanger. Nachdem William Burroughs 1954 „The Sheltering Sky“ gelesen hatte, folgte er ihm nach Nordafrika. Ein Jahr zuvor in Mexiko hatte er aus Versehen seine Frau erschossen. Burroughs schrieb in Tanger „Naked Lunch“, kaufte sich Jungs und Morphium. Jack Kerouac, Allen Ginsberg und Truman Capote folgten ihm. Ankommen heute Der Hafen von Tanger ist einer der unangenehmsten Plätze, um an einen neuen Kontinent anzukommen. Aber es ist nicht mehr so nervtötend wie vor fünf Jahren. Damals war der Gang vom Landeplatz zur Uferpromenade ein Spießrutenlauf. Gefühlte tausend Arme zerrten, tausend Stimmen schrieen auf Französisch, Englisch und Spanisch: „Hotel!“, „Taxi!“ „Give me your Backpack!“ Der Widerstand der deutschen Interrailer, die gerade das Abitur gemacht hatten, brach schnell. Sie folgten einer der Stimmen zum Taxi und gaben einem der Arme ihren Rucksack, eingeschüchtert, verwirrt und irritiert. Sie bezahlten dann für einen Weg, den sie problemlos auch zu Fuß hätten zurücklegen können, einen maßlos überteuerten Preis und waren noch froh, dass sie dem Schlimmsten entkommen waren. Die meisten ließen sich sofort zum Bahnhof bringen und nahmen den nächsten Zug nach Fes oder Marrakesch. Marokko konnte nur besser werden nach Tanger. Marokko wurde auch besser, und manchmal sogar wunderbar. Aber in Tanger war es furchtbar. Inzwischen ist Tanger erträglich geworden. Die Polizei kontrolliert und passt auf, dass die Touristen nur in einem gewissen Maß belästigt werden. Trotzdem sind die 500 Meter vom Anlegekai bis zur Avenue Mohammed VI., die unangenehmsten des ganzen Landes. Dahinter fängt die Stadt an, die einmal sehr schön war. Tanger hat den Charme einer alten Dame, der es nicht gelungen ist, sich in Würde von ihrer Jugend zu verabschieden. Tanger altert nicht, es verfällt. Oben in der Medina, der Altstadt, riecht es nach Pfefferminz, frisch gebackenem Brot und Dreck. Hin und wieder ein verfallendes Jugendstil-Gebäude. Immer wieder Dreck, und an jeder Ecke das aggressive Gezische „Hschsch“, das entsteht, wenn Berber Haschisch anbieten. Am Petit Soco drängen sich mehrere Cafes auf engsten und schiefen Raum. Keine Frauen, nur Männer, rauchend, trinkend, redend. Dazwischen verkaufen kleine Jungs nicht sich selbst, sondern einzelne Zigaretten und Nagelknipser. Am ersten Tag ist der frische, gesüßte Pfefferminztee eine Offenbarung. Am zweiten Tag freut man sich noch über ein Glas Tee mit sieben Stück Würfelzucker. Am dritten Tag hat man sich den Einheimischen angepasst und trinkt alle zwei Stunden ein Glas. Man beginnt, sich Sorgen um seine Zähne zu machen. Keine Schwarzafrikaner auf den Straßen: Seitdem die Straße von Gibraltar stärker kontrolliert wird, weichen die Elenden Afrikas aus und versuchen, weiter südlich mit Booten die Kanaren zu erreichen. Nur im neuen Teil der Stadt sitzt noch eine Bettlerin mit einem Säugling.

Der Petit Soco in der Altstadt Tangers Drei Jahre schrieb Burroughs, seit den Vierzigern drogenabhängig, an „Naked Lunch“, einem Buch über Wahnsinn und Drogen. Es wurde zu einem Standardwerk der „Cut-Up-Technik“, bei der Passagen auseinander geschnitten und an anderen Stellen ohne genauen Plan wieder zusammen gefügt wurden. Es erschien 1959 und wurde zu einem Kultbuch der Hippie-Bewegung. Den Titel schlug ihm Kerouac 1957 bei einem Besuch vor. Die Beatniks konnten in Tanger ungehindert, ihre homosexuellen Neigungen ausleben, was in der McCarthy-Zeit in den USA unmöglich gewesen wäre. Burroughs verbrachte die meiste Zeit in einem Dämmerzustand. Sein einziger Freund war ein arabischer Junge namens Kiki. Kerouac dagegen soll sich in Tanger nie besonders wohl gefühlt haben. Laut zweier Biografien war der wilde Poet in Wahrheit ein Muttersöhnchen und vermisste die Küche seiner Mutter. 1951 setzte er sich an seine Schreibmaschine, spannte eine 40 Meter lange Rolle Fernschreiberpapier ein und schrieb in 20 Tagen „On the Road“. Sechs Jahre brauchte er, um dafür einen Verlag zu finden. Das Buch erschien 1957 und wurde zur Standardlektüre einer ganzen Generation. Ein Jahr zuvor war Tanger an das inzwischen unabhängige Marokko zurückgefallen Tanger bei Tag: Hinter der Enge des Petit Soccos werden die Wände der Häuser weißer. Das Licht blendet, der Lärm nimmt ab. Und irgendwo dort bekommt man kurz eine Ahnung von der schönen, freien Stadt, die Tanger in den Vierzigern und Fünfzigern einmal gewesen sein muss. Hinter einer offenen Tür ein Freilichtmuseum, von außen kaum erkennbar. Von der Terrasse aus der Blick über den Hafen nach Europa. Ruhe. Hier könnte man schreiben, hier könnte man leben, richtig gut sogar, wenn noch ein paar Europäer hier wären. Tanger bei Nacht: Die einzigen Diskotheken liegen an der Hafenpromenade. Darin läuft billiger Euro-Trash. Die Gäste sind wenige, aber reich, schön und gut angezogen. Die einzigen Frauen, die alleine hier sind, arbeiten als Prostituierte. Nachts ist die Altstadt noch immer verrucht, nur weiß man nicht weswegen. Das, was man ein ungutes Gefühl nennt, dämmert zwischen dem kleinen Gassengewirr. Man sucht Licht, beschleunigt seinen Schritt. Immer schneller, bis man kurz davor ist zu laufen, in der Hoffnung, sich nicht zu verlaufen. Kaum jemand bleibt heute länger als eine Nacht in dieser Stadt. „Well, Tanger was a funny place“, soll Burroughs gesagt haben.

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