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„,Nie wieder‘ hat nichts mit der Realität zu tun“

„Nie wieder“ muss mehr sein als eine Floskel, findet junge jüdische Menschen.
Foto: Dorothee Barth/dpa

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Die Worte „Nie wieder“ sind am 27. Januar überall zu lesen und zu hören – an diesem Tag wird der Opfer des Holocaust gedacht, all der Menschen, die im Nationalsozialismus getötet wurden. An diesem Datum vor inzwischen 76 Jahren wurde Auschwitz befreit. Eine Initiative junger jüdischer Menschen von der Jüdischen Studierendenunion stellt nun die Frage, wie viel Inhalt die Worte „nie wieder“ eigentlich noch haben, unter dem Titel „Wider nie wieder“. 25 von ihnen beschreiben im Rahmen des Projekts, was sie mit den Worten verbinden – oder gerne verbinden würden. Zum Beispiel:

„Nie wieder“ bedeutet für mich keine populären leeren Worte zu wiederholen, sondern eine konsequente Haltung im Alltag zu haben. 

„Nie wieder“ bedeutet für mich, dass vor der Synagoge keine Polizeipräsenz mehr benötigt wird.

„Nie wieder“ heißt für mich, endlich wieder gefahrlos mit Kippa auf den Straßen bewegen zu können. 

Avital Grinberg ist Teil der Initiative. Die 25-Jährige hat in Berlin Kunstgeschichte studiert, gerade lebt sie in Jerusalem und studiert Jewish Studies. Außerdem ist sie im Vorstand der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands und der World Union of Jewish Students. Am Telefon erklärt sie, was hinter der Initiative steckt: „Wir wollen dazu anregen, Erinnerungskultur zu überdenken“, sagt sie, und weiter: „Wir jungen jüdischen Menschen haben gemischte Gefühle, wenn es um Erinnerungskultur geht. Wir alle sind in Deutschland geboren, aber wenn es um die Shoah geht, dann fühlen wir uns nicht unmittelbar deutsch. Denn wir waren auf der anderen Seite.“ Dieses Gefühl will die Aktion in Worte fassen. Die Statements wurden auf Facebook veröffentlicht. Der 27. Januar sei extrem politisiert, sagt Avital Grinberg: „Einen Tag im Jahr sind Politik, Presse, Social Media, einfach alle Menschen im öffentlichen Leben traurig, sie posten einen Hashtag und denken dann, dass damit ihre Arbeit getan ist. Das ist frustrierend. So wollen wir das nicht.“ 

Auch prominente Talk-Formate und Bundesehörden nutzen das Hashtag:

Für Avital Grinberg ist „nie wieder“: „Eine Floskel, die einmal im Jahr durch die politische Landschaft schwirrt.“ „Nie wieder“, sagt die 25-Jährige, habe ja nichts mehr mit der Realität zu tun. „Rassismus und Antisemitismus waren nie weg. Rassistisch motivierte Taten ziehen sich stringent durch die deutsche Gesellschaft und die deutsche Geschichte. Ich wünsche mir ein Bewusstsein dafür.“ 

Dazu gehöre zum Beispiel, politische Bildung zu überdenken und sich nicht nur ein Mal pro Jahr mit dem Thema zu befassen. „Gedenkkultur kann uns nicht vor Rechtsextremismus retten. Auch aus diesem Grund habe ich ein Problem mit ‚Nie Wieder‘.“ Das Wichtigste sei es, das Verantwortungsgefühl beizubehalten. Zu zeigen, wieso Rechtsextremismus gefährlich ist und wie er sich auf unsere Gesellschaft auswirkt. Dafür sei aber ein Engagement nötig, das über Betroffenheit am 27. Januar hinaus gehe. Die Förderung neuer Ideen junger Jüdinnen und Juden, Betroffenheit an jedem anderen Tag, das Bewusstsein, dass Antisemitismus heute sehr real ist. Und eine Politik, die über Lippenbekenntnisse hinausgeht. 

soas

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