- • Startseite
- • Querfragen
-
•
Querfrage: Was ist die beste Reaktion auf ein Coming-out?
Welche Fragen sind übergriffig, welche notwendig, welche Reaktion auf ein Coming-out am besten?
Liebe queere Menschen,
eine Freundin hat mir kürzlich erzählt, dass sie lesbisch ist. Seitdem zerbreche ich mir den Kopf darüber, ob ich auf ihr Coming-out gut reagiert habe. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich für sie freue, gefragt, ob sie schon jemanden kennengelernt hat, und bei wem sie schon alles geoutet ist. Klar, ich bin neugierig, aber waren das zu viele Fragen für den Anfang? Nervt es euch, wenn wir euch in so einer Situation löchern?
Sie erzählte mir, wie andere auf ihr Coming-out reagiert haben. Ich fühlte mich sofort schlecht und dachte: „Hätte ich ihr doch besser versichert, dass das natürlich nichts an unserer Freundschaft ändern wird, oder ihr grinsend erzählt, dass ich es mir schon seit Längerem gedacht habe.“ Ich war einfach komplett überfordert. Aber gibt es die eine richtige Reaktion überhaupt? Und wovon hängt sie ab?
Gibt es Sätze, die ihr gar nicht (mehr) hören wollt?
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, auf ein Coming-out zu reagieren. Man kann sich einfach für die Person freuen. Oder sich selbst auch outen, denn: warum sollten sich Heteros nicht auch outen müssen? Eine weitere Möglichkeit: Man macht kein großes Ding draus, denn das ist es im Jahr 2021 ja auch nicht mehr, hoffentlich. Nervt es euch, wenn wir nach eurem Coming-out sofort die bunten Flaggen rausholen, um zu zeigen, dass wir auf eurer Seite sind? Wollt ihr danach ein Gespräch über Sexualität mit uns führen oder einfach nur kurz die Information droppen?
Ihr merkt also, ich bin ziemlich unsicher auf dem Gebiet. Ihr habt euch schon oft outen müssen und viele Reaktionen darauf erfahren, seid also, gezwungenermaßen, Profis auf diesem Gebiet. Welche Reaktion hat euch am besten gefallen? Gibt es Sätze, die ihr gar nicht (mehr) hören wollt?
Erzählt doch mal.
Eure nicht-queeren Menschen
Die Antwort:
Liebe nicht-queere Menschen,
ich kann euch ja mal von ein paar Reaktionen erzählen, die ich ganz gut fand. Zum Beispiel die meiner Mutter: Die war kurz verdutzt, überlegte dann schnell, dass die Gesellschaft nicht mehr ganz so homophob ist wie früher und dass ihr Kind okay sein wird – und wollte danach wissen, ob ich denn gerade verliebt sei. Die des jungen Mannes, der mich auf der Straße angesprochen und um ein Date gebeten hatte, und der dann meinte: Oh, dass ich lesbisch bin, sei schade für ihn, aber er würde mich trotzdem gerne kennenlernen. Die meiner Mitbewohnerin, die mich auf dem Weg in eine Bar gefragt hatte, auf welche Männer ich stehen würde – und sich dann sofort entschuldigte, weil sie verstand, dass sie mit solchen Fragen dazu beiträgt, dass Heterosexualität als Norm gilt. Die ihre Frage deshalb umformulierte und einfach weiter mit mir quatschte – und später wissen wollte, was sie besser machen könne.
Das alles waren ganz unterschiedliche Reaktionen, alle waren nicht „bilderbuchperfekt“ – aber alle waren der Situation angemessen und dem Verhältnis, das ich zu der jeweils anderen Person hatte. Alle gaben mir das Gefühl, dass ich respektiert werde. Mit dem jungen Mann auf der Straße hätte ich nicht weiter über meine Sexualität sprechen wollen, bei meiner Mitbewohnerin wäre ich enttäuscht gewesen, hätte sie sich nicht für die ganze Geschichte interessiert. Und die Reaktionen haben auch zu mir persönlich gepasst: Denn ich spreche inzwischen gerne über meine Sexualität. Das liegt daran, dass ich es früher nicht konnte und hoffe, heute vielleicht jemandem mit meiner Offenheit helfen zu können. Andere haben aber gute Gründe, warum sie das nicht möchten. Dass die Reaktion zu den Umständen und zur Person passen muss, macht es aber auch so schwierig, eure Frage zu beantworten.
