Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Frauen, wie findet ihr es, wenn historische Frauenfiguren idealisiert werden?

Empfindet ihr weibliche Vorbilder in der Geschichte als empowering?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Liebe Frauen,

ich werfe hier einfach mal ein paar Namen in den Raum: Aristoteles, Jesus, Mohammed, Karl der Große, Galileo Galilei, Beethoven, Darwin, Albert Einstein, Kolja Haaf. Prachtkerle, oder? Ach, den letzten kennt ihr nicht? Kommt noch, kommt noch. Davon gehe ich zumindest fest aus. 

Denn seit ich klein bin, habe ich gelernt, dass wichtige Menschen immer Männer sind. Und im Umkehrschluss, dass Männer wichtig sein müssen. Und können. Wir wähnen uns dafür gemacht, der Welt unseren Stempel aufzudrücken. Und können uns deshalb auch kaum vorstellen, wie es ist, als Mädchen im Geschichtsunterricht zu sitzen und vermittelt zu bekommen: Frauen sind nicht wichtig. Frauen schreiben keine Geschichte und du als Frau musst es gar nicht erst versuchen. 

Wobei sich das in den vergangenen Jahren zu ändern scheint. Es wird versucht, die Geschichte weiblicher zu machen – oder vielleicht auch einfach so weiblich, wie sie eigentlich sein müsste. Die Geschichtsbücher sind zwar immer noch von Männern dominiert, aber außerhalb davon gibt es immer mehr Biopic-Filme, Serien und Podcasts über starke Frauen oder Kinderbücher wie „Good Night Stories for Rebel Girls“, in dem die Geschichten der tollsten Frauen der Geschichte kindgerecht erzählt werden. Nicht zu vergessen: alle möglichen Listicles à la „Diese 100 Frauen in der Geschichte waren badass“.

Ist dieser Kult um die Besten und Größten nicht an sich ein Spiel, das Männer erfunden haben?

Das alles ist ja eigentlich sehr zu begrüßen, weil auch Mädchen Vorbilder brauchen. Beziehungsweise weil auch Jungen weibliche Vorbilder guttun würden. Aber irgendwie bleiben da auch Fragen offen. Ich habe kürzlich einen Podcast über Katharina die Große gehört (neben Kleopatra, Jeanne D’Arc, Frida Kahlo und Marie Curie mit am beliebtesten in oben genannten Listen), in dem sich die Autorin Dana Schwartz über dieses „Badass-Frauen-der-Geschichte-Paradigma“ ärgert. Dadurch würden Nuancen verloren gehen und zum Beispiel Menschen wie Katharina die Große als weibliche Ikonen dargestellt werden, während sie gleichzeitig auch Profiteurin eines feudalen, unterdrückerischen Systems war.

Wie steht ihr dazu? Wird hier Geschichte in ein feministisches Narrativ gepresst? Und wenn ja, ist das gut oder schlecht? Findet ihr es kitschig oder empowering, wenn in Kinderbüchern historisch ambivalente Figuren als wilde, stolze, schöne Heldinnen dargestellt werden?

Und dann ist mir die Wirkung dieser Darstellungen und Aufzählungen weiblicher Vorbilder auch nicht ganz klar. Motivieren sie euch eher, weil sie euch zeigen, was alles in euch steckt? Demotivieren sie euch vielleicht, weil sie im Vergleich zur männlichen Hall of Fame dann doch etwas übersichtlicher sind? Oder sieht das nur so aus, wenn man männliche Kriterien ansetzt? Sollten wir Leistungen von Frauen anders bewerten, weil sie immer auch gegen viel größere Widerstände kämpfen mussten? Oder ist dieser Kult um die Besten und Größten nicht an sich ein Spiel, das Männer erfunden haben und das es vielleicht gar nicht mehr braucht?

Eure Männer

Die Antwort: 

Liebe Männer, 

ihr habt ganz richtig bemerkt: Denkt man an den Geschichtsunterricht, denkt man an Männer. Sehr viele Männer. Mir fallen nur eine Handvoll Frauen ein, die einen Platz in unseren Geschichtsbüchern bekommen haben: Sophie Scholl, Anne Frank, Marie Curie, Queen Elizabeth, Rosa Luxemburg. 

