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„Du hast in München nur einen Platz, wenn du privilegiert bist“

Illustration: Katharina Bitzl / Foto: dpa

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„‚Ich hatte Glück, dass ich in München eine Wohnung gefunden habe‘ – wenn das jemand zu mir sagt, denke ich meistens: Nein, du hattest kein Glück! Denn du heißt Lisa-Marie Schmidt, dein Vater heißt Maximilian und deine Mama Sophie und du hast diesen roten Pass, für den du nicht 1000 Euro zahlen und mehrere Jahre warten musstest. Dir wurden einfach alle Privilegien, die ein Mensch haben kann, in die Wiege gelegt. Aber ich spreche das nie laut aus, denn Lisa-Marie Schmidt würde es nicht verstehen. Weil sie nicht den gleichen Hintergrund hat wie ich.

Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Familie ist vor 25 Jahren aus Armenien nach Deutschland gekommen, während des Krieges mit Aserbaidschan. Wir haben zuerst in Sachsen-Anhalt gelebt, aber vor sieben Jahren sind wir nach München gezogen, weil hier die Unis und die beruflichen Perspektiven besser sind. Die ersten Monate haben wir in einer Pension gewohnt, weil man bei den Wohnungsbesichtigungen drei Lohnbescheinigungen abgeben musste, die wir noch nicht hatten. Dann haben wir eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung bekommen, die für den Übergang sein sollte. Und in der leben wir jetzt seit sieben Jahren, weil wir keine andere finden, nicht in München und auch nicht im Landkreis. Mindestens hundert Wohnungen haben wir schon angeschaut. Auf die allermeisten Anfragen kriegen wir aber nicht mal eine Antwort oder werden nicht zur Besichtigung eingeladen.

Wir sind ein Frauenhaushalt: Meine Mutter, meine Schwester, 20 Jahre alt, ich und meine sechsjährigen Zwillingsschwestern. Die Lage unserer jetzigen Wohnung ist super und unser Vermieter ist ein Engel auf Erden – aber 70 Quadratmeter sind einfach zu wenig für fünf Personen. Meine Mutter schläft im Wohnzimmer, meine Schwester und ich in einem Zimmer, die Zwillinge im anderen. Der Platzmangel belastet uns sehr. Ich liebe meine Familie, aber jeder braucht seinen Freiraum. Niemand von uns hat Privatsphäre, wir hängen immer aufeinander. Es ist eine riesige Belastung zu sehen, dass meine Mutter jeden Tag arbeiten geht, aber nur auf der Couch zur Ruhe kommen kann und nicht mal ein richtiges Bett hat. 

Wir zahlen 900 Euro warm, weil wir schon so lange dort wohnen – heute würde man für so eine Wohnung mindestens 1300 Euro warm zahlen. Wir arbeiten alle, ich neben meinem Psychologiestudium 20 Stunden in einer Unternehmensberatung, meine Schwester in Vollzeit an der Supermarktkasse, bis sie eine Ausbildung anfangen kann, und meine Mutter in einer Einrichtung für behinderte Erwachsene. Unser Nettoeinkommen liegt bei etwa 3700 Euro und unsere Schmerzgrenze für die Miete ist 1500 warm. Die haben wir jedes Jahr angehoben. Aber unser Einkommen wächst nicht proportional dazu. Und viele Vermieter sagen, dass sie niemanden nehmen, der mehr als 40 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben muss. Ich frage mich, wie diese Rechnung in München aufgehen soll? Für vier Zimmer zahlt man mittlerweile 1800, 1900 Euro kalt – und ich weiß nicht, welche normal verdienende Familie im Monat einfach so 2000 Euro übrig hat.

„Wir haben die höchste Dringlichkeitsstufe für eine Sozialwohnung – aber mit uns haben die 30.000 andere Menschen“

Viele Familien in München, auch wir, haben zu wenig Geld, um auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden, aber zu viel, um Wohngeld zu bekommen. Darum kriegen wir keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat. Wir haben allerdings Anrecht auf eine Sozialwohnung, weil die Einkommensgrenze dafür in München wegen der teuren Mieten recht hoch angesetzt ist. Wir haben sogar die höchste Dringlichkeitsstufe – aber mit uns haben die noch 30.000 andere Menschen. Pro Woche werden höchstens zwei passende Wohnungen angeboten. Uns wurde schon bei mehreren Beratungsgesprächen klargemacht, dass wir nichts bekommen werden, weil es einfach nicht genug Sozialwohnungen gibt. Wir müssen uns also auf den regulären Wohnungsmarkt verlassen.

