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Trans Repräsentation wie wichtig sie ist
Begriffsklärungen:
trans (oder transgeschlechtlich) bedeutet, dass sich eine Person nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde
cis bedeutet, dass sich eine Person mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde
Liebe trans Menschen,
als Joe Biden Rachel Levine als Gesundheitsministerin nominierte, war der Jubel groß. Die erste trans Frau auf einem solchen Posten in der US-Geschichte! In Deutschland sind wir noch nicht so weit, hier gibt es keine Bundesminister*innen, die offen trans leben. Bei anderen politischen Ämtern sieht es immerhin ein bisschen anders aus: Der erste trans Abgeordnete im Bundestag könnte der Grünen-Politiker Adrian Hector werden. Er ist seit seit 2019 Mitglied der Bezirksversammlung Altona und bewirbt sich jetzt um ein Bundestagsmandat. Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im bayerischen Landtag – sie war die erste deutsche Landtagsabgeordnete, die sich öffentlich als trans geoutet hat. Und die trans Frau Laura Patricia Kasprowski kandidierte in Mühlheim an der Ruhr (NRW) bei der Kommunalwahl – und wurde dafür von vielen Menschen angefeindet.
All diese Politiker*innen haben gemein, dass anlässlich ihrer Kandidaturen Zeitungsartikel und Radiobeiträge veröffentlicht wurden, die ihr Trans-Sein in den Vordergrund stellen. Es ist offenbar noch immer eine Nachricht wert, wenn offen trans lebende Menschen in der Öffentlichkeit stehen. Das ist nicht nur in der Politik so, sondern auch in den Medien.
Deswegen frage ich: Wie fühlt es sich an, eine Nachricht wie die über die Nominierung von Rachel Levine zu lesen? Wie findet ihr es, dass bei „Germanys Next Topmodel“ seit einiger Zeit auch trans Frauen teilnehmen und ihr Trans-Sein in der Sendung thematisiert wird? Freut euch das, oder seht ihr trans Personen in solchen Shows eher als Token?
Gibt das Mut – oder ist es auch deprimierend, immer wieder zu sehen, wie wenige trans Personen in wichtigen Positionen sitzen, wie wenige Stars offen trans sind? Die Aktion #ActOut zum Beispiel führte zu großer Resonanz. Und machte gleichzeitig deutlich, wie schwer es queere Schauspieler*innen auch heute noch haben.
Und: Wie sieht es eigentlich im ganz alltäglichen Umfeld aus? In Unternehmen, in Schulen, Organisationen, Büchern?
Alles Liebe
Eure cis Personen
Die Antwort:
Liebe cis Personen,
vor allem diejenige, die weiß, heterosexuell, nicht prekär lebend und ohne Behinderung sind: Wie geht es euch damit, in fast jeder Serie, jedem Artikel und im Bundestag oft ausschließlich Menschen wie euch zu sehen? Fällt euch das auf?
Uns schon. Wir vermissen Vorbilder. In einer Dokumentation über die US-Abgeordnete Danica Roem, eine trans Frau, kommt ein junges trans Mädchen zu Wort, das in der Schule gemobbt wurde und seinen Lebenswillen verloren hatte, bis es in der Zeitung von Danica las. Eine Frau wie sie zu sehen, die erfolgreich war, gab ihr neuen Mut: „She’s just like me. (…) If Danica can do that, I can do that. (…) I can become president one day or do the same thing Danica did.“
Auch wenn unsere Existenz für manche neu oder trendy erscheint – versucht, euch auf unsere Lebenswelten einzulassen
Heißt das, alles wird besser, weil eine trans Person den Job übernimmt? Nein. Es macht wahrscheinlich niemanden glücklich, zu wissen, dass der eigene Asylantrag von einer trans Person abgelehnt wurde oder dass es eine trans Person war, die auf sehr teure Beratungsfirmen gehört hat und nun aus Kostengründen eure Kündigung veranlasst. Welche Forderungen stellen wir also, wenn wir sagen, wir wollen mehr trans Personen repräsentiert sehen?
Kommen wir mal irgendwo vor, dann wird vor allem auf unsere Identität hingewiesen, eventuell sogar damit geworben. Wir fallen auf. Wir haben etwas, das als „anders“ wahrgenommen wird. Wer als anders wahrgenommen wird, wird schnell anders behandelt. Das ganze Gerede von einer „bunten Welt“ führt oft dazu, dass wir wie Farbkleckse auf einer weißen Wand gesehen werden. Eine schöne Verzierung, die zum Beispiel die öde Modewelt endlich wieder etwas spannender werden lässt. Es geht aber nicht darum, dass eine 47-jährige Frau aus Bergisch Gladbach von einer vom eigenen Leben gelangweilten High Society bestätigt bekommt, wie „keck“ ihre Sendung durch uns doch geworden ist. Versteht deshalb bitte: Auch wenn unsere Existenz für manche neu oder trendy erscheint – versucht, euch auf unsere Lebenswelten einzulassen und akzeptiert uns als Menschen, nicht als Modeerscheinung.
Menschen, die ihr teilweise schon kennt, wie die Schauspieler*innen, die euch mit der Aktion #ActOut nun eine neue Seite von sich zeigen. Es gibt wahrscheinlich in eurem Alltag Leute, von denen ihr nicht wisst, dass sie trans sind. Einige von uns haben gelernt, dass sie besser behandelt werden, wenn sie ihr Trans-Sein verstecken. Ich hoffe, ihr fragt euch, weshalb das so ist und informiert euch darüber, wie ihr trans Personen helfen könnt, die Öffentlichkeit nicht zu scheuen. Es gibt außerdem viele Wege, diejenigen zu unterstützen, die bereits ganz öffentlich trans sind und deshalb Anfeindungen erleben. Menschen wie du, die aber in vielen Alltagssituationen nicht mitgedacht werden oder die sich ständig erklären müssen. Ich möchte, dass ihr hinterfragt, weshalb zum Beispiel Rachel Levine in vielen Zeitungsartikeln nur als „erste trans Frau“ und nicht mit ihrem Namen auftaucht. Als hätten wir außerhalb unseres Trans-Seins keine Persönlichkeit und keine Verdienste.
