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Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin
Knapp 50 Menschen stehen in der Kälte. Muslime, Juden, Christen. Sie halten Kerzen in ihren Händen, deren Flammen gegen die feuchte Luft und den Wind ankämpfen. Ein Mädchen, sechs Jahre alt vielleicht, kniet auf dem Boden. Auch um sie herum stehen unzählige Kerzen. Sie lacht. Niemand hier ist aufgebracht oder aggressiv, alle wirken herzlich. Die Menschen unterhalten sich mit gedämpften Stimmen und stecken die Köpfe zusammen.
Vor ihnen ragt grau das Rathaus des Berliner Stadtteils Neukölln auf, hinter ihnen ein riesiger Weihnachtsbaum mit Lichterketten. Dann hält Armin Langer, Gründer der Berliner „Salaam-Schalom Initiative“, eine kurze Rede. Er spricht über das Licht, das ins Dunkel gebracht werde muss, um ein respektvolles Miteinander zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen in Deutschland zu gewährleisten. Vor allem zwischen Muslimen und Juden, vor allem in Berlin. Ein Mann ruft dazwischen: „Armin, ich ziehe meinen Hut vor dir!“ und manövriert prompt seinen Hut vom Kopf.
„Mehr Licht! Für ein friedliches Zusammenleben in Berlin“ ist der Name dieser kleinen Demonstration am Dienstagabend. „Salaam-Schalom” hat sie organisiert. Die Initiative hat Armin Langer, selbst Jude, zusammen mit einigen Mitstreitern im Jahr 2013 gegründet. Seitdem setzt sich die Gruppe für ein besseres Zusammenleben zwischen Muslimen und Juden ein. Langer besucht Schulklassen, schreibt Bücher und Blogbeiträge und organisiert Demonstrationen wie diese. Aber er eckt auch an. Zum Beispiel durch einen 2015 in der taz veröffentlichten Kommentar, in dem er den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, für eine Aussage zur Obergrenze für Asylbewerber scharf kritisierte und riet, den Rat in „Zentralrat der rassistischen Juden“ umzubenennen. Dafür gab es viel Kritik.
Unter den Demonstranten vor dem Rathaus ist auch Sara, 24 Jahre alt. Sie besucht gerade ihre Eltern in Berlin. Sie stammen aus dem Iran. Sie selbst ist Muslimin und studiert in Paris „Internationale Beziehungen“. „Ich hatte nie Juden in meinem Freundeskreis“, sagt sie. „Durch Veranstaltungen wie diese bin ich mit vielen Juden ins Gespräch gekommen und das ist wichtig für das gegenseitige Verständnis. In Paris gibt es solche Orte der Begegnung gar nicht, dort sind die Ressentiments stärker.“ Sie überlege sogar, sagt sie, in Paris ähnliche Projekte zu organisieren.
Maria-Helena steht ein paar Meter entfernt. Als eine der ersten kam sie zum Treffpunkt vor dem Rathaus. Sie lebt seit 18 Jahren in Neukölln und ist überzeugt: „Es kann funktionieren. Ich bin Christin und lebe schon seit 18 Jahren in Neukölln – und friedlich mit Muslimen und Juden zusammen.“ Gassimi, der neben ihr steht und sich gerade eine Kerze anzündet, kommt eigentlich aus Potsdam, arbeitet aber in Berlin. Er ist spontan vorbeigekommen. Er sagt: „Ich denke, Konflikte leben von Missverständnissen. Alle sollten miteinander reden, um dagegen zu arbeiten. Ich bin gegen Konflikte und für ein harmonisches Miteinander.“ Seiner Meinung nach bräuchten aber nun mal alle immer einen Sündenbock.
Licht ins Dunkel bringen zu wollen, dann gemeinsam ein paar Kerzen anzuzünden, um gegen Diskriminierung und Antisemitismus zu kämpfen, und nach knapp einer Stunde wieder zu verschwinden – das ist natürlich etwas platt. Das gibt selbst Langer zu, als er kurz vor Beginn der Demonstration in einem Café sitzt. Er trägt eine Brille auf seinem runden Kopf, spricht ruhig, nippt an seinem Tee. Trotzdem wirkt er etwas gehetzt. Seine Augen wandern nervös hin und her. Er sagt: „Unsere Arbeit ist rational, aber vollkommen rational kann man eine Demo natürlich nicht gestalten. Wir spielen auch ein bisschen mit Gefühlen.“ Dann überlegt er kurz und ergänzt: „Aber nicht nur. Außerdem demonstrieren wir nicht nur gegen etwas, wie die AfD, sondern auch für ein gutes Miteinander.“
Auch medial eskaliert die Lage. Wie eigentlich immer, wenn die Situation in Israel problematisch wird
Ein wichtiger Grund für die Demonstration ist, dass in Berlin in den vergangenen Tagen nicht nur Kerzen angezündet wurden – auch Israelflaggen brannten. Lodernd, grell. Einige der über tausend Demonstranten, die sich immer wieder zusammengefunden hatten, um gegen die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch Donald Trump zu protestieren, grölten dazu antisemitische Parolen.
