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Youtube-Kampagne Bundeswehr
Eine Mundharmonika jammert im High-Noon-Stil. Dann: Peng. Ein Schussgeräusch. Im Video erscheint ein Schriftzug: "14 Uhr. Inspektionsgebäude." Ein milchgesichtiger 19-Jähriger hält plötzlich den Kopf ins wackelige Bild und sagt: "Moin, alles fit bei euch?" Den Gefechtshelm zurechtgerückt: "Bei uns auch."
Schnelle Schnitte, ein bisschen Youtube-Humor, zielgruppengerechte Ästhetik – das ist "Erstkontakt Waffe, Tag 17" , ein auf hip gemachtes Video, das zur Web-Serie "Die Rekruten" gehört. Sie soll im Auftrag des Verteidigungsministeriums jungen Menschen eine Karriere bei der Bundeswehr schmackhaft machen. Aber ist es tatsächlich okay, wenn man jungen Menschen den Dienst an der Waffe, im Militär – und in schlimmster Konsequenz im Kriegseinsatz – als irgendwie "cool" verkaufen will? Ist das Bild, das vermittelt wird, überhaupt nur ansatzweise realistisch?
"Wir hoffen natürlich alle, dass es nie soweit kommt, dass wir diese Waffe so genau einsetzen müssen ... wofür sie eigentlich gedacht ist", stottert Jerome. Er steht in einem Zimmer, das aussieht wie der Viererschlafsaal eines günstigen aber okayen Hostels. Die Kamera wackelt weiter. Niemals dürfe der Waffengebrauch leichtfertig abgetan werden, sagt Sekunden später sein Vorgesetzter, ein Marine-Unteroffizier*. Das Bild wackelt. Begleitet von einem Slapstick-Sound – wie wenn Bud Spencer einem die Faust von oben auf den Kopf schmettert – erscheinen Name und Dienstgrad in weißer Schrift neben seinem Kopf.
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Seit Ende Oktober erscheint jeden Tag eine neue Folge von „Die Rekruten“ auf Youtube. Sie ist nur ein Beispiel dafür, wie die Bundeswehr seit Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 um junge Leute wirbt – aber sicher das neueste und offensivste. Tatsächlich gehen immer mehr Minderjährige zum Bund. 1576 waren am 1. November dieses Jahres registriert, mehr als doppelt so viele wie 2011. Das ergab eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion an das Verteidigungsministerium. Zur Zielgruppe von „Die Rekruten“ gehören explizit auch Minderjährige: 17- bis 25-Jährige will man offiziellen Angaben der Bundeswehr zufolge ansprechen.
Zum Teil sind die Videos in Selfie-Perspektive von den Protagonisten selbst gefilmt, wackelig, fast schon irgendwie dokumentarisch. Später mit schnellen Schnitten versehen – und den erwähnten High-Noon- und Budspencer-Sounds: Fertig ist die spaßige Bootcamp-Erfahrung im Youtuber-Stil. Dass es zu Tarnkleidung und Sturmgewehr kein Unboxing gibt, ist schon fast verwunderlich. Beworben wird die Serie auf zielgruppennahen Kanälen: Facebook, Instagram und Snapchat. Mehr als 20 Millionen Mal wurden die Videos bereits angesehen.
Auch frühere Bundeswehr-Kampagnen sollten ein möglichst junges Publikum ansprechen. Im Kopf bleiben trotzdem eher die Fails, die Kriege verharmlosen oder schlicht sexistisch sind: ein „Baller-Video“ mit Explosionen und Kampfflugzeugen zu lauter E-Gitarrenmusik 2011, das die Bundesregierung schließlich nach großer Kritik auf Youtube löscht. Die Website „Frauen in der Bundeswehr“, die 2014 mit Bildern von High Heels neben Springerstiefeln wirbt – und ebenfalls gelöscht wurde. Im vergangenen Jahr kaperte das "Peng! Collective" eine Bundeswehr-Kampagne, die den Slogan "Mach, was wirklich zählt" trug. Die Aktivistengruppe veröffentlichte unter ähnlicher URL eine eigene Website. Ihre Slogans: "Bei uns geht's ums Töten". Oder: "Wir nehmen auch Arschlöcher."
"Ich wollte in irgendeiner Art und Weise helfen und ein medizinischer Beruf kam nicht in Frage"
Klara hat sich mit 16 bei der Bundeswehr beworben. Ihren echten Namen möchte sie im Internet nicht lesen. Wie viele andere, die Anfragen für diesen Artikel bekommen haben, ist sie mit Auskünften sehr vorsichtig. Alles, was mit der Bundeswehr zu tun hat, müsse über den Presseoffizier geregelt werden. Nur über Persönliches könne sie berichten, schreibt Klara auf Facebook. Eine Werbekampagne habe sie jedenfalls nicht beeinflusst, zur Bundeswehr zu gehen. Mit 13 habe sie eine deutsche Soldatin kennengelernt, die sie sehr beeindruckte. Frauen bei der Bundeswehr – etwas, das Klara vorher gar nicht für möglich gehalten hatte. „Von da an habe ich mich informiert“, sagt sie. Mit 17 begann sie ihre Ausbildung zum Feldwebel im Truppendienst einer Kampfkompanie, als Soldatin auf Zeit. Dafür beendete sie das Gymnasium vorzeitig mit Mittlerer Reife. Heute ist sie 19 Jahre alt und möchte Berufssoldatin werden.
