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Lesbische Frauen, mögt ihr keine bisexuellen Frauen?
Liebe lesbische Frauen,
als bisexuelle Frau bin ich im Dating-Game natürlich auf der Suche nach anderen coolen Frauen. Beim fleißigen Hin- und Her-Wischen ist mir etwas aufgefallen: Habe ich das Profil einer lesbischen Frau vor mir, zögere ich kurz, auch wenn ich sie total attraktiv finde. Denn ganz ehrlich: Ich habe ein bisschen Angst, dass ihr uns nicht mögt.
Ich hole mal kurz aus: Bisexuelle kommen in der Szene nicht immer gut weg. Einige Vorurteile: Bisexuelle scheuen sich nur vor einem homosexuellen Coming-out. Sie wollen sich ihre Hetero-Privilegien bewahren. Und sie haben zwar gerne homosexuelle Affären, aber wenn es ernst wird (heiraten, Kinder kriegen), legen sie sich dann doch auf eine*n Hetero-Partner*in fest. Diese Vorurteile sind zwar Quatsch. Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass sie euch Sorgen machen. Denn natürlich haben wir es auf manchen Ebenen leichter als ihr: Wir Bisexuellen können uns zumindest beim Daten in der heterosexuellen Welt vor Diskriminierung verstecken. Auch unser Coming-out verlief deswegen oft anders. Damit fallen ein paar gemeinsame Erfahrungen weg.
Viele Frauen sind nicht bisexuell, sondern experimentierfreudig
Was wir auch nicht bieten können: Das Abfeiern der rein weiblichen Lesbenwelt. Wenn ich lesbische Tiktoks, Instagram-Accounts oder Youtube-Videos anschaue, bin ich manchmal richtig eingeschüchtert. Ihr feiert eure queeren Outfits, eure weibliche Power-Welt, zu der straighte cis Männer keine Zugang haben, und eure Gayness generell. Und dann wird auch noch über die lesbische Vorliebe gemunkelt, nur was mit Frauen haben zu wollen, die von Männern möglichst unberührt sind. Können wir da überhaupt mithalten? Wir sind schließlich die, die oft weiterhin als heterosexuell durchgehen. Wir schwärmen weiterhin für Männer, auch wenn wir Frauen lieben. Und sind meist nicht so sehr in die Szene eingetaucht wie ihr.
Erschwerend kommt hinzu, dass es viele Frauen gibt, die sich vorstellen könnten, aus Neugier und Experimentierfreude mit einer Frau zu schlafen. Nicht alle dieser Abenteuerlustigen schließen eine Beziehung mit einer Frau kategorisch aus. Trotzdem können solche Begegnungen natürlich zu Enttäuschungen führen, wenn man selbst etwas Ernsthaftes sucht und dann merkt, dass man nur das Abenteuer war. Dass der Begriff bisexuell momentan trendet und vielleicht auch inflationär verwendet wird, macht es nicht einfacher, herauszufinden, wie „ernst“ eine Frau es wirklich mit dem gleichen Geschlecht meint. Stecken wir Bisexuellen für euch auch in der Abenteuer-Schublade?
Führen all diese Umstände manchmal dazu, dass ihr euch nicht auf eine bisexuelle Frau einlassen wollt? Habt ihr Angst, dass wir euch für einen Mann verlassen könnten? Bevorzugt ihr insgeheim lesbische Frauen? Oder machen wir uns da viel zu viele Sorgen?
Viele Grüße
eure bisexuellen Frauen
Die Antwort:
Liebe bisexuelle Frauen,
ich habe mich mal umgehört, und kann euch beruhigen: Wir mögen euch. Also swiped uns gerne nach rechts, und schickt ’ne Nachricht mit lustigem GIF. Wir antworten auch, wenn wir euch cool finden. Nur, ich will euch nicht belügen, es kann passieren, dass manche von uns mit den funny Antwort-GIFs eine zarte Skepsis mitschicken. Oder eine ziemlich solide.
Warum? Warum skeptisch, wenn wir euch doch angeblich mögen? Das fragen wir uns auch. Wir Lesben, denen das ziemlich egal ist, ob eine Person lesbisch oder bisexuell oder pansexuell oder was ganz anderes ist, wir Lesben, die einfach nur tolle Frauen treffen wollen. Unsere bunte, endlos offene (hust) Welt werden wir aber hierfür hinter uns lassen, wir werden uns in die lesbischen Skeptikerinnen einfühlen.
Bleiben wir bildlich bei diesem GIF, an das wir Skeptikerinnen unsere Skepsis geheftet haben. Wenn wir das GIF abschicken – welche Ängste, welche Vorurteile sind in diesem Moment in uns? Ihr habt schon ein paar treffsichere Vorschläge gemacht, wie wir finden, liebe Bi-Frauen. Let’s see.
Ihr habt schon gut erkannt, dass wir unsere rein weibliche Welt abfeiern
Wir stellen eure Reihenfolge mal auf den Kopf, und fangen mit den Fake-Bis an, wie ihr sie liebevoll benannt habt. Die Fake-Bi-Angst beeinflusst uns nämlich vor allem beim frühesten Kennenlern-Step. Es ist in verschiedenen jüngeren Bubbles hip, als Frau bisexuell zu sein. Bi heißt offen, bi heißt anti Spießertum, anti Heteronorm. Manche von diesen selbsternannten Bi-Frauen können oder wollen sich aber gar nicht auf Frauen einlassen, sind also nach gängigem Label gar nicht wirklich bi (zumindest in diesem Moment; Sexualität ist nicht starr, sondern fluide). Eine Lesbe, die nach einer Frau sucht, mit der sie langfristig Unterwäsche teilen kann, wird von so einer Fake-Bi-Frau vielleicht enttäuscht. Das wird dann weitergetratscht, verallgemeinert, und am Ende seid ihr kollektiv verdächtig und wir: skeptisch.
