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Warum wir Schwarze Menschen in Deutschland zählen sollten
„Schwarz“, „coloured“, „weiß“, „indisch“ oder „andere“. Das sind die Auswahlmöglichkeiten auf dem Fragebogen der University of Cape Town in Südafrika. Meine ersten Tage des Semesters beginnen mit Anmeldeformalitäten. Als ausländische Studenten müssen wir uns für Veranstaltungen einschreiben und Formulare ausfüllen. Eines davon fragt uns Neuankömmlinge nach der ethnischen Identität, auf Englisch: „race“. Direkt kommt ein Gefühl von Unbehagen in mir auf. Ich bin Mensch – nichts weiter. Menschen verschiedenen Kategorien zuordnen – das hatten wir doch schon mal. Wozu soll das gut sein?
Der 26-jährige Athenkozi Nzala studiert Online Learning Design an der University of Cape Town. Den Fragebogen mit der Überschrift „race“ kennt er wie jeder Südafrikaner von fast allen Behörden und Unternehmen. Der Sinn dieser Erhebungen steht für Athenkozi außer Frage. „Mit dem Ende der Apartheid verschwand der Rassismus ja nicht einfach. Er ist nicht mehr gesetzlich festgehalten, aber noch tief verwurzelt im Denken und Handeln vieler Menschen. Nur wer die Zahlen kennt, kann strukturellen Rassismus sichtbar machen und konkrete Maßnahmen vorschlagen, wie er zu bekämpfen ist. Zum Beispiel beim Anteil von Schwarzen Studenten an Universitäten.“ (Anm. d. Red.: Warum wir das Adjektiv „Schwarze“ groß schreiben? Steht hier)
Deutschland führt bereits Statistiken zu diskriminierten Gruppen
Mit Statistiken gegen Diskriminierung kämpfen – dieser Grundgedanke ist uns auch in Deutschland nicht fremd. Wir wissen, dass nur 27 von 197 Vorstandmitgliedern deutscher DAX-Unternehmen weiblich sind. Wir wissen auch, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung höher ist als bei Menschen ohne Behinderung.
Diese Statistiken sprechen eine klare Sprache: Wir diskriminieren Frauen und Behinderte. Nach dem üblichen Gerangel mit langjährigen Profiteuren des Status Quo beschloss der Bundestag daher Gegenmaßnahmen. Die Frauenquote soll die Führungsetagen auch für Frauen öffnen. Ebenso gilt eine Fünf-Prozent-Quote für Menschen mit Behinderung in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern.
Rassismus ist in Deutschland kein Randphänomen. Das hat erst im Sommer der Hashtag #MeTwo bewiesen. Und 92 Sitze des Bundestags gehören einer Partei, deren Mitglieder das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ diffamieren oder einen Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge fordern. Dennoch haben wir kaum Zahlen und Daten zur Benachteiligung von Schwarzen Menschen in unserem Land. Die UN-Arbeitsgruppe für Menschen afrikanischer Abstammung kritisiert das in einem Bericht von 2017 scharf. Deutschland brauche ethnisch-basierte Daten, um die Politik über systematische Benachteiligungen informieren zu können. Die bestehende Statistik zu Menschen mit Migrationshintergrund greife hingegen viel zu kurz.
Das Statistische Bundesamt vermerkt bei einem Menschen nur dann einen Migrationshintergrund, wenn die Person selbst ausländisch ist oder mindestens ein Elternteil nicht als Deutscher geboren wurde. Tahir Della, Pressesprecher der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“, erklärt, was das praktisch bedeutet. „Meine Frau und ich sind afrodeutsch. Meine Kinder sind also auch Afrodeutsche. Sie machen die gleichen Rassismuserfahrungen wie ich. Da wir Eltern den deutschen Pass besitzen, sind meine Kinder aber in keiner Statistik erfasst.“
Die Benachteiligung schwarzer Menschen beginne laut Della meist schon im Jugendalter. „Stereotypen spielen bei der Wahrnehmung Schwarzer Kinder eine große Rolle. Sie gelten meist als besonders lebhaft oder auch aggressiv. Später raten Lehrer Schwarzen Schulabgängern oft eher zu einer Ausbildung als zu einem Studium.“
Auf dem Arbeitsmarkt heißt es weiterhin „Michael vor Mustafa“. Das konnten Studien der Universität Konstanz und des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration nachweisen. Anwärter mit türkischen Namen erhielten bei gleicher Qualifikation 5,6 beziehungsweise 14 Prozent weniger positive Rückmeldungen als die Konkurrenz mit deutschen Namen. Vergleichbare Studien zur Hautfarbe liegen in Deutschland noch nicht vor.
Wir haben ein falsches Verständnis von Rassismus
Zwei Gründe scheinen bisher gegen die Erhebung von Antidiskriminierungsdaten zu sprechen: Unser Verständnis von Rassismus und die deutsche Geschichte. Daniel Gyamerah forscht zu Antidiskriminierungsdaten und ist Leiter des Projekts „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“, das sich für Vielfalt in Führungspositionen einsetzt. Gyamerah kritisiert, dass wir Rassismus viel zu einseitig verstehen. „Wenn ein Mob auf der Straße
Schwarzen Menschen den Kopf einschlagen will, verurteilen wir das als Rassismus. Dass etwa die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Behörden die Vielfalt der Gesellschaft keinesfalls widerspiegeln, erkennen wir hingegen nicht als Problem. Dabei ist genau das Rassismus – und so auch in der Definition rassistischer Diskriminierung in der UN-Antirassismuskonvention festgehalten.“.
