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Demos gegen Corona-Beschränkungen: Wer geht dorthin?
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Eine junge Frau, die ein rosafarbenes Kleid und – wie die meisten hier – keinen Mundschutz trägt, reckt ein Pappschild in den Himmel. Darauf zu sehen: das Gesicht des Sängers Xavier Naidoo, etwa einen halben mal einen Meter groß. Eine andere Frau im Pulk, ebenfalls recht jung, hat das Plakat gerade erblickt und nun läuft sie auf die Schild-Trägerin zu und sagt ihr: „Ich fand seine Musik ja nie so super. Aber jetzt bin ich Fan von Xavier!“ Beide lächeln. „Der ist einfach toll“, sagt die Frau mit dem Plakat. Man ist sich einig hier bei der Demo auf dem Münchner Marienplatz, zumindest auf den ersten Blick.
Die Kritik an den Corona-Maßnahmen und die Sympathie gegenüber Xavier Naidoo, der immer wieder Verschwörungstheorien verbreitet – vielleicht sind das die zwei großen gemeinsamen Nenner dieses Protests, zu dem sich 3000 Menschen am vergangenen Samstag in München versammelt haben. Auch in anderen deutschen Städten protestierten sehr verschiedene Menschen, unter ihnen zahlreiche Jüngere. Rasta-Locken sieht man hier, meditierende Menschen, Schweden-Flaggen, Pali-Tücher und schwere Männer mit flächigen Runen-Tattoos. Einige Meter entfernt wummert aus einer Bluetooth-Box mal wieder „Dieser Weg wird kein leichter sein“, der Song von Xavier Naidoo. Ein paar Teenager wippen dazu.
Natürlich, man kann die beiden jungen Frauen und auch die Teenager als Fans von Xavier Naidoo einordnen. Man kann ihnen auch glauben, dass sie ernsthaft besorgt sind um ihre Freiheiten, die in den vergangenen Wochen für die Eindämmung des Virus nachweislich eingeschränkt wurden und für die sie nun demonstrieren. Einerseits.
Andererseits lässt sich schon allein an diesem einen Schild mit dem Gesicht von Xavier Naidoo gut sehen, dass vieles auf den Demonstrationen der letzten Tage zwei Seiten hat – eine besorgte und eine, die bei vielen anderen Besorgnis erregt. Denn die Rückseite des Pappschildes ist keine Frage des Musikgeschmacks mehr, sondern ziemlich ernst: Darauf zu sehen sind eindeutige Codes einer Internet-Bewegung, auf die auch Xavier Naidoo immer wieder Bezug nimmt. Deren Anhänger sind unter anderem der Ansicht, dass die jüdische Familie Rothschild Anführer eines satanistischen Kults sei. Dahinter steckt laut Washington Post – wie bei so vielen Verschwörungstheorien – ein „jahrhundertealtes antisemitisches Muster eines internationalen Bankenkomplotts“. Es ist nicht so, dass die Frau im Kleid diese Codes als einzige an diesem Nachmittag trägt. Man sieht sie hier dutzendfach, bei Jung und Alt.
Eine 29-Jährige ist hier, weil sie sich darüber ärgert, ihren Geburtstag nicht feiern zu können
Antisemitismus, kaschiert hinter dem Einsatz für Bürgerrechte und als Protest gegen Milliardäre wie Bill Gates. Ob alle Teilnehmer*innen von der Bedeutung dieser Codes wissen? Vermutlich nicht. Aber was führt die jungen Menschen dann hierher?
Eine 29-Jährige ist alleine zur Demonstration gekommen. Sie erzählt davon, dass sie in ein paar Tagen ihren 30. Geburtstag mit Freunden feiern wollte. Weil die Feier nun ausfällt und sie das ärgert, ist sie heute hier.
Eine paar Meter weiter steht eine 18-Jährige, die auf den Marienplatz gekommen ist, weil sie nicht verstehen kann, warum sie seit Wochen nicht zur Schule und sich auf das Abitur vorbereiten darf, obwohl das Virus doch ihrer Ansicht nach für Jüngere gar nicht so schlimm ist.
Für einen 25-Jährigen, der ebenfalls im Pulk steht, sei die CDU-Regierung um Angela Merkel nicht mehr tragbar. Auch die anderen Parteien will er nicht wählen. An das Virus glaubt er nicht so recht. Deshalb ist er hier.
Man kann all diese Aussagen und Meinungen als naiv abtun und nicht selten sind sie auch nachweislich faktisch falsch. Aber auch, wenn derzeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung auf einen Höchstwert steigt, so ist doch klar: Um an einer Demonstration teilnehmen zu können, muss man davor keinen Führerschein in politischer Bildung machen. Ein diffuses Unwohlsein ist für viele der Jüngeren, die hier stehen, Grund genug, dass sie an diesem Tag hier sind. Das ist ihr Recht, und dafür müssen sie nicht gleich Verschwörungstheoretiker*in sein. Aber die meisten stören sich offenbar auch nicht daran, Seite an Seite mit ihnen zu demonstrieren.
Denn längst dürfte sich doch auch jenseits des Tagesschau-Publikums herumgesprochen haben, dass die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen Menschen zusammenbringen, die man so bis vor kurzem nicht auf einer Linie erwartet hätte. Vermeintlich Linke und Rechte. Antikapitalist*innen und Neonazis, Verschwörungstheoretiker*innen und Extinction-Rebellion-Anhänger*innen. Antisemit*innen und Vertreter*innen der Querfront. Sie tragen Adidas-Sneakers und FC-Augsburg-Trikots. Aber eben auch Schilder, auf denen steht, dass es einen Impfzwang geben werde, beauftragt von Bill Gates – was nachweislich eine Lüge ist.
Spricht man die Demonstrierenden auf die Verschwörungstheorien an, geben sie sich unwissend
Erst recht kompliziert wird es, wenn man einmal beiseite wischt, dass manches mit Naivität und Meinungsfreiheit erklärbar ist. Spricht man die jungen Demonstrant*innen darauf an, dass eben auch antisemitische Verschwörungstheorien auf diesen Demonstrationen propagiert werden, geben sie sich meist schmallippig und unwissend.
Einer sagt, er habe noch keinen Verschwörungstheoretiker hier gesehen. Eine junge Frau erklärt, dass sie ja nicht daran schuld sei, wenn hier solche Menschen mitlaufen würden. An der Sache, für die sie eintritt, ändere das ja nichts. Einer erzählt, dass er Neonazis in seinem Umfