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Wie es die amerikanische Gesellschaft beeinflusst, dass Trump die Wahlniederlage nicht anerkennt
Seit mehr als zwei Wochen steht mittlerweile fest, dass Joe Biden der neue Präsident der USA sein wird. Am vergangenen Montag hat der aktuelle Amtsträger Donald Trump zum ersten Mal angekündigt, mit dem designierten Präsidenten zu kooperieren. Doch seine Niederlage erkennt er trotzdem nicht an. Immer wieder behauptet Trump, die Wahl sei von den Demokraten gestohlen worden. Und findet damit Resonanz: Laut einer Umfrage glauben 70 Prozent der Republikaner, dass die Wahl manipuliert worden sei. Mit aller Kraft krallt sich Trump sich an seinen verlorenen Posten, spricht von Wahlbetrug, klagt erfolglos und versucht deshalb nun offenbar selber zu tricksen. Medienberichten zufolge versuchte Trump, Verantwortliche in Michigan davon zu überzeugen, sich über den Willen der Wähler*innen hinwegzusetzen und Wahlmänner zu ernennen, die für ihn anstatt für Biden stimmen.
Torben Lütjen ist Politikwissenschaftler, ehemaliger Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen und der Autor des Buches „Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert“. Im Interview spricht er über rechten Terrorismus in den USA, die Strategie der Republikaner und was mit einer Gesellschaft passiert, wenn der amtierende Präsident seine Wahlniederlage nicht anerkennt.
jetzt: Donald Trump hat in dieser Woche den Weg für eine Übergabe an Joe Biden freigemacht, will ab dennoch für seinen Verbleib im Weißen Haus weiterkämpfen? Ist dies das maximale Eingeständnis einer Niederlage, das man von Trump bekommen wird?
Torben Lütjen: Ja, das ist gewiss das maximale und auch einzige Zugeständnis, dass er in Richtung Akzeptanz der Niederlage machen wird. An dieser Dolchstoßlegende hat er lange gearbeitet, so nach dem Motto: in Wahlen unbesiegt. Das war ja von Anfang das Ziel seiner Attacken gegen die Legitimität der Wahlen. Seinen aussischtslosen juristischen Kampf wird er noch eine Weile weiterführen, um seinen Anhänger zu signalisieren, dass er die Niederlage niemals anerkennen wird und ein Kampfer bleibt. Und dann irgendwann aus dem Weißen Haus auszuziehen – sozusagen als Präsident der Herzen seiner Parteibasis.
Gibt es denn noch immer die Möglichkeit, dass Donald Trump noch vier weitere Jahre Präsident sein wird?
Nach den vergangenen vier Jahren hat man sich ja mittlerweile an so einiges gewöhnt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Trump im Amt bleibt, ist wirklich extrem gering. Dafür gibt es keinen legalen Weg mehr. Und selbst wenn es weitere Nachzählungen geben würde. Bei jeder Nachzählung findet man Fehler. Aber 30 000 Stimmen zu finden, das wird nicht passieren. Um im Amt zu bleiben, müsste Trump schon zu einem Staatsstreich greifen, wie einige seit Jahren geunkt haben. Aber es ist ja offensichtlich, dass er dafür weder die Mittel noch die Unterstützung hat.
In den Tagen nach der Wahl hat Trump hochrangige Mitarbeiter aus dem Verteidigungsministerium ersetzt. Könnte das nicht doch darauf hindeuten, dass er vielleicht sogar etwas derartiges vorbereitet?
Das ist eher Payback, dafür dass diese Leute nicht loyal genug waren. Drei Leute zu ersetzen reicht nicht, um einen Staatsstreich in den USA zu ermöglichen. So leicht kann man einen modernen, funktionierenden Staat nicht aushebeln.
Das heißt, die USA sind zu stabil, als dass die Demokratie zerstört werden könnte?
