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Querfrage: Frauen im Körper von Männern
Liebe Frauen,
stellt euch vor, aufgrund eines absolut bizarren und allen Gesetzen des Universums widersprechenden Blitzeinschlags würdet ihr einen Tag lang im Körper eines Mannes stecken. Und zwar nicht im Körper irgendeines Mannes. Sondern in dem von Jens.
Jens ist ein 30-jähriger weißer Hetero-Mann, hat einen BWL-Bachelor, verdient 50 000 brutto im Jahr, wohnt in einer Zwei-Zimmer-Altbauwohnung in einer deutschen Mittelstadt. Er ist seit der Corona-Krise Freeletics-Abonnent, Besitzer eines Sodastream in der Glas-Edelstahl-Version, Eiweißbrotesser, gelegentlicher Handy-Porno-Konsument. Jens hält sich selbst für woke und feministisch, weder das eine noch das andere wurde ihm aber bislang unaufgefordert von irgendjemandem bestätigt. Schon gar nicht von einer Frau. Er hat keine feste Beziehung, ist aber meistens auf der Suche nach der großen Liebe. Jens macht selber keine sexistischen Witze, weil er von seiner alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde, die ihn zwar schnell auf die Palme bringen kann, aber die er im Grunde liebt und respektiert. Jens widerspricht aber auch nicht, wenn einer seiner Fußballkumpels einen frauenfeindlichen Witz in der Whatsapp-Gruppe macht.
Er hat es relativ leicht in seinem Leben. Es wird ihm zwar nichts geschenkt, aber bislang kam Jens relativ gut voran, zum Beispiel im Job. Oft sahen die Chefs, die ihn einstellten, so aus wie er. Das alleine reichte zwar noch nicht, aber es stand ihm auch nicht im Weg.
Was würdet ihr also machen, wenn ihr einen Tag lang Jens wärt? Wir können uns vorstellen, dass ihr gerne die ein oder andere Körperfunktion erkunden würdet. Was würdet ihr ausprobieren wollen – neben Masturbation und im Stehen pinkeln natürlich? Mit so einem als „normal proportioniert“ geltenden männlichen weißen Körper gehen ja aber auch (leider) einige Privilegien einher. Wofür würdet ihr die gerne einsetzen? Würdet ihr etwa beim Lockerroom-Talk der Fußballkumpels einschreiten? Welches vermeintliche Geheimnis würdet ihr gern lüften?
Eure Jense
Die Antwort:
Liebe Männer!
Ich habe tatsächlich oft darüber nachgedacht, wie es wäre, Jens zu sein. Ich wusste nur noch nicht, dass ich so heißen würde. Ich habe mir ausgemalt, wie groß ich als Mann wäre (1,75 Meter), wann mein Bart angefangen hätte zu wachsen (mit 16 Jahren), wie groß mein Penis wohl wäre (nicht groß, aber wohlgeformt) und worauf ich bei Frauen stehen würde (mutig muss sie sein!). Deswegen weiß ich genau, was ich mit meinem Tag als Bizarro-Jens anfangen würde.
Masturbieren und im Stehen pinkeln steht tatsächlich nicht ganz oben auf meiner Liste. Weil, seien wir ehrlich, ob ich beim Wasserlassen hocke oder stehe, beeinflusst meine Lebensqualität eher marginal. Und irgendwie bezweifle ich, dass Jens bessere Orgasmen hat als ich. Nein, wäre ich ein Tag lang Jens, würde ich zuallererst rausgehen, meine Joggingschuhe anziehen und durch die Gegend rennen. Fühlen, wie viel stärker ich bin, wie viel schneller, wie viel freier, wenn die Brust nicht rumbouncet. Ich würde mit dem Rad durch die Stadt fahren und, ohne dafür auch nur einmal trainiert zu haben, rund 80 Prozent der Radfahrerinnen locker-flockig überholen. Ich würde mit meinen Freundinnen bouldern gehen und eine Runde Klimmzüge einlegen, wenn die schon keuchend auf der Matte liegen – einfach weil ich es kann.