Als nächstes ist da unsere plüscherne Lesbenwelt, die ihr angesprochen habt. Wir hatten immer unsere Räume, in den vergangenen Jahren haben sich die Jüngeren noch zusätzlich ein riesiges, hübsches Tiktok-Castle gebaut, weit weg von vom patriarchalen Heteroversum. Diese plüschige Welt bewohnen manche so fleißig, dass sie sich später in der realen Welt umschauen und ganz verwirrt sind, dass es Männer gibt; und Frauen, die hetero sind. Ihr habt schon gut erkannt, dass wir unsere rein weibliche Welt abfeiern. Es ist nicht nur fun, wir fühlen uns auch sicher. Wenn heterosexuelle oder bisexuelle Freundinnen von negativen Erfahrungen mit Männern erzählen, können wir nur geschockt, wütend, und bestimmt auch ein wenig selbstgerecht, den Kopf schütteln. Uns passiert so etwas kaum bis gar nicht. Wir wissen, dass Männer nicht kollektiv grausam sind, ihre Sozialisierung ist es aber oft. Bei uns ist es kuschelig und queer und lieb.
Ich glaube, manche von uns verstehen deshalb nicht, wie ihr euch in diesem heteronormativen, männerzentrierten Konsens bewegen könnt. Es vielleicht sogar bequem findet. Die Feministin Sara Ahmed vergleicht in ihrem Buch „Feministisch leben! — Manifest für Spaßverderberinnen“ die heteronormative Welt mit einem Sessel: „Denk mal darüber nach, wie es ist, sich wohlzufühlen: Zum Beispiel sinkst du in einen sehr bequemen Sessel. Bequemlichkeit handelt von der Passform zwischen Körper und Gegenstand: Mein bequemer Sessel ist für dich und deinen anders geformten Körper womöglich unbequem. (...) Heteronormativität funktioniert als eine Art öffentliche Bequemlichkeit, indem sie Körpern erlaubt, sich in Bereiche auszudehnen, die bereits ihre Form angenommen haben. (...) Wenn du Heterosexualität nicht bewohnst, fühlst du dich wahrscheinlich angesichts der Behaglichkeit der Heterosexualität unwohl (…).“
Natürlich ist es anmaßend, zu behaupten, dass ihr, nur weil ihr auch mit Männern seid, Heteronormativität saugemütlich findet. Ihr seid mit eurer Bisexualität ja auch schon abnorm. Aber ich glaube, allein dass es möglich ist, dass ihr euch wohl fühlen könntet, lässt uns annehmen, dass ihr niemals ganz verstehen könnt, wie unbehaglich es für uns ist. Dazu kommt, was ihr auch angesprochen habt: Wir haben uns in dieses Plüscherne hineinkämpfen müssen, viele von uns zumindest. Und auch, wenn wir hier drin unseren Safe-Space haben, außen wartet immer noch Feindlichkeit auf uns. Ihr genießt Heteroprivilegien (habt ihr ja als Vorurteil erwähnt, ist es aber nicht immer), und kommt dann zu „uns“ hereinspaziert. Das kann schnell eine Skepsis euch gegenüber auslösen, im schlimmsten Fall eine Feindschaft.
Manche Skepsis müsst ihr wohl noch ertragen, Fronten abbauen dauert leider
Ja, ja, wir wissen selbst, diese Standpunkte sind unfair und festgefahren, viele von uns finden sie auch nicht besonders toll, aber wir glauben, dass sie existieren, und deshalb erzählt gehören, und dass solche Standpunkte auch ziemlich normal sind. Heißt nicht, dass wir an anderer Stelle nicht schon weitergekommen sind, ihr habt von Vorurteilen gesprochen, und ich denke, ja, viele sind überholt, haben sich stark verringert, oder sind sogar zur peinlichen Stammtischfloskel geworden. „Bisexuelle können sich nicht entscheiden“ – sowas ist wirklich in großen Teilen der Community unsagbar geworden, viele andere höre ich ebenfalls weniger bis gar nicht mehr.
Liebe bisexuelle Frauen, manche Skepsis müsst ihr wohl noch ertragen, Fronten abbauen dauert leider. Alle anderen Lesben freuen sich aber jetzt schon bedenkenlos auf eure GIFs. Gerade ihr seid ja die personifizierte Auflösung von Fronten, die Verbindung zwischen multiplen Welten, der Beweis, dass es eben nicht nur das eine oder das andere gibt, dass es Vermischungen und Uneindeutigkeiten gibt und geben muss, dass Liebe etwas mit Menschen zu tun hat, und nicht unbedingt mit Geschlechtszuschreibungen. Bi-Frauen, wir mögen euch! Und wir wollen jetzt endlich eure Her-Messages, Bumble-Messages, Tinder-Messages, Instagram-Messages, schreibt uns im Notfall auf Facebook an, egal, die Pandemie macht einsam, also los. Los!
Eure lesbischen Frauen