Doch Klara stößt auch immer wieder auf Widerstände in der Truppe. "Tatsächlich hat sowohl mein Alter als auch mein Geschlecht mir oft Schwierigkeiten bereitet", sagt sie. Viele Kollegen hielten nicht viel von extrem jungem Nachwuchs, vor allem nicht, wenn er Führungspositionen anstrebe. Und Frauen in Kampfkompanien seien nach wie vor die absolute Minderheit. Ein Bild, das in der Youtube-Serie der Bundeswehr nicht vermittelt wird.
"Die Rekruten", sagt Klara, habe in ihrer Truppe negative Kritik erhalten. Die meisten, vor allem die älteren, hätten eine ganz andere Ausbildung genossen als das, was da gezeigt werde. Ihre eigenen Erfahrungen deckten sich ebenfalls nur teilweise mit der Serie. "Bei mir war das alles etwas strenger, würde ich behaupten. Wir hatten bei weitem auch nicht so moderne Stuben und meine damaligen Kameraden waren sportlich gesehen deutlich fitter."
Etat für Personalwerbung auf 35,3 Millionen Euro aufgestockt
Auch in der Politik wird diskutiert: Die Grünen zweifeln daran, ob der finanzielle Aufwand von knapp acht Millionen Euro im Verhältnis zu den Ergebnissen stünde. So viel Geld für Videos, die aussehen wie von Amateuren gedreht? Die Produktion der Videos kostete knapp 1,7 Millionen, sechs weitere Millionen wurden in Werbung investiert. Im vergangenen Jahr hat das Verteidigungsministerium seinen Etat für Personalwerbung auf 35,3 Millionen Euro aufgestockt. 2011 – bevor die Wehrpflicht abgeschafft wurde – lag er noch bei 5,7 Millionen.
Die Linke kritisiert Kampagnen des Verteidigungsministeriums bereits seit Ende der Wehrpflicht. Erst kürzlich hat die Partei wieder einen Antrag im Parlament eingebracht und gefordert, die Rekrutierung Minderjähriger unverzüglich zu beenden. Weltweit, so heißt es sinngemäß im Antrag, stehe Deutschland dafür ein, Kinder aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten. Selbst aber würde man Jugendliche bereits ab dem vollendeten 17. Lebensjahr für die nationalen Streitkräfte rekrutieren.
Für Minderjährige gelten bei der Bundeswehr besondere Regeln: Erziehungsberechtigte müssen ihre Einwilligung zur Ausbildung geben, Waffen dürfen nur unter strenger Aufsicht und nur zum Ausbildungszweck gebraucht werden und Auslandseinsätze sind erst nach dem 18. Geburtstag möglich. Trotzdem will sich das Verteidigungsministerium die Gelegenheit, auch minderjährige Schulabgänger abzufangen, nicht entgehen lassen – spätestens seit Einführung des achtjährigen Gymnasiums sind die in der absoluten Mehrheit.
Von "pseudodokumentarischer Ästhetik", spricht Markus Appel, Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Die Ästhetik der Serie sei nah an anderen Youtube-Videos. "Unsere Rekruten sind alle echt, haben sich ganz normal bei der Bundeswehr beworben und sind keine Schauspieler", heißt es unter den Videos aus Youtube. Appel glaubt das. Aber: "Durch Schnitt und Auswahl kann man das Bild trotzdem gestalten. Man gibt 20 Leuten eine Kamera und dann nimmt man das, was am besten passt."
Ausgeblendet wird auch, worum es eigentlich geht: Die Vorbereitung auf Einsätze in Kriegs- und Krisengebieten. Gerade für junge Leute, die keine Wehrpflicht mehr erfüllen mussten, bestünde die Vorstellung vom Militär aus fiktionalen Bildern, sagt Appel. Filme, Serien und eben auch "Die Rekruten" formen diese Vorstellung. "Dagegen können wir uns nicht wehren, das beeinflusst auf jeden Fall", sagt Appel. Die Kanäle, glaubt er, erreichen sogar ein noch jüngeres Publikum, als die offizielle Zielgruppe, nämlich 13- bis 14-Jährige. Oder: "Die, die gerade den Aufsatz in der Schule schreiben: Was ich später werden will."
Man könne natürlich die Frage stellen, ob die Bundeswehr überhaupt werben dürfe, sagt Appel. "Die Rekruten" hält er aber für gelungen – was die Intention der Macher angeht.
*In einer früheren Version hieß es, es handle sich um einen Marine-Offizier. Ein Obermaat wird jedoch zur Dienstgradgruppe der Unteroffiziere gezählt.