Ein ethischer Drahtseilakt über dem Boden deutscher Geschichte
Daneben setzt das Erbe der deutschen Geschichte die Hemmschwelle für eine Kategorisierung von Menschen extrem hoch. Das zeigt die Nachfrage beim Innenministerium. Die UN-Forderung sei bekannt, eine Einführung von Antidiskriminierungsdaten aber „vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen in Deutschland“ nicht geplant.
Daniel Gyamerah kennt besorgte Reaktionen zu seinem Forschungsthema gut. „Oft wird mir gesagt: ‚So etwas kann man doch nicht machen. Wir hatten den Nationalsozialismus und Sie wissen doch, was damals passiert ist.‘“ Laut Gyamarah ist das mehr Gefühl als Argument. „Da scheint bei manchem die Angst mitzuschwingen, dass uns nur die fehlenden Statistiken über Menschen von einem zweiten Holocaust trennen.“ Gyamerah hebt zudem hervor, dass die Forderung nach Antidiskriminierungsdaten gerade von Betroffenen wie der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ ausgeht und nicht von staatlichen Organen.
Doch macht das die Statistiken immun gegen Missbrauch? Könnten nicht Rechtspopulisten mit ihrer Hilfe bestimmten Menschen das Deutschsein aberkennen? Gyamerah versteht die Befürchtung. Diese Aberkennung finde aber bereits unabhängig von jeglichen Datenerhebungen statt. „Die AfD definiert das Deutschsein schon die ganze Zeit rassistisch, nämlich über das ‚Weißsein‘. Klar ist aber, dass wir Datenmissbrauch durch strenge Regeln verhindern müssen.“ Dazu gehöre die Anonymität der Befragten. Außerdem dürften die Daten in keiner Form zum Nachteil der befragten Gruppen eingesetzt werden.
Tatsache bleibt aber: Antidiskriminierungsdaten bringen offiziell Menschenkategorien zu Papier, die bisher nur selten artikuliert werden. Spielt das Vertretern von Rassenideologien in die Karten? Laut Gyamerah ein häufiges Missverständnis, welches ebenfalls in unserer deutschen Geschichte begründet ist. „Wir glauben, sobald man etwa über Schwarze Menschen spricht, dass dies wie zu Nazizeiten ein biologisches Konzept sein muss. Im angelsächsischen Raum ist man sich hingegen viel eher bewusst, dass hier nicht eine biologisch begründete Menschenrasse, sondern eine sozial konstruierte Kategorie gemeint ist.“
Eine Waffe bekämpft ihren eigenen Schöpfer
Dass die Uni Kapstadt nach der ethnischen Identität seiner Studenten fragt, ist keine exotische Idee aus dem ach so fernen Südafrika. US-Amerikaner und Kanadier werden damit genauso groß wie in Europa die Briten. Südafrika zeigt aber wie kein anderes Land die Doppelbödigkeit dieser Frage: Mit einem Häkchen auf einer Liste entschied das Apartheidsregime einst über die Wertigkeit eines Menschen. Darüber, wo Südafrikaner wohnen und arbeiten durften. In welchem Zugabteil sie reisen und auf welcher Parkbank sie sitzen durften.
Heute soll die einst menschenverachtende bürokratische Waffe den Geist ihres eigenen Schöpfers bekämpfen. Die Statistiken dienen als Grundlage für gesetzliche Antidiskriminierungsmaßnahmen. Arbeitgeber müssen regelmäßig Pläne einreichen, wie sie zu beruflicher Chancengleichheit beitragen werden. Außerdem gibt es Beschäftigungsvorgaben für Neueinstellungen und die Zusammensetzung von Führungsgremien. Die Zahlen belegen aber auch: Als Allheilmittel taugen die Statistiken nicht.
Der Student Athenkozi gehört zur hochqualifizierten Schwarzen Elite. Dass er einmal auf einem Chefsessel Platz nehmen wird, ist statistisch gesehen weiterhin unwahrscheinlich. In Westkap, der Provinz seiner Universität, werden nur vier Prozent der hohen Managementpositionen von Schwarzen Südafrikaner besetzt. Der Blick auf die allgemeine Beschäftigung zeigt hingegen Fortschritte. Die Arbeitslosenquote der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika sank laut Zensus zwischen 2001 und 2011 von 50,2 Prozent auf 35,6 Prozent.
Südafrika sammelt all diese Zahlen, weil es eines erkannt hat: Rassismus ist nicht nur laut und gewalttätig. Denn struktureller Rassismus kommt aus keinem grölenden Mund auf Pegida-Demonstrationen. Er steckt vielmehr in stummen schriftlichen Absagen für Bewerbungen auf Jobs und Wohnungen. Ein Fragebogen wie an der Kapstädter Universität könnte dazu beitragen, ein Bewusstsein für diesen leisen, perfiden Rassismus zu schaffen.
Athenkozi füllt ihn mit Überzeugung aus und doch stimmt er ihn traurig: „Jedes Mal werde ich daran erinnert, was es bedeutet ,schwarz‘ zu sein und dass meine Hautfarbe noch immer so unendlich großen Einfluss auf mein Leben hat.“