Das Erste, was wir morgens machen, ist: Wohnungen checken. In sämtlichen Zeitungen und auf allen Online-Plattformen, die es gibt. Wenn ich jemanden kennenlerne, sage ich meinen Namen und dann: ‚Wir suchen eine Vier-Zimmer-Wohnung, wissen Sie da was?‘ Ich habe neulich sogar jemanden in der S-Bahn angesprochen. Ein älterer Herr hat einem Freund erzählt, dass er seine Wohnung online gestellt hat, und ich bin wie der größte Freak hingerannt und habe gefragt, um was für eine es geht – leider passte sie nicht. Ich gebe wildfremden Leuten meine Nummer und betone immer, dass wir superfreundlich sind, niemanden stören, einfach nur eine Wohnung wollen. Aber wenn was zurückkommt, kostet die Wohnung 2500 oder 3000 Euro. Das können wir uns einfach nicht leisten – aber es wird eben immer jemand gefunden, der das bezahlt.

Als wir angefangen haben zu suchen, dachten wir: ‚Ein paar Niederlagen sind nicht schlimm, das passiert eben in so einer großen Stadt.‘ Aber ab dem dritten Monat haben wir langsam gemerkt, dass wir einfach keine Chance haben. Mittlerweile glaube ich, dass das Level an Dreistigkeit vieler Makler, Vermieter und Eigentümer in München nicht mehr zu toppen ist. Bei manchen Besichtigungen steht man mit 300 Bewerbern in einer Schlange, fühlt sich wie ein Hühnchen in der Massentierhaltung und kann von der Wohnung maximal die Decke sehen. 

„Oft bringen Leute zur Besichtigung einen Umschlag mit, in dem Geld ist“

Das Klassendenken ist extrem präsent. Wir fahren oft mit der S- oder U-Bahn zu Besichtigungen und werden dann nicht beachtet, wenn jemand anders mit einem BMW ankommt. Makler und Vermieter lassen sich von solchen Statussymbolen sehr stark beeinflussen. Oft bringen Leute zur Besichtigung einen Umschlag mit, in dem Geld ist. Da wird mit Mitteln gespielt, die nicht jeder hat. Wir passen uns so gut an, wie es geht: Meine Mutter trägt immer ihren kompletten Goldschmuck. Wir machen uns alle hübsch, glätten uns die Haare, versuchen, so gut wie möglich auszusehen.

Aber selbst, wenn wir uns perfekt präsentieren: Sobald klar ist, dass meine Mutter zwei kleine Kinder hat, ist es vorbei. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass der Vater nicht dabei ist. Aber generell gibt es eine große Abneigung gegen Kinder. Als zum ersten Mal ein Vermieter sagte, dass er keine Kinder in der Wohnung will, dachte ich noch: ‚Was für ein komischer Typ.‘ Aber mittlerweile habe ich das sehr oft gehört. Neulich erst hat eine Vermieterin meine Mutter am Telefon gefragt, wie viele Personen einziehen würde. Meine Mutter sagte: ‚Fünf, mit zwei kleinen Kindern‘ – und dann war die Verbindung weg. Meine Mutter hat zurückgerufen und gesagt: ‚Wir wurden unterbrochen‘, und die Frau sagte: ‚Nein, ich habe aufgelegt. Ich will keine Kinder haben.‘ Ich verstehe das nicht. Ich bin in einer Kultur aufgewachsen, in der mit Kindern hauptsächlich Positives assoziiert wird, weil sie ein Haus mit Leben, Liebe und Lachen füllen. Warum wird aufgelegt, wenn ich meine kleinen Schwestern erwähne?

Manche verhalten sich seltsam, wenn sie unseren armenischen Namen lesen. Einmal hat eine Maklerin ganz langsam und deutlich mit uns gesprochen: ‚Haaallooo. Ich bin hier die Mak-le-rin. Das Haus gehört nicht mir‘ und so weiter. Am Anfang haben wir so was noch persönlich genommen, aber mittlerweile sagen wir einfach: ‚Wir sind der deutschen Sprache mächtig und Sie können eine normale Konversation mit uns führen‘. Ich glaube nicht mal, dass die Menschen sich aus bösem Willen so verhalten, sondern dass sie jemanden sehen, der ‚nicht deutsch‘ aussieht und dann voraussetzen, dass er sie nicht versteht. Meine Mutter spricht mit Akzent, oft spreche darum ich – und das tut mir sehr leid, weil so was dazu führt, dass Menschen mit Akzent sich verschließen. Interessant ist ja: Wenn jemand mit einem europäischen Akzent spricht, gilt das als elegant. Aber einen nicht-westlichen Akzent finden viele komisch, fremd oder sogar gefährlich.

„Ich finde es gefährlich, wie durch die Wahl der Mieter das Bild unserer Stadt geformt wird“

Eine der ersten Fragen von Vermietern oder Maklern ist häufig, wie viel Unterstützung wir vom Amt bekommen. Sobald man uns sieht und unseren Namen liest, wird einfach davon ausgegangen. Das hat sich noch mal verstärkt, seit das Thema Migration in der Öffentlichkeit und den Medien präsenter ist. Es gibt jetzt noch mehr Vorurteile als früher. Generell habe ich das Gefühl, dass die Wohnungssuche in den letzten Jahren schlimmer geworden ist und die Menschen hier mittlerweile jegliche Hemmungen verloren haben. Es geht extrem aggressiv zu. Klar, vor fünf Jahren hat man auch die Selbstauskunft ausgefüllt und wurde dann nie zurückgerufen – aber man ist nicht jedes Mal mit so einem schlechten Gefühl aus der Wohnung rausgegangen.

Ich finde es sehr gefährlich, wie durch die Wahl der Mieter das Bild unserer Gesellschaft und unserer Stadt geformt wird. Viele Eigentümer sind sich der Macht, die sie haben, gar nicht bewusst. Ich verstehe ja, dass sie Sicherheit haben wollen, immerhin ist das ihr Kapital, das sie da investiert haben, und ich verstehe auch, dass der Markt auf Angebot und Nachfrage basiert – aber wir sind nicht nur ein Markt! Wir sind eine Gesellschaft. Und in der bewegen sich Familien, Studenten, alleinerziehende Mütter und Väter, die alle eine Wohnung brauchen. Es kann doch nicht gesund sein, wenn in einer Stadt nur gute verdienende Singles, Akademikerpärchen oder Wochenend-Heimfahrer wohnen. Das spiegelt doch nicht unsere Gesellschaft wieder. Wann kommt der Punkt, an dem wir sagen: Wollen wir das wirklich?

Natürlich haben wir auch schon darüber nachgedacht, wieder wegzuziehen. Aber wir lieben diese Stadt und wollen nirgendwo anders leben – nur zeigt München leider nicht, dass es die Münchner liebt. Die normalverdienende Familie. Den Kassierer bei Edeka. Den Postboten. Du hast hier nur einen Platz, wenn du privilegiert bist. Es liegt an Politikern, Gesetzgebern und Eigentümern, sich darüber bewusst zu werden, was sie da eigentlich machen. Die Stadt ist toll – jetzt noch! Ich würde mir wünschen, dass sie auch in 30 Jahren noch toll ist.

Viele sagen, dass sie es bewundernswert finden, dass wir immer noch suchen und uns immer noch bewerben. Aber wir sind eben Kämpferinnen. Anfangs hatten wir wirklich schlimme Tage, aber nach sieben Jahren ist man abgehärtet. Ja, manchmal sind wir kurz vorm Zusammenbruch und wollen einfach nur noch weinen. Aber weil das so anstrengend ist, lachen wir am Ende drüber. Und dann trinken wir eine Flasche Wein und essen Käse dazu. Mein größter Traum ist es, im Euro-Jackpot zu gewinnen und meiner Mama ein riesiges Haus zu kaufen. Mittlerweile glaube ich, dass die Chance dafür größer ist, als in München eine Wohnung zu finden.“

* Die junge Frau hat darum gebeten, anonym bleiben zu dürfen, darum ist dies nicht ihr echter Name. Sie ist der Redaktion aber bekannt.

Falls jemand ein Wohnungsangebot für Nare und ihre Familie hat, kann er/sie sich gerne unter info@jetzt.de melden.

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