Im nahen Osten brodelt es. Die Arabische Liga hat als Gegenreaktion auf Trumps Entscheidung Ost-Jerusalem als palästinensische Hauptstadt anerkannt, angestachelt vom türkischen Präsidenten Erdogan. Und auch medial eskaliert die Lage. Mal wieder. So wie eigentlich immer, wenn die Situation in Israel problematisch wird. Es wird kommentiert, es wird analysiert, es wird oft hysterisch und Armin Langer sagt: „Wir sollten nicht so tun, als wäre Antisemitismus in Deutschland etwas Neues, dann das ist er nicht.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert jetzt lautstark einen Antisemitismusbeauftragten. „Wer israelische Flaggen verbrennt, verbrennt nicht nur seinen eigenen Anstand, sondern auch die Werte unseres Grundgesetzes“, schreibt Justizminister Heiko Maas (SPD) bei Spiegel Online. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) fordert: „Antisemitismus darf keinen Platz haben in dieser Bundesrepublik.“
Dass Antisemitismus keinen Platz in Deutschland haben darf, das sieht natürlich auch Armin Langer so. Wichtig ist ihm aber vor allem auch folgender Punkt: „Der Nahostkonflikt sollte unser Zusammenleben in Deutschland oder Europa nicht beeinflusst. Unsere Identitäten sind von Israel und Palästina erst mal unabhängig.“ Seiner Meinung nach ist hierzulande vor allem die Verantwortung der Medien enorm. Für Aufsehen sorgte zum Beispiel der Fall, in dem der Berliner Kurier geschrieben hatte, dass 1500 hasserfüllte Menschen in Berlin „Tod den Juden“ gebrüllt haben sollen. Viele Medien übernahmen diese Information. Im Nachhinein wurde das revidiert, die Nachricht jedoch blieb und bleibt in vielen Köpfen hängen – und spielt Rechten in die Karten.
„Ich bin nicht der Meinung, dass das Verbrennen einer israelischen Fahne an sich antisemitisch ist“
Armin Langer geht mit all der Aufregung gerade trotzdem rational und analytisch um. „Ich bin nicht der Meinung, dass das Verbrennen einer israelischen Fahne an sich antisemitisch ist“, sagt er zum Beispiel. „Die israelische Fahne steht nicht für das jüdische Volk, sondern für das israelische Volk. Das israelische Volk besteht aus Juden und Nicht-Juden, 20 Prozent der Bevölkerung sind Araber oder Drusen. Schlecht finde ich es trotzdem, weil Israelis unterstellt wird, sie alle würden Trumps Entscheidung unterstützen.“ Von strengeren Gesetzen, die das Verbrennen aller Flaggen – und damit auch das der israelischen – ahnden, hält er nichts. Er glaubt, dass so etwas nichts gegen antisemtisches Gedankengut ausrichten kann. Seine Lösung ist: „Förderung von Bildungsinitiativen und Begegnungsprojekten.“
Bei der Demo vorm Neuköllner Rathaus fällt auf: Die Begegnung und das Miteinander existieren zwar innerhalb der kleinen Menschenansammlung. Aber die meisten Passanten nehmen keine Notiz von der Gruppe. Zwei Polizisten blicken aus einem Auto mit etwas Abstand auf das Geschehen, haben aber nichts zu tun. Ein Punk gesellt sich kurz dazu, guckt, verschwindet. „Ich glaube nicht, dass die Fußgänger auf die Demo reagieren werden“, hatte Armin Langer vorher im Café gesagt.
Dann kommen drei Jungs um die 18, in Streetwear-Chic gekleidet, mit schwarzen Haaren und mutmaßlich arabischen Wurzeln. Sie stellen sich ganz nah zu einem Freund von Armin, der gerade eine Rede hält, und hören ihm dabei zu, wie er sich für Harmonie ausspricht. Sie wirken nachdenklich. Einer der Jungen zieht seine Stirn in Falten, einer kneift die Augen zusammen. Der Dritte möchte scheinbar weiter, macht eine Geste in Richtung seiner Freunde. Doch die wollen bleiben, bis die Rede beendet ist. Dann verschwinden sie in Richtung des nahegelegenen Einkaufscenters, ohne mit jemandem gesprochen zu haben.
„Ich bin zufrieden“, sagt Armin nach der Demonstration. Er wirkt entspannter. Auch kleine Erfolgserlebnisse sind ein Grund dafür, dass er weitermacht. Viele Aktivisten würden irgendwann aufhören, sagt er, weil sie das Gefühl haben, ignoriert zu werden. Aber diese drei Jungs gerade, die waren eben nicht ignorant: Sie haben sich die Positionen zumindest angehört.