Repräsentation alleine sagt nichts darüber aus, wie gut eine Gesellschaft tatsächlich mit denjenigen umgeht, die an ihren Rand gedrängt werden. Eine Quote alleine löst die Strukturen nicht auf, die sie nötig werden lassen. Auch trans Personen können transfeindlich sein. Vor allem die, die sich besonders verbiegen, um die Karriereleitern aufzusteigen, die für cis Personen gemacht sind. Es sind selten die Unangepassten, die es an bedeutsame Positionen schaffen. Dafür müssten sich Strukturen ändern. Nicht ohne Grund heißt es „strukturelle Diskriminierung“: Es geht nicht ausschließlich um die Vorurteile von Einzelpersonen, die zum Beispiel keine trans Person anstellen, sondern darum, dass der Arbeitsmarkt an sich nicht gelernt hat, mit trans Personen umzugehen. Strukturen lösen sich nicht auf, indem wir alle versuchen, als cis Personen gelesen zu werden. Wie Rosa von Praunheim in einem Filmtitel vor fast genau 50 Jahren feststellte: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. Analog sei gesagt: Es kann nicht darum gehen, dass trans Personen sich anpassen. Die Gesellschaft muss sich ändern.
Ihr werdet uns nicht los, wenn ihr uns ignoriert oder uns auszulöschen versucht. Wir bleiben
Es gibt ein Gedicht von Zoe Leonard, es heißt „I want a president“. Es hat mich schon häufig motiviert, weil es mich träumen lässt. Im Gedicht malt Zoe Leonard sich eine Präsidentin aus, die eine Repräsentation derjenigen ist, die es selten bis nie in ein offizielles Amt schaffen. Sie werden nicht gewählt, weil sie nicht angepasst sind. Sie sind die ewigen Außenseiter. Wenn der Bundestag einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen soll, dann möchte ich dort eben auch eine trans Frau sehen, die von Sexarbeit und Hartz IV gelebt hat.
Politik und Wirtschaft haben gelernt zu sagen, dass sie Diversität wollen und gut finden, aber sie fragen immer noch danach, ob Personen denn auch qualifiziert genug seien nach den Maßstäben, die weiße cis Männerrunden in schlecht durchlüfteten Konferenzräumen gesetzt haben. Hat die Bewerber*in einen Studienabschluss? Ist die Kandidat*in trotz der alltäglichen Diskriminierungen noch selbstbewusst genug? Liebe cis Menschen, wenn trans Personen bisher irgendwo nicht vorkamen, dann lag das oft an euren Maßstäben. Wir wurden ja nicht durch Zufall aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. In vielen Ländern hat vor allem der Kolonialismus dafür gesorgt, dass trans Menschen abtauchen mussten oder ermordet wurden. In Deutschland wurde die gesundheitliche Versorgung von und das Wissen über trans Personen durch den Holocaust um Jahrzehnte zurückgeworfen. Magnus Hirschfeld gründete 1919 ein Institut für Sexualwissenschaft, das auch für viele trans Personen eine wichtige Beratungs- und Anlaufstelle wurde, bis es 1933 von den Nationalsozialisten vernichtet wurde.
Was ich sagen will: Cis Personen, ihr müsst euer Weltbild überarbeiten und Platz lassen für alle, die ihr bisher darin ausgrenzt. Sucht das Gespräch mit trans Personen und bezahlt sie für ihre Beratung, damit eure Verwaltungen, eure Organisationen und Veranstaltungen lernen, wie sie für trans Personen besser funktionieren können, falls ihr euch tatsächlich freut, wenn ihr uns seht. Falls nicht, dann werdet euch bewusst, dass wir diese Welt miteinander teilen – ihr macht es euch leichter, wenn ihr das endlich akzeptiert. Ihr werdet uns nicht los, wenn ihr uns ignoriert oder uns auszulöschen versucht. Wir bleiben.
Etwas geht allerdings verloren, wenn wir unsere Existenz immer wieder von Neuem erklären müssen: Die Komplexität unseres Seins, unserer Transitionen, unserer Sehnsüchte. Das ist ein wichtiger Aspekt, der nur mit einer Vielzahl an trans Menschen in der Öffentlichkeit deutlich wird. Je mehr unserer Geschichten und Biografien diskutiert werden, desto tiefer dürfen wir in unseren Erzählungen gehen. Denn Trans-Sein kann sehr unterschiedlich aussehen. Weiße nicht-binäre Personen mit Behinderung stehen vor anderen Herausforderungen als Schwarze trans Frauen.
Deshalb braucht es mehr Platz für komplexere trans Figuren auf den Bildschirmen, in Serien, Büchern und Filmen, aber auch für diejenigen unter uns, deren Biografien euch bisher misstrauisch gemacht haben.
Liebe cis Personen, ich freue mich darauf, mit euch diese Gesellschaft zu einer besseren für uns alle zu verändern! Dafür müsst ihr mit mehr von uns zusammenarbeiten und dabei unsere Menschenrechte achten, Strukturen verändern und uns in aller Komplexität sehen: Als Personen, die mehr sind als trans.
Eure trans Menschen