Der grundsätzliche sportliche Leistungsunterschied zwischen Mann und Frau ist eine der Säulen der Welt, so fix und fest, dass man sich eigentlich nicht darüber zu echauffieren braucht – ändern kann man da eh nichts. Männer sind im Schnitt schneller, stärker und größer, so ist das halt. Dafür können sie im Normalfall keine Babys kriegen.
Eigentlich kann man diese geschlechtsspezifischen Körpermerkmale nicht gegeneinander aufwiegen. Aber es passiert trotzdem immer wieder: Ich als Frau soll nicht traurig sein, dass ich dazu veranlagt bin, schwächer zu sein, weil ich doch dafür mit einem Uterus gesegnet bin. Danke Oma, trotzdem fände ich es auch ganz nett, beim Umzug meine Couch selbst tragen zu können und nicht wie ein Vollidiot in der Ecke zu stehen, während Marc und Jens sich für mich stark machen. Dabei spreche ich sicherlich nicht für alle Frauen. Vielen ist das ganze Thema „sportliche Überlegenheit“ vermutlich absolut bums.
Gleich viel zu trainieren, aber weniger zu erreichen, ist für mich der Höhepunkt der Ungerechtigkeit
Ich aber werde nie die Monate meiner Teenagerinnenzeit vergessen, als meine männlichen Freunde im alpinen Sportverein auf einmal schneller waren als ich und dann auch noch länger durchgehalten haben. Irgendwie war das erniedrigend, egal wie naturgegeben es ist. Gleich viel zu trainieren, aber weniger zu erreichen, ist für mich der Höhepunkt der Ungerechtigkeit.
Einen Männerkörper zu haben, stelle ich mir aber nicht nur direkt beim Sporteln und Möbel schleppen chillig vor. Wäre ich einen Tag Jens, würde ich etwa auch Shirts und Hosen shoppen gehen. Die Auswahl ist zwar kleiner, aber dafür würden mir vielleicht vier von fünf Hosen passen. In der Arbeit würde ich mit meinem Chef entspannt einen Networking-Kaffee trinken gehen, ohne mich dabei blöd zu fühlen, weil es als Flirtversuch aufgefasst werden könnte. Ich würde meine behaarten Zehen anschauen und mich an ihrer schwarzen Gelocktheit erfreuen. In meinem Badezimmer könnte ich das obere Fenster öffnen, ohne mir einen Hocker zu holen. Im Winter würde mir ein einziges paar Socken reichen. Und wenn ich abends nach dem Feiern mit dem letzten Bus heimfahre, würde ich die schrullige Alte, die mich die ganze Zeit anstarrt, anlächeln – ohne Sorge, dass sie mir nach Hause durch den Park folgt. Weil selbst wenn: Die kann mir schon mal gar nichts.
Hinter dieser Selbstverständlichkeit, mit der sich meiner Vorstellung nach viele Jense und andere Männer durch den Tag bewegen, steckt für mich die folgende Frage: Wenn ich einen Tag Jens wäre, würden mich meine überdurchschnittliche Muskelkraft und mein Männerkörper unterbewusst selbstbewusster machen? Fühlt sich Jens heimlich anderen (primär weiblichen) Menschen überlegen, weil er beim Getränkekisten tragen keine Hilfe braucht? Und nein, ich würde die Identität eines Mannes niemals auf diese Körper-Komponente reduzieren. Aber ich frage mich doch: Hat sie einen Einfluss auf euch – und hätte sie den auch auf mich? Ich warte immer noch noch auf den erleuchtenden Blitzschlag – aber bis der mich erreicht, erzählt doch nochmal: Wie toll ist es denn nun wirklich im Stehen zu pinkeln?
Mit jensigen Grüßen!
Eure Frauen