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Menschen mit körperlicher Behinderung, wie habt ihr Sex?
Liebe Personen mit einer körperlichen Behinderung,
Sex ist mittlerweile so gut wie überall: in der spanischen Serie „Elite“ kommt eigentlich keine Folge ohne eine Sexszene aus, in ihrem Lied „Wap“ singt die Sängerin Cardi B als eine der ersten Frauen explizit über weibliches Verlangen. Doch obwohl Sex so immer weiter enttabuisiert wird, gibt es ein Thema, das nirgendwo so richtig seinen Platz bekommt: Sex von Menschen mit einer körperlichen Behinderung.
Dabei habt ihr natürlich Sex, das ist mir spätestens klar, seitdem ich mich genauer mit dem paralympischen Skirennfahrer Enrique Plantey und seiner Freundin Triana Serfaty auseinandergesetzt habe, die auf ihrem Instagramkanal Sexistimos über das Thema Sex mit körperlicher Behinderung aufklären.
Die beiden Sportler*innen haben gemeinsam über die Jahre herausgefunden, was ihnen beim Sex gefällt. Doch können alle Menschen mit Behinderung ihr Sexleben so selbstbestimmt gestalten? Wie frei fühlt ihr euch beim Sex? Nutzt ihr Hilfsmittel oder Sexualassistenten? Gibt es etwas, das euch beim Sex einschränkt oder auf das ihr besonders achten müsst? Natürlich könnt ihr nicht für alle Menschen mit einer körperlichen Behinderung sprechen und natürlich gibt es auf diese Fragen nicht die eine, pauschale Antwort. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen.
Triana und Enrique beschreiben auf ihrem Kanal den sogenannten Paraorgasmus, einen Orgasmus, der nicht durch genitale Stimulation, sondern durch die Stimulation anderer erogener Zonen erreicht wird. Ich habe noch nie von einer nicht-behinderten Person gehört, dass sie so einen Orgasmus erlebt hat. Ist er bei Menschen mit einer körperlichen Behinderung häufiger?
Wie ihr merkt, ich bin ziemlich uninformiert. Denn: Über Sex von Menschen mit Behinderung wird einfach sehr wenig gesprochen. Deswegen frage ich mich auch: Wann sprecht ihr das Thema Sex beim Dating an? Gibt es genügend Informationsquellen für Menschen mit Behinderung, die Sex haben wollen? Und: habt ihr euch bei eurem ersten Mal gut aufgeklärt und sicher gefühlt?
So viele Fragen. Wir freuen uns auf eure Antwort(en).
Erwartungsvoll und gespannt,
Eure Menschen ohne Behinderung
Die Antwort:
Liebe Personen ohne Behinderung,
ich kann natürlich nicht für alle Personen mit Behinderung sprechen. Aber es freut mich, euch hier etwas über die Sexualität von Menschen mit Behinderung erzählen zu können. Dass das wichtig ist, merke ich vor allem daran, dass meiner Freundin und mir oft nachgesagt wird, dass wir kein Sex haben könnten. Ich habe Glasknochen und sitze deshalb im Rollstuhl. Sie ist gesund.
Weshalb denken viele Personen, Menschen mit Behinderung könnten keinen Sex haben? Sex ist eines der natürlichsten Bedürfnisse eines Menschen. Nur, weil wir Menschen mit Behinderung körperlich nicht alles tun können, haben wir nicht weniger Bedürfnisse, die wir befriedigen wollen – und auch können. Ich finde es anmaßend, wenn Menschen deswegen sogar überrascht sind.
Mein erstes Mal hatte ich mit einer Sexarbeiterin. Das würde ich heute nicht mehr so machen
Sexualität hat viel mit Attraktivität zu tun, vor allem, wenn es um schnellen und unverbindlichen Sex geht. Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand. Viele können sich Sex mit mir einfach nicht vorstellen. Es gibt sicherlich einige, die diesen „Kick“ wollen, aber ich zumindest möchte ungern als „Trophäe“ angesehen werden. Wir sind ja keine anderen Menschen.
Mein erstes Mal hatte ich mit einer professionellen Sexarbeiterin. Auch, um Fragen von einer potentiellen Partnerin in diesem Bereich besser beantworten zu können. Im Nachhinein würde ich das so nicht wieder machen. Denn Sex ist mit jedem Menschen anders, sodass man vor jedem ersten Mal mit einer neuen Person unsicher ist.
Menschen mit Behinderung müssen beim Sex kreativer sein und probieren dadurch mehr aus
Wir können unsere Sexualität nicht so frei ausleben, wie wir wollen, weil unser Umfeld oder die Assistenz uns einschränken. Zum selbstbestimmten Ausleben der Sexualität gehört es meiner Meinung auch, Sex an genau den Orten zu haben, an denen man eben Sex haben möchte. Doch meine körperliche Situation lässt das nicht zu. Bisher hatte ich Sex im Bett oder auf einem Sofa. Auch bei anderen sexuellen Handlungen müssen wir immer den Größenunterschied und auch meine Mobilität mit einbeziehen. Außerdem müssen wir insgesamt vorsichtig miteinander umgehen, da sonst meine Knochen brechen könnten. Aber nur, weil man nicht wild im Bett rumspringt, heißt das ja nicht, dass der Sex schlechter ist. Das Wichtigste am Sex ist meiner Meinung nach sowieso, dass beide Personen Spaß haben. Wobei mir persönlich der Spaß meiner Partnerin wichtiger ist als der eigene.
Dadurch, dass meine Knochen nicht so stabil sind, ist zum Beispiel auch wichtig, wie sich meine Sexpartnerin beim Orgasmus verhält. Wenn sie beim Oralsex die Beine fest verkrampft, kann das zu einer „Gefahr“ für mich werden. Passiert ist mir persönlich zwar noch nichts. Doch dass durch Sex schon Brüche bei Glasknochenbetroffenen passiert sind, ist mir bewusst. Wir nutzen keine Hilfsmittel – das ist aber wirklich individuell und kann bei anderen Paaren ganz anders aussehen.
Auch einen Paraorgasmus hatte ich noch nie – das heißt aber nicht, dass andere Menschen mit einer körperlichen Behinderung nicht ständig einen haben. Erregung entsteht meiner Erfahrung nach hauptsächlich im Kopf. Ich denke, dass Menschen mit Behinderung kreativer sein müssen und dadurch gewisse Dinge ausprobieren, die für Menschen ohne Behinderung seltener in Frage kommen, weil sie sie nicht brauchen.
Menschen mit Behinderung sollten die Möglichkeit haben, sexuell befriedigt zu werden. Das können viele leider noch nicht. Die Krankenkassen zahlen zwar für eine Sexualbegleitung, aber viele schämen sich und nehmen die Leistung nicht in Anspruch.
Damit sich das ändert, will ich alle Lesenden ermutigen, offener und freier über die Sexualität von Menschen mit Behinderung zu sprechen. Außerdem kann ich euch sagen: Sex mit einem Menschen mit Behinderung kann genauso gut oder auch schlecht sein wie mit einem Menschen ohne Behinderung.
In diesem Sinne viele Grüße,
euer Mensch mit Behinderung