Bei unserem Coming-out geht es um uns, nicht um euch
Es gibt eben leider kein Patentrezept; auch ich selbst bin mir manchmal unsicher. Aber sich als queere Person nicht nur ständig outen, sondern auch immer wieder erklären zu müssen, warum eine Reaktion darauf vielleicht nicht so dolle oder sogar verletzend war, das nervt. Deshalb hier ein paar Dinge, die euch und uns helfen könnten:
1. Erwartet kein Coming-out von uns Es ist unfair, dass nur queere Menschen sich outen müssen – zumal so ein Coming-out ja Mut und Vertrauen erfordert. Ich würde mir deshalb wünschen, dass ihr von vornherein mitdenkt, dass euer Gegenüber queer sein könnte. Dass ihr also nicht fragt: „Hast du einen Freund/eine Freundin?“ Sondern vielleicht: „Bist du in einer Beziehung?“ Dass ihr normalisiert, dass Geschlecht nichts ist, was man von außen erkennen kann – vielleicht, indem ihr eure Pronomen bei Zoom, Skype oder Twitter nennt. Und auf jeden Fall, indem ihr nicht so etwas sagt wie: Du hättest dich längst bei mir outen müssen.
2. Seid nicht beleidigt, wenn ihr nicht die Ersten seid, mit denen wir über unsere Sexualität oder Geschlechtsidentität sprechen
Bei unserem Coming-out geht es um uns, nicht um euch. Und verkneift euch Aussagen wie „Damit habe ich kein Problem“ oder „Finde ich super“. Nicht falsch verstehen: Natürlich sind wir erleichtert, wenn das so ist. Nur sollte sich die Frage eigentlich gar nicht stellen. Unsere Queerness ist nichts, das ihr bewerten sollt oder von eurer Meinung abhängt.
3. Fragt bitte nicht: Bist du dir sicher? Ist das eine Phase?
Wenn wir uns outen, dann wissen wir, ob und wen wir begehren, ob und mit welchem Geschlecht wir uns identifizieren. Falls wir uns tatsächlich unsicher sind und mit euch darüber sprechen möchten, dann tun wir das von uns aus. Fragt bitte auch nicht: Hattest du schon mal eine Freundin/einen Freund? Das wirkt, als würdet ihr uns und unsere Sexualität überprüfen. Und wenn ihr sagt, dass ihr euch das schon gedacht habt oder umgekehrt, dass ihr das nie erwartet hättet, dann reproduziert ihr Vorurteile oder wirkt besserwisserisch – weil wir selbst ja vielleicht lange gebraucht haben, um zu verstehen, dass wir queer sind.
4. Macht euch Gedanken über den Coming-out-Moment hinaus Denn euer Gegenüber ist nicht nur in dem Moment queer, in dem es sich bei euch outet. Deshalb: Lernt, interessiert euch, hört zu, setzt euch ein – aber nicht über unsere Köpfe hinweg. Das macht es übrigens auch anderen leichter, sich bei euch zu outen.
Aber wir merken schon, wenn ihr euch bemüht, auf unser Coming-out möglichst gut zu reagieren. Und das ist ohnehin das Wichtigste: dass ihr euch Gedanken um uns macht und lernen wollt, uns zu unterstützen. Wenn das eine Weile dauert, finde ich das auch in Ordnung – ich habe schließlich Jahre gebraucht, bis ich wusste, dass ich lesbisch bin und wie ich damit umgehe.
Insofern: Ihr werdet das schon ganz okay machen.
Alles Liebe,
eure queeren Menschen