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Ein Einzelstück, ein Einzelstück!
Die eine Freundin hat den Schrank voller hübscher Klamotten, die andere hat überall in der Wohnung schöne Lampen, Obstschalen oder Bilderrahmen stehen. „Ich hab schon ein Geschenk für dich, ich bin zufällig drauf gestoßen und musste sofort an dich denken", sagt die nächste gut vier Monate vor meinem Geburtstag. Dann schaue ich in meinen mit Schlichtheiten gefüllten Schrank und in die leeren Ecken meiner Wohnung, in denen einzigartige Wohnaccessoires oder vorzeitig erstandene superindividuelle Geburtstagsgeschenke stehen könnten, und frage mich: Wieso finde ich nie diese kleinen, hübschen Dinge? Und: Wieso denke ich eigentlich, ich müsste sie finden?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Ich kann nicht stöbern. Ich habe das immer wieder versucht, mit mir und dem Flohmarkt, und bin jedes Mal mit einem Buch und drei Hörspielkassetten, aber ohne eine schöne Teekanne, einen mit Geschichte behauchten Ring oder eine besonders schön verzierte Box zur Aufbewahrung meiner Zwiebeln wieder nach Hause gefahren. Ich kann schon in einem ordentlich sortierten Geschäft, egal ob für Kleidung oder Haushaltswaren, nicht besonders gut einkaufen, weil man erstmal die Menschen ausblenden und sich dann sehr stark konzentrieren muss, damit das Auge die Farbe, Form oder Größe findet, die man zwischen all den anderen Farben, Formen und Größen sucht. Da wundert es nicht, dass Flohmärkte und Antiquitätenläden mich überfordern. Dort geht man meistens hin, ohne etwas Bestimmtes zu suchen und muss sich von seinem Instinkt und Geschmack leiten lassen, und dort sind die Dinge nicht mal sortiert, sie stehen und liegen kreuz und quer auf überfüllten Tischen oder in vollgestopften Regalen. Jedes Teil ist ein Einzelstück und gemeinsam ergeben sie ein Ambiente, dem ein gewisser Zauber anhaftet. Nicht umsonst beginnt Michael Endes „Die unendliche Geschichte" in einem Antiquariat und nicht umsonst hat ein alter Mann in New York, der jeden, der möchte, in seiner Wohnung voller Fundstücke aus seinem Leben empfängt, es bis in einen Kurzfilm geschafft, der von jungen Menschen begeistert mit „beautiful", „amazing" und „magical" kommentiert wird.
Das ist wohl die Antwort auf die zweite Frage: Ich verstehe, dass es diesen Zauber gibt. Alle Dinge im Antiquariat schreien „Hier, ich, Charakter, Charakter!" und man fragt sich, durch welche Hände sie schon gegangen sind, an welchen Körpern sie schon getragen und in welcher Küche benutzt wurden. Das ist schön und spannend und ich hätte nur allzu gerne diesen Blick, der das herausfiltert, das nicht nur so aussieht, als könne jemand dazu etwas Abendfüllendes erzählen, sondern das auch noch genau zu meinem Geschmack passt. Aber ich habe ihn nicht. Dafür habe ich leider das Gefühl (und das ist ebenfalls eine Antwort auf die zweite Frage), dass ich ihn haben sollte.
Denn Stöbern ist eine Kulturpraxis, die, so scheint mir, moderne junge Frauen dringend beherrschen sollten. Das hat wohl mit dem altbekannten Individualisierungsdrang zu tun: Ich kann mir selbst kein Kleid nähen, aber ich kann eines kaufen, das niemand sonst hat. Und ich kann dir Geschenke machen, die etwas ganz Besonderes sind, weil ich sie nicht im Kaufhaus aus dem Regal genommen, sondern mit Geduld, Spucke und einer tabellarischen Aufstellung der Dinge, die dir gefallen, vor Augen, in diesem süßen kleinen Laden gefunden habe. Man verstehe mich nicht falsch: Ich liebe solche Geschenke. Gerade darum würde ich sie ja auch selbst gerne machen. Gerade darum glaube ich ja auch, dass man Stöbern können muss. Ein Gedanke, der dadurch verstärkt wird, dass es in meiner Peer-Group ein anerkanntes Zeichen von Geschmack, Individualität und irgendwie sogar Lebensfreude ist, sich mit Sachen zu umgeben und einzukleiden, die man erstöbert hat.
Ich habe einen hübschen Jugendstilschreibtisch, der in meinem ansonsten eher puristisch anmutenden Zimmer steht und den viele Besucher mit einem anerkennenden Blick und netten Worten bedenken. Dann kann ich von dem Gefühl kosten, dass viele Menschen jedes Mal haben, wenn jemand ihre Wohnung betritt. Wenn die Gäste sich umschauen und überall etwas entdecken, das ganz und gar einzigartig ist. Die Sache ist nur: Ich hätte den Tisch auf einem Flohmarkt oder in einem Antiquariat niemals gefunden. Ich fand ihn bloß, weil er, von einer frühere Generation geerbt, im Arbeitszimmer meiner Eltern stand. Da muss man nämlich nicht stöbern.
Text: nadja-schlueter - Bild: secretgarden / photocase.com