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Brand in Flüchtlingslager Moria: Was Betroffene und Helfer erleben
In der vergangenen Nacht ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fast komplett abgebrannt. Die Flammen brachen gegen 1 Uhr nachts aus, in den Morgenstunden soll das Feuer unter Kontrolle gewesen sein. Die griechische Regierung vermutet organisierte Brandstiftung.
Das Camp ist seit Jahren überfüllt, eigentlich ist es nur für 2800 Menschen ausgelegt. Zuletzt sollen dort 12 600 Geflüchtete gelebt haben, manche Schätzungen gehen bis 16 000. Wegen der Überfüllung des Lagers soll es kaum Möglichkeiten gegeben haben, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Expert*innen warnen deshalb seit Monaten vor einem Ausbruch des Coronavirus in Moria. Nachdem vergangene Woche der erste offizielle Corona-Fall im Lager bekannt geworden war, wurden die Proteste und Forderungen, das Camp zu evakuieren, lauter. In die Richtung passiert ist allerdings nichts. Wir haben mit drei Menschen, die sich derzeit auf Lesbos befinden, darüber gesprochen, wie sie die Nacht erlebt haben.
„In Moria sind die Lebensbedingungen nicht mehr menschlich“
Paul Muzangueno, 28, lebt seit 14 Monaten im Camp Moria:
„Ich lebe seit dem 7. Juli 2019 in Moria, und bin aus dem Kongo hierher geflohen. Die Zustände im Camp Moria waren schon schlecht, als ich ankam – aber es wurde viel schlimmer als das Coronavirus ausbrach. Viele Menschen wollten das Lager verlassen, weil sie Angst hatten, sich anzustecken. Die Polizei ließ sie aber nicht gehen. In den vergangenen Tagen kam es deshalb zu Protesten, die Stimmung war aufgeheizter als sonst. Ich habe mitbekommen, dass einige positiv auf das Coronavirus getestete Bewohner von Moria nicht unter Quarantäne gestellt werden wollten. Das sorgte für weitere Spannungen und Unruhen im Camp.
Gestern gegen 1 Uhr nachts brach das Feuer aus. Die Polizei und Feuerwehr konnten die Flammen nicht kontrollieren. Zum Glück sind keine Menschen gestorben. Ich bin gerade, am Tag nach dem Feuer um 12 Uhr, immer noch im Lager. Hier gibt es eine neutrale Zone, in der wir momentan noch sicher sind. Ich will ich dieses Lager endlich verlassen, aber ich komme hier nicht weg. Es ist alles so stressig und traumatisch. Die EU muss uns helfen. Die Politiker müssen versuchen, die Asylverfahren zu vereinfachen und die Menschen hier rausholen. Wir sind obdachlos, in Moria sind die Lebensbedingungen nicht mehr menschlich.“
„Wir lagen 45 Minuten lang im Gras auf den Boden und hatten Todesangst“
Romy Bornscheuer, 22, ist Medizinstudentin, hat die Kampagne Europeans For Humanity gegründet und arbeit seit Juni für Healthbridge Medical auf Lesbos:
„Als wir gehört haben, dass ein Feuer ausgebrochen ist, sind wir sofort los, um den Geflüchteten Wasser und Dinge, die sie für die Erstversorgung brauchen, zu bringen. Als wir mit dem Auto in Richtung des Camps gefahren sind, kamen uns schon viele Geflüchtete entgegen. Wir mussten umkehren, weil die Polizei die Straße zum Camp gesperrt hatte, also fuhren wir den zweiten Weg durch das Dorf. Das Dorf war ebenfalls voller Geflüchteten, die unfassbare Angst hatten.
Als wir weiterfahren wollten, wurde unser Auto von einer Gruppe Faschisten angegriffen. Sie haben unser Auto umstellt und auf das Fahrzeug eingeschlagen. Dann haben sie mit Steinen unsere Fenster zertrümmert und versucht, unsere Fahrerin aus dem Auto zu ziehen. Sie hat es geschafft, wieder ans Lenkrad zu kommen und ist einfach losgefahren. Der Mob hat unser Auto verfolgt. Als wir das Dorf verlassen hatten, haben wir das Auto abgestellt, weil alles voller Scherben war. Wir haben uns in den Wald geflüchtet, um uns zu verstecken. Wir lagen 45 Minuten lang im Gras auf den Boden und hatten Todesangst. Seit Wochen greifen diese Gruppen gezielt uns Helfer*innen an.
