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Schwule Männer, habt ihr wirklich mehr unverbindlichen Sex?
Liebe schwule Männer,
„boah, ich wünschte echt, ich wäre schwul. Alles wäre so viel einfacher“, diesen Satz habe ich schon sehr oft gehört. Von Freunden, Kumpels, Bekannten. Und so unterschiedlich die Männer waren, die diesen Satz ausgesprochen haben, sie alle hatten eines gemeinsam: Jeder von ihnen steckte knöcheltief in einer Dry Spell. In anderen Worten: Sie waren Single und hatten seit Wochen, ja, seit Monaten keinen Sex mehr. Hatten sich Abfuhr nach Abfuhr eingefangen, sind nach jedem einzelnen Club-Besuch alleine nach Hause gegangen – betrunken, ernüchtert, frustriert nach Hause gegangen.
Die Erklärung war immer die gleiche: „Wenn ich homosexuell wäre, würde ich einfach in die nächste Schwulenbar gehen und die Beischlafangebote würden mir nur so entgegenfliegen“ – das denken offenbar viele. Und anscheinend ist die sexuelle Frustration und Fixierung in diesem Moment so stark, dass Hetero-Männer tatsächlich zumindest für einen kurzen Moment glauben, homosexuelle Menschen hätten es generell einfacher als sie.
Muss man als schwuler Mann einfach in die nächste Bar gehen, wenn man Lust auf Sex hat?
Aber was ist dran an dem Klischee, dass homosexuelle Männer sehr viel häufiger und sehr viel schneller unverbindlichen Sex haben als heterosexuelle Menschen? Muss man als schwuler Mann einfach in die nächste Bar gehen, wenn man Lust auf Sex hat? Oder noch besser, einfach Grindr installieren und von der Couch aus innerhalb von wenigen Minuten schon einen attraktiven Sexpartner an der Seite sitzen haben? Was macht das mit der Erwartung an eine Beziehung oder überhaupt der Möglichkeit, eine langfristige Partnerschaft einzugehen?
Und wie beschissen ist es, solche unreflektierten Sätze wie den Eingangssatz zu hören? Denn dass Schwule sehr oft auch in monogamen Beziehungen leben, muss man vermutlich niemanden mehr erklären. Und dass Homosexuelle immer wieder wegen ihrer Sexualität diskriminiert werden oder sogar Gewalt erfahren, auch nicht.
Erzählt doch mal.
Eure Heteros
Die Antwort:
Liebe Heteros,
vom paradiesischen Sexleben in der schwulen Welt hat mir schon der ein oder andere Hetero vorgeschwärmt. Ich kann euch sogar gut verstehen. Unser Sexleben wirkt spannend, wild und unkompliziert – wie Porno, nur echt. Und ja, wenn wir das so wollen, kann es wirklich so sein, wie ihr es euch vorstellt. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Unverbindlicher Sex ist keine Seltenheit unter MSM, also Männern, die Sex mit Männern haben – und das sind übrigens nicht ausschließlich schwule cis Männer. Ja, es gibt Orte, die wir besuchen können, wenn wir Lust auf schnellen, unkomplizierten Sex haben, zum Beispiel Bars, Clubs und Saunen. Allerdings: Nur, weil es sie gibt, heißt das nicht, dass wir uns alle Sonntags nach dem Tatort zur Homovollversammlung im Darkroom treffen. Persönlichen Geschmack, Vorlieben und Bedürfnisse gibt man nicht an der Garderobe ab. Und es ist auch nicht so, als würden die Männer Schlange stehen, sobald man solche Orte betritt. Eins müsst ihr Heteros nämlich endlich mal verstehen: Schwul sein bedeutet, dass man auf Männer steht – aber doch nicht auf alle! Glaubt mir, auch wir kennen das Gefühl sehr gut, morgens um fünf gefrustet alleine nach Hause abzuziehen.
Für uns ist es einfach, sich online für schnellen Sex zu verabreden
Ich hatte oft mit Männern Sex, indem wir uns online verabredet haben. Denn das ist auch echt bequem. Problemlos nach Haarfarbe bis Fetisch filtern, Hobbies oder Verhütungsmethoden checken, Grußformeln und Dickpics austauschen. Also ja, es besteht durchaus die Möglichkeit, ruckzuck den nächsten Sexpartner vor die Türe zu bestellen.
Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass man als Nutzer dieser Apps schon mal nach wochenlanger Planung Minuten vor dem Treffen wortlos blockiert wird. Oder dass man damit konfrontiert wird, dass Menschen uralte Fotos verschicken, Lügenpaläste bauen oder spontan vergessen, dass sie ja eigentlich verhüten wollten. Tiefgründige Gespräche ohne Anzüglichkeiten führt man eher selten. Irgendwann kann man Chatverläufe sogar vorhersehen. Fragt mal einen Schwulen, was er mit dem Satz „Hi, was suchst du?“ verbindet.
Und dann sind da diese Momente, in denen man sich mitten in der Nacht plötzlich fragt: „Habe ich gerade sechs Stunden stupide durch die immer gleichen Online-Listen gescrollt, ohne auch nur ansatzweise mit jemandem kommuniziert zu haben?“ Glaubt mir, liebe Heteros, in dieser Situation fühlt man sich mickrig und einsam.
Es gibt genügend Männer, die in monogamer Partnerschaft mit einem anderen Mann leben. Das ist schön so. Wir sehnen uns fast alle nach Liebe und Geborgenheit. Aber es ist sicher so, dass die scheinbare Dauerverfügbarkeit von unverbindlichem Sex den Lebensentwurf vieler schwuler Männer beeinflusst. Schließt das eine das andere aus? Es ist kein Geheimnis, dass es viele schwule Beziehungen gibt, die von der klassischen, monogamen Zweierbeziehung abweichen. Für viele klappt das auch ganz hervorragend. Wir haben sehr viele Möglichkeiten und sprechen ziemlich offen darüber – aber das bedeutet auch viel Probieren, bis man rausfindet, was man eigentlich will. Bei vielen dauert das ein ganzes Leben.
Viel Sex heißt nicht gleich ausnahmslos guter Sex
Der Prozess, sich von Konventionen zu lösen und zu erkunden, was das Richtige für einen selbst ist, strengt oft an. Ironischerweise habe ich mir genau deshalb früher oft gewünscht, ich wäre heterosexuell. Große Liebe in der Schule treffen, heiraten, Familie, glücklich bis ans Lebensende. Ich dachte, als Hetero wäre alles – und das kommt euch jetzt bekannt vor – so viel einfacher. Klar, so läuft das vielleicht in romantischen Hollywood-Komödien, aber das echte Leben erweist sich meist als weniger geradlinig.
Insofern kann ich euren Neid verstehen. Ja, unser Sexleben scheint sehr verlockend. Aber denkt dran: Viel Sex heißt nicht gleich ausnahmslos guter Sex. Und sowieso: Sex ist am Ende vom Tag auch nur ein Teil des Lebens einer schwulen Identität. Wir schlagen uns genau wie ihr herum mit Problemen, Dramen, Liebeskummer und auch Dry Spells.
Eure Schwulen
PS: Unter Schwulen genießt in letzter Zeit witzigerweise eine App den Ruf, für die Suche nach ernsthaften Beziehungen besser geeignet zu sein als die klassischen Gay-Apps, weil Sex nicht so im Zentrum steht: Tinder.