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Non-binäre Pronomen: Wieso werden sie kaum verwendet?
Anmerkung vorab: Diese Frage wird von einer non-binären Person gestellt, also von einem Menschen, der sich weder eindeutig als Mann noch als Frau definiert. Beantwortet wird sie von einer cis Frau – cis Menschen fühlen sich dem Geschlecht zugehörig, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wird.
Liebe cis Personen,
als Innenminister Horst Seehofer vor einigen Wochen drohte, taz-Journalist*in Hengameh Yaghoobifarah aufgrund der „All cops are berufsunfähig“-Kolumne anzeigen zu wollen, löste das hitzige Diskussionen aus. Abgesehen davon, ob nun Solidarität gezeigt wurde oder nicht, stach mir im Rahmen dieser Debatte vor allem Folgendes ins Auge: Sowohl große Medien als auch vereinzelte Personen in den sozialen Medien nehmen nicht ernst, dass Yaghoobifarah non-binär ist und geschlechtsneutrale Pronomen benutzt. Stattdessen wurde Yaghoobifarah falsch gegendert und als „Autorin“ und „Kolumnistin“ bezeichnet. Es wurde von „sie“ und „ihr“ gesprochen, nicht von „they“ oder „them“ – obwohl sich Yaghoobifarah mit diesen Pronomen identifiziert.
Das hat mich als non-binäre Person sehr gestört. Zwar wird Sprache inklusiver und immer mehr Menschen und Medien nutzen gendersensible Sprache. Doch viele von euch sträuben sich, falsche Pronomen zu umgehen. Dabei könntet ihr mühelos die Pronomen durch Namen ersetzen – oder non-binäre Pronomen verwenden. Liegt das vielleicht an der deutschen Sprache, die kein Äquivalent zum Englischen „they/them“ bietet? Im Englischen ist dieses Pronomen immerhin weithin als das Pronomen für Non-Binäre anerkannt, in Deutschland gibt es nicht die eine richtige Form. Oder ist es euch einfach nur unangenehm, zuzugeben, dass ihr das binäre Geschlechtersystem in eurem alltäglichen Sprachgebrauch so stark internalisiert habt, dass ihr euch lächerlich vorkommt, diese Gewohnheit abzulegen?
Klar gibt es noch viele Menschen, die darauf beharren, es gebe nur zwei Geschlechter, weshalb sie uns absichtlich misgendern. Doch auch sogenannte Verbündete – und traurigerweise manchmal auch Personen innerhalb der LGBTQ+ Community – nehmen sich Pronomen, die von „er“ und „sie“ abweichen, einfach nicht zu Herzen. Woran liegt das?
Liebe Grüße,
eure non-binären Menschen
* Side note: Nicht alle Personen, die nicht-binär sind, benutzen (nur) geschlechtsneutrale Pronomen. Deswegen ist es grundsätzlich wichtig, nicht-binäre Menschen nach ihrem Wunschpronomen zu fragen.
Die Antwort:
Liebe non-binäre Menschen,
ich würde jetzt so gerne sagen: Wir bemühen uns ja. Alle. Immer. Aber das wäre gelogen. Ja, ihr habt Recht: Auch mir ist aufgefallen, dass sehr viele Menschen und Medien Hengameh Yaghoobifarah falsch gegendert haben. Wieso das so ist? Ich denke, man muss hier über zwei Bereiche sprechen: Den ganz privaten Gebrauch von non-binären Pronomen, also dann, wenn ich mit Freund*innen oder meinen Eltern spreche. Und die Frage danach, wie Medien mit diesen Pronomen umgehen.
In beiden Fällen geht es erst einmal um Sensibilität – und davor noch um Wissen. Im Fall von Yaghoobifarah habe ich in Gesprächen festgestellt, dass vielen gar nicht bewusst war, dass Yaghoobifarah sich selbst als non-binär definiert und deswegen nicht „Autorin“ ist sondern „Autor*in“. Nicht-Wissen führt zwangsläufig zu misgendern. Doch selbst, wenn man weiß, dass jemand non-binär ist, ist es natürlich nicht hilfreich, dass es im Deutschen keine einheitlichen sprachlichen Regeln gibt für die Bezeichnung von non-binären Menschen.
Im Englischen gibt es „they“, im Schwedischen gibt es seit 2015 das Pronomen „hen“. Dort verwenden Medien diese Pronomen, sie stehen in Lexika. Das wirkt, es führt dazu, dass nicht-binäre Menschen sichtbarer sind, dazu gibt es Studien. Im Deutschen dagegen gibt es so viele individuelle Möglichkeiten, die alle ungewohnt auf der Zunge liegen und die viele noch nie gehört haben: sier, em, xen, manche verwenden auch das englische they.
Wenn man ehrlich ist, dann sind wir unsicher und faul
Weil wir das nicht gewohnt sind, verwenden wir sie dann lieber gar nicht, zumindest viele von uns. Wieso? Die Antwort trifft auf viele von uns zu und ist leider ziemlich bitter: Weil wir bequem und faul sind. Weil es uns unsicher macht und uns aus der Komfortzone schubst. Weil es ungewohnt ist, neue Worte zu verwenden, und weil man Angst hat, dass man dabei was falsch machen könnte. Das gilt auch für diejenigen, die versuchen, Verbündete zu sein.
