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Waffensuche im Wohnzimmer
In Eliot Higgins Wohnzimmer steht eine große Ledercouch. Auf dem weißen, flauschigen Teppich liegt Spielzeug seiner kleinen Tochter verstreut. Dieser Ort ist rein optisch so weit von dem blutigen und verwirrenden Konflikt in Syrien entfernt wie nur irgend denkbar, und auch geografisch ist die Distanz enorm. Das britische Leicester, Eliots Heimatstadt, trennen etwa 4700 Kilometer von der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dennoch ist Eliot Higgins Wohnzimmer der Ort, an dem Lügen des Assad-Regimes und illegaler Waffenschmuggel nachgewiesen wurden.
Eliot betreibt das Blog Brown Moses. Es ist nach einem Song von Frank Zappa benannt, Eliots Thema ist aber ganz und gar nicht musikalisch: Er schreibt über den Syrienkonflikt und insbesondere die Waffen, die dort zum Einsatz kommen. Im Sommer 2012 konnte er nachweisen, dass Streubomben gegen die Rebellen eingesetzt wurden, eine Bombenart, die von Menschenrechtsorganisationen und vielen Staaten wegen hoher Zahlen ziviler Opfer geächtet ist. Die Regierung Assad hatte die Existenz solcher Bomben immer geleugnet. Anfang des Jahres fand Eliot dann heraus, dass die syrischen Rebellen, darunter auch islamistische Gruppen, viele Waffen kroatischer Herkunft benutzten, die über die syrische Grenze geschmuggelt worden. Weitere Recherchen der New York Times ergaben, dass Saudiarabien das Kriegsgerät von Kroatien gekauft und über Jordanien nach Syrien gebracht hat. Die Medien berichteten weltweit über diese Enthüllung.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Woher kommt die Waffe aus dem syrischen Video? Eliot Higgins recherchiert solche Fragen.
Eliot hat sich quasi selbst zum Experten ausgebildet. „Bevor ich angefangen habe zu bloggen, wusste ich nicht mehr über Waffen als ein mittelmäßiger Counterstrike-Spieler“, sagt er. „Ich war auch noch nie in Syrien. Meine einzigen Aufenthalte in der arabischen Welt waren ein paar kurze Zwischenlandungen auf dem Flughafen von Dubai.“ Aber als er seinen Verwaltungsjob verlor und plötzlich sehr viel Zeit zu Hause verbrachte, begann er sich für den nahen und mittleren Osten zu interessieren. „Ich fand oft kleine, interessante Details, die in den großen Medien nicht aufgegriffen wurden und dann in den weiten des Netzes verschwanden. Die begann ich zu sammeln und darüber zu bloggen. Einfach damit sie nicht verloren gehen“, sagt Eliot.
Je mehr sich der Syrienkonflikt ausweitete, desto mehr YouTube-Kanäle syrischer Herkunft abonnierte Eliot. Viele Oppositionelle und Rebellengruppen benutzen sie als Kommunikationsmittel, die Videos tauchen regelmäßig in Nachrichtensendungen in aller Welt auf. Mittlerweile überprüft Eliot jeden Abend auf seiner Couch ungefähr 500 solcher Kanäle auf neue Videos. So bemerkte er auch die kroatischen Waffen: „Diese Masse gibt mir einen Überblick, wahrscheinlich sogar einen besseren, als ihn sich ein Reporter vor Ort verschaffen kann. So sah ich plötzlich immer wieder diese ungewöhnlichen Artilleriewaffen, in Videos unterschiedlicher Gruppen. So wusste ich: Da musste es eine größere Lieferung gegeben haben.“
Eliots Thema ist gerade auch auf der internationalen Agenda weit oben. Seit einiger Zeit diskutieren die europäischen Regierungschefs darüber, ob man die syrischen Oppositionellen mit Waffenlieferungen unterstützen soll. Großbritannien und Frankreich drängen darauf, die Bundesregierung gibt sich zurückhaltend. Eliot Higgins will sich kein Urteil erlauben: „Das ist so eine schwierige Debatte. Gibt man den Rebellen Waffen, könnten sie damit auch unschuldige Alawiten töten, Anhänger der religiösen Minderheit, der auch Assad angehört. Rüstet man sie nicht aus, werden sie vielleicht unschuldig getötet.“ Wie auch immer man sich aber entscheide, man müsse davon ausgehen, sagt Eliot, dass man nicht kontrollieren könne, wie sich die Waffen verbreiten. „Auch wenn man das nicht will, werden sie auch in die Hände von Dschihadisten gelangen.“
Wie wichtig Eliots Arbeit ist, zeigt die große Resonanz, die er bekommt. Er hat 5000 Follower auf Twitter, ebenso viele Zugriffe hat er momentan täglich auf seinem Blog. Amnesty International und Human Rights Watch loben ihn in den höchsten Tönen, auch ein hoch angesehener Waffenexperte der New York Times bedankte sich ausdrücklich in einem Blogeintrag für Eliots Arbeit.
Trotzdem ist die Zukunft des Brown Moses Blog fraglich. Denn Erfolg hin oder her, Eliot verdient mit seiner Arbeit kaum Geld, das Projekt ist aus der Not der Arbeitslosigkeit geboren. Und die hat jetzt ein Ende: Vor kurzem hatte er ein erfolgreiches Vorstellungsgespräch, demnächst muss er sich entscheiden, ob er den Job annehmen will oder nicht. Deshalb startet er bald ein Kickstarter-Projekt. „Ich würde das Blog gerne Vollzeit weiter schreiben. Und als ich habe durchblicken lassen, dass ich wegen des Jobs vielleicht aufhören muss, habe ich von mehreren Seiten Geld angeboten bekommen, und die Leute sagten, ich solle es mit Crowdfunding versuchen.“ 5.500 Pfund will Eliot sammeln. Das würde reichen, um ein halbes Jahr von seiner gemütlichen Couch aus über Syrien zu berichten.
Text: christian-helten - Screenshot: Brown-moses.blogspot.de