In der letzten Zeit war es extrem trocken auf Lesbos, gestern Nacht war es auch noch sehr windig, deshalb hat sich das Feuer rasend schnell ausgebreitet und kam immer näher. Wir dachten, entweder tötet uns das Feuer oder die Faschisten, die nach uns suchen. Als das Feuer zu nah war und es nicht mehr anders ging, sind wir zurück zu unserem Auto gerannt, und einfach losgefahren. Wir stehen alle noch komplett unter Schock, aber haben zum Glück keine schweren körperlichen Verletzungen. Wir versuchen jetzt, mit den wenigen Mitteln, die unsere Organisation hat, so gut es geht, zu helfen. Wir haben 15 Zelte, aber bei 13 000 Menschen hilft das auch nicht wirklich weiter.
Ich war früher wirklich stolz auf die Europäische Union. Das hat sich durch das, was ich in den vergangenen Monaten auf Lesbos gesehen und erlebt habe, komplett geändert. Ich kann meine Wut und meine Enttäuschung nicht mehr in Worte fassen. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, wenn Geflüchtete auf mich zukommen und fragen: „Warum behandelt uns die Regierung so, warum macht sie das mit uns?“ Ich kann nicht mehr anders, als zu glauben, dass die EU genau das, was hier passiert ist, will. Sie lassen die Menschen zum Sterben in Moria zurück.
Seit Wochen, Monaten, Jahren ist bekannt, was hier passiert. So viele Menschen haben davor gewarnt, dass Corona hier ausbrechen wird. Als die griechische Regierung bekannt gegeben hat, einfach eine Mauer um das Camp bauen zu wollen, damit das Virus nicht aus dem Camp rauskommt, war klar, dass so etwas wie gestern Nacht passieren würde. Die Menschen haben Angst um ihr Leben. Es ist die pure Verzweiflung, die aus ihnen spricht. Moria darf nicht wieder aufgebaut werden. Die Politiker*innen dürfen jetzt nicht das Virus als Ausrede benutzen, um die Menschen wieder nicht zu evakuieren. Aber ich gehe davon aus, dass sie genau das tun werden.“
„Das ist die letzte Chance, die Menschen zu evakuieren“
Rouddy Kimpioka, 30, lebt seit drei Jahren auf Lesbos. Er kam aus dem Kongo nach Moria und lebt mittlerweile in Mytilini, der Hauptstadt der Insel.
„Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich versucht habe, den Leuten aus dem Camp zu helfen. Ich komme aus dem Kongo, bin 2017 geflüchtet und dann in Moria gelandet. Dort habe ich einen Monat gelebt und konnte dann zum Glück in eine andere Unterkunft auf der Insel ziehen. Mittlerweile wohne ich in Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos.
Ich war gestern Abend noch in Moria, um ein paar Freunde zu besuchen. Ich leite dort ein Musikprojekt, zusammen mit anderen Geflüchteten singen und tanzen wir zu afrikanischer Musik. Ich bin deshalb fast jeden Tag dort, um die kongolesische Gemeinschaft in Moria zu unterstützen.
Wer einmal das Leid von dortgesehen hat, der kann nicht anders, als dorthin zurückzugehen und den Menschen zu helfen. Gestern haben wir mit der Band gespielt. Um 23 Uhr habe ich Moria verlassen, um 1 Uhr nachts begann das Feuer. Seitdem versuche ich, in das Camp zu kommen, die ganze Nacht schon. Aber Moria ist abgeriegelt von der Polizei. Die Leute dort haben niemand, der sich um sie kümmert. Ich telefoniere schon den ganzen Morgen mit meinen Freunden im Camp. Es gibt keine medizinische Versorgung, kein Essen, kein Wasser und auch keine Masken. Nichteinmal die Hilfskräfte werden durchgelassen.
Mein Herz ist gebrochen. Europa muss jetzt handeln. Das ist die letzte Chance, die Menschen zu evakuieren. Ihre Situation war schon davor schlecht, jetzt haben sie wirklich gar nichts mehr. Die EU muss diese Leute verteilen und Moria für immer schließen. Das Lager ist kaputt und alles ist verbrannt. Wenn Europa jetzt nicht handelt, wann dann?“