Wenn wir versuchen, ein non-binäres Pronomen zu verwenden, sagen wir oft Sätze wie diese:
„Ich muss dir was über Tom erzählen. Also Tom bezeichnet sich ja als non-binär. Also ER hat gesagt … Ach nein, ER darf ich ja nicht sagen. Oder wie bezeichnet man IHN denn jetzt eigentlich … Sagt man THEY … Ach, ist das schwierig … Also, THEY hat gesagt … Oh, hört sich das komisch an, naja.“
Wir drucksen rum, wissen nicht so richtig, machen es dann vielleicht richtig, vor allem aber oft falsch. Dass das, mit Verlaub, scheiße ist, wissen zumindest einige von uns.
Meine Erfahrung ist: Wenn man ein Pronomen ein paar Mal verwendet hat, gewöhnt man sich daran, genauso wie an das gesprochene Gendersternchen. Viele von uns, die nicht in queeren Communities unterwegs sind, müssen sich aber sowieso nur sehr selten mit non-binären Pronomen auseinandersetzen, weil sie kaum damit in Berührung kommen. Wenn dann jemand wie Yaghoobifarah massiv in der Öffentlichkeit steht, sind wir überfordert, weil wir uns vorher nie damit beschäftigt haben.
Andere versuchen zwar grundsätzlich, sensibel zu sein, haben aber keine Lust, sich vor Leuten zu erklären, die das nicht sind. Ich habe im Vorfeld zu diesem Text mit Menschen gesprochen, die erzählen, dass sie in manchen Kontexten lieber misgendern als sich mit anderen plötzlich darüber zu streiten, was denn jetzt dieses komische Pronomen bedeuten soll. Dass das, gelinde gesagt, unfair und für Betroffene sehr schmerzhaft ist, hat René_ Hornstein hier schon einmal aufgeschrieben. Eine Freundin sagte mir, dass sie selbst immer wieder übe, non-binäre Pronomen zu verwenden. Um sich daran zu gewöhnen, um andere daran zu gewöhnen. Sie geht in Konfrontationen rein, weil es ihr wichtig ist. Und versucht im Kleinen, die Sprache zu prägen.
Und da kommen wir zu denjenigen, die Sprache ganz eindeutig prägen: Medien, die – wie ja auch von euch angesprochen – zum Beispiel Yaghoobifarah zu großen Teilen konsequent falsch gegendert haben. Manche Journalist*innen wussten gar nicht, dass sie einen Fehler machen. Anderen war es egal. Wieder andere scheiterten mit ihrem guten Vorsatz, es richtig machen zu wollen, an den Richtlinien der Verlage – denn in den allerwenigsten großen Redaktionen erscheinen Texte und Beiträge in geschlechtersensibler Sprache. Es ist immer noch ein Fortschritt, wenn zum Beispiel von „Lehrerinnen und Lehrern“ statt nur von „Lehrern“ geschrieben wird – Ausdrücke wie „Lehrende“ oder „Lehrer*innen“ sind ungewohnt bis unerwünscht. Ich glaube, dass sich das irgendwann ändern wird. Immer mehr Menschen pochen darauf. Andere dagegen wehren sich gegen Veränderung und wollen sich nicht vom generischen Maskulinum lösen. Doch an vielen Unis ist gendersensible Sprache schon Standard. Hausarbeiten werden gendersensibel verfasst. Diese Studierenden werden irgendwann in Unternehmen und in Redaktionen und in Schulen arbeiten, und sie werden ihre Kommunikation eher ungern wieder ins generische Maskulinum rück-transferieren, denke ich.
„Das haben wir schon immer so gemacht“ ist eben leider kein Argument
Bis dahin brauchen wir alle, die auch nur ein ganz kleines bisschen dafür sind, non-binäre Menschen auch sprachlich einzuschließen. Und die, wie meine Freundin, immer in die Konfrontation gehen. Wir brauchen den Mut, es einfach zu machen. Dabei kurz mal für Irritation zu sorgen. Zu erklären, wieso man jetzt „Autor*in“ sagt und nicht „Autorin“, und wieso das wichtig ist. Denn ganz ehrlich: Niemand verliert dabei irgendwas, außer vielleicht Bequemlichkeit. Im Buch „exit gender“ von Lann Hornscheidt und Lio Oppenländer heißt es: „Sich exgendernd sprachlich zu verhalten, macht dich sichtbar in einem Meer gegenderter Normalität. (...) Du wirst Fragen bekommen, du musst dich erklären, du bist nicht einfach selbstverständlich so da und verständlich für andere.“ Das könne auch dazu führen, dass man sich „übersichtbar“ fühle – ich finde, dieses Wort trifft es wahnsinnig gut. Übermäßig sichtbar, also exponiert zu sein, das ist oft anstrengend.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen das lernen können – und müssen. Dass wir die Phase der „Übersichtbarkeit“ überwinden sollten und dahin kommen, dass non-binäre Pronomen nicht mehr auffallen. Dass wir unsere Sprache aktiv ändern müssen. Weil Faulheit, Unsicherheit und „das haben wir schon immer so gemacht“ halt leider nicht die besten Argumente sind.
Bis dahin alles Liebe.
Eure cis Menschen