Nein, unmöglich ist das nicht. Was die USA bislang vor so etwas gerettet hat, ist, dass Trump gar nicht weiß, wie er so etwas tatsächlich angehen sollte. Dafür hätte er den gesamten Staatsapparat mit seinen Leuten bestücken müssen, aber dafür hat er gar nicht genügend eigenen Leute, die kompetent genug wären. Er hat zwar viele Menschen gefeuert, aber bei den Neubesetzungen blieb ihm nie etwas anders übrig, als die Parteilisten der Republikaner abarbeiten. Es gibt zwar genügend stramme Konservative, die seine Politik mitgetragen haben, aber nur sehr wenige, die für ihn die Demokratie demontieren würden.
„Sie wollen die Trump-Wähler nicht verärgern, keine Revolte lostreten und hoffen, dass Trump einfach bald Geschichte ist“
Warum will Trump dann die Wahl nicht anerkennen?
Wir müssen uns bewusst machen, dass Politiker ähnlich denken und agieren, wie alle anderen Menschen auch und mehr als nur ein Szenario verfolgen. Anfangs mag er noch geglaubt haben, dass tatsächlich noch etwas gefunden wird, damit er im Amt bleiben kann. Aber es ging von Anfang auch darum, seine eigene Marke schützen und den Kontakt zu seiner Basis nicht zu verlieren. Für die hat er ja im Grunde seit 2016 an der Legende vom betrogenen Volkshelden gestrickt. Vielleicht hat er im Hinterkopf, 2024 wieder anzutreten. Er will in jedem Fall weiterhin den Nachrichtenzyklus steuern und seine Rolle bei den Republikanern festigen.
Große Teile aus der Führungsriege der Republikaner unterstützen Trump in seinen Aussagen, wollen Biden nicht zum Wahlsieg gratulieren. Wie bewerten Sie dieses Verhalten?
Opportunistisch bis ins Mark. Die wissen genau, was los ist und dass Biden die Wahl gewonnen hat. Ted Cruz und Lindsey Graham, die sich derzeit sehr laut für Trump aussprechen, rechnen sich Chancen aus, 2024 Präsident zu werden. Sie wollen die Trump-Wähler nicht verärgern, keine Revolte lostreten und hoffen, dass Trump einfach bald Geschichte ist.
Wird Trump denn bald Geschichte sein?
Ich glaube nicht, wie die Meisten glauben, dass Trump in vier Jahren noch dieselbe Bedeutung innerhalb der Partei hat wie aktuell. Er war als Kandidat und Präsident einfach spektakulär. Er hat es mit seinen Tweets geschafft, dass sich die Medien jeden einzelnen Tag mit ihm beschäftigt haben. Diese Rolle wird nicht durchzuhalten sein. Aber ein Faktor wird er bleiben, ganz klar.
„Das Worst Case Szenario ist, dass bei Republikanern, die Trump sehr loyal sind, die antidemokratischen Fantasien wachsen“
Aber in diesen vier Jahren hat sich die Republikanische Partei nachhaltig verändert. Es wirkt fast so, als hätte Trump sie im Schwitzkasten.
Ich denke nicht, dass Trump die Partei groß verändert hat. Trump ist ja nur die letzte Inkarnation von dem, was schon lange bei den Republikanern passiert ist. Dieser überbordende Populismus begann spätestens mit der Tea-Party-Bewegung, die auch Trump unterstützte. Trump hat nur alles radikalisiert, was vorher schon Fuß gefasst hatte, neben dem Populismus vor allem eine weiße Identitätspolitik. Von Trumps America-First-Agenda ist aber nicht viel übrig geblieben. Verschärfung der Migration, ein Stück Mauer, Ausstieg aus dem Pariser Abkommen, aber das Meiste, was er gemacht hat, war ganz normale, republikanische Politik: Steuern senken, Deregulierung, und die Ernennung von ganz brav konservativen Richtern.
Was macht das denn mit einer Demokratie, wenn der amtierende Präsident seine Wahlniederlage nicht anerkennen will?