Dabei mangelt es nicht an spannenden und historisch relevanten Frauen. Da war zum Beispiel Fatima al-Fihri. Sie eröffnete im Jahr 895 die erste Universität der Welt in Fès, Marokko. Die Herausgeberin des weltweit ersten Fotobuchs war die Britin Anna Atkins. Die britische Mathematikerin Ada Lovelace war eine Pionierin der modernen Informatik und entwickelte eine eigene Programmiersprache. Sie gilt als die erste Person, die als Programmierer*in bezeichnet werden kann. Und Albert Einsteins erster Frau Mileva Marić wird nachgesagt, dass sie einen großen Anteil zu seinen ersten Arbeiten zur Relativitätstheorie beigetragen hat. Aber wie so viele Frauen in der Geschichte der Wissenschaft wurde auch sie um die Anerkennung dafür betrogen. Dabei sollte die Anerkennung einer Leistung nicht vom Geschlecht abhängig gemacht werden. 

Ihr kennt all diese Frauen gar nicht? Keine Sorge, vor meiner Recherche für diesen Text kannte ich sie auch nicht. Ich fand sie auf Listen wie „Diese Frauen solltest du kennen“ oder „100 Frauen, die die Welt verändert haben“. Ihr seht: Diese Listen können ziemlich praktisch sein. 

Es gibt und gab schon immer talentierte Frauen, aber sie hatten nicht die Chance sichtbar zu werden

Das Bewusstsein darüber, dass es diese „Badass-Frauen“ gab, welche es waren und wieso Frauen oft nicht so berühmt werden konnten wie Männer, hat meinen Freundinnen und mir in der Schulzeit gefehlt. Wieso sollten uns die weiblichen Idole, die ihr in eurer Frage beschreibt, also nerven? Ganz im Gegenteil: Das Konzept der „Badass-Frauen“ der Geschichte sind super. Sie sollten unbedingt mehr Aufmerksamkeit bekommen, auch in den Geschichts- und Kinderbüchern. Die meisten meiner Freundinnen haben sich nämlich nach solchen Heldinnen gesehnt. Sie hatten Sehnsucht nach weiblichen Vorbildern, die sie inspirieren, antreiben und motivieren. 

Da kann auch Katharina die Große zu einem Vorbild, zu einer weiblichen Ikone werden. Zwar hat sie vom feudalen, unterdrückerischen System des 18. Jahrhunderts profitiert. Es ist wichtig, das zu benennen und zu kritisieren. Ich finde, man darf sie dennoch feiern. Denn Tatsache ist: Frauen standen zu Lebzeiten von Katharina vor allem am Herd oder verstarben bei der Geburt eines ihrer Kinder. Während die Männer diejenigen waren, die in Kriegen kämpften, die Welt umsegelten und den Ruhm für bahnbrechende Erfindungen erhielten. Aber Katharina trotzte diesen Erwartungen, plante einen Putsch gegen ihren Mann und ließ sich 1762 zur Zarin ausrufen. Sie steckte ihren Mann, Peter, in Gefangenschaft und wurde noch am selben Tag zur Alleinherrscherin erklärt. Mehr Badass geht doch gar nicht, oder? Durch solche Figuren bekommen auch junge Mädchen das Gefühl, alles schaffen zu können – ziemlich empowering also. 

Es sollte egal sein, ob Vorbilder männlich, weiblich oder non-binär sind

Um deutlich zu machen, wieso in Geschichts- oder Kunstbüchern Männer eine größere Rolle spielen als Frauen, könnte man das auch genau so benennen, meinte eine meiner Freundinnen: Also in einem Disclaimer zum Beispiel erklären, wieso vor allem Männer bekannte Maler waren und mit welchen Hindernissen Frauen zu kämpfen hatten. So könnte das Verständnis weitergegeben werden: Es gibt und gab schon immer talentierte Frauen, aber sie hatten nicht die Chance, sichtbar zu werden. Vielleicht wird aus diesem Grund übrigens auch Frida Kahlo von vielen Frauen so verehrt – sie sticht als Frau heraus aus einer Masse männlicher Künstler. 

Eigentlich finde ich, dass es egal sein sollte, ob Vorbilder männlich, weiblich oder non-binär sind. Was eine Person getan hat, wie sie unsere Gesellschaft prägt, für was sie sich eingesetzt hat, all das sollte unabhängig vom Geschlecht gewürdigt oder auch kritisiert werden. Aber das können wir erst, wenn ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern geschaffen wurde. Wenn Frauen vermittelt wurde, dass ihr Geschlecht genauso viel leisten kann. Dafür braucht es Repräsentation. Gerne auch in Bilderbüchern, kindgerecht aufbereitet.

Und bis dahin sind meine Mädels und ich uns sicher: Wir bewerten die Leistung von „Badass-Frauen“ in der Geschichte automatisch ganz anders. Denn versteckte sich zwischen den ganzen Männern doch mal eine Frau, war das etwas ganz Besonderes. Sie blieb uns im Gedächtnis, machte uns stolz und gab uns Hoffnung, selbst auch Geschichte schreiben zu können. 

Eure weltverändernden Frauen 

  • teilen
  • schließen