Das schwächt sie natürlich. Aber leider ist das nur ein vorläufiger Schlusspunkt eines Prozesses, der schon lange vor Trump begonnen hat. Das Vertrauen in die Institutionen, in den demokratischen Prozess und in die Legitimität der Regierung ist seit Jahren schon erodiert. Das begann mit der Wahlniederlage von Al Gore gegen George W. Bush. Damals hielten sich aber beide Parteien noch an gewisse demokratische Normen. Nach Bush wurde die Legitimität der Präsidentschaft von Barack Obama durch die rassistisch konnotierten Birther-Theorie angezweifelt. 2016 fixierten sich die Demokraten auf die russische Einflussnahme, anstatt sich mit den eigenen Fehlern im Wahlkampf auseinanderzusetzen. Die Aussage, dass Trump von russischen Bots ins Amt gewählt wurde, war natürlich auch Quatsch. Trump hat das all das noch einmal enorm gesteigert. Das Worst Case Szenario ist, dass bei Republikanern, die Trump sehr loyal sind, die antidemokratischen Fantasien wachsen. Dass sie weiter diese Rhetorik von Deep State und Mainstream Media bedienen und sagen: Wenn wir das nächste Mal an der Macht sind, müssen wir mal andere Seiten aufziehen.
Laut einer Umfrage glauben 70 Prozent der Republikaner*innen, dass die Wahl manipuliert wurde. Wie kann das sein, wenn es keine Beweise gibt und die Verfahren eingestellt werden?
Weil viele Republikaner eben vor allem durch die Echokammer konservativer Medien in einem bizarren Paralleluniversum leben. Manche verstehen Trumps Attacken vielleicht auch mehr wie eine Metapher für das diffuse Gefühl, dass das politische System nicht mehr funktioniert, die Massenmedien gegen sie sind und dass sie ihr Land verlieren.
„Die Gewalt ist in Form von rechten Terrorismus schon längst da.“
Wurde eine Wahl in den USA schon einmal derart angezweifelt?
In der Art und Weise nicht. Da müssen wir für Vergleiche zum Bürgerkrieg zurückgehen, zu Abraham Lincoln.
Wenn wir uns die Monate vor der Wahl anschauen: Es gab Tote bei Demonstrationen, bewaffnete Gruppen haben Regierungsgebäude besetzt – wie wird das weitergehen? Besteht in den USA das Risiko eines Bürgerkriegs?
Ich spreche in meinem Buch von einem kalten Bürgerkrieg, der geführt wird. Also, Kriegsmetaphorik in der Sprache, aber nicht die ganz große Eskalation. Ich denke auch, dass es dabei bleiben wird. Aber klar ist: Die Gewalt ist in Form von rechtem Terrorismus schon längst da. Es wird geschätzt, dass in den USA Hunderttausend Amerikaner in rechten Milizen sind. Aber die sind noch sehr dezentral und nicht wirklich organisiert. Bei Breitbart und anderen rechten Foren ist diese Bürgerkriegs-Fantasie seit Jahren total präsent. Aber sie ist immer reaktiv und mit dem Schreckensszenario verbunden: Die USA werden ein sozialistischer Staat und die Demokraten gehen von Haus zu Haus und sammeln die Waffen ein. Was nicht passieren wird, weil jeder weiß, dass es genau dann knallt.
Das hört sich doch ziemlich bedrohlich an.
Wenn Biden deutlich gewonnen hätte, wäre der rechte Terrorismus wahrscheinlich stark angestiegen. Aber wie es aussieht, können die Republikaner den Senat behalten, der Supreme Court ist konservativ besetzt, in vier Jahren könnten sie wieder den Präsidenten stellen. Hinzu kommt ja auch: Die Trump-Anhänger haben meistens eine bürgerliche Existenz. Die aufzugeben, um in den Untergrund zu gehen und dort irgendwie einen Kreuzzug gegen den Staat zu beginnen, ist eine große Hürde. Eine Revolution oder eine Erhebung wird es nicht geben. Aber alles deutet darauf hin: Die Gewalt in den USA wird steigen. Ein Staat mit so viele Waffen und einer derart polarisierten Gesellschaft, das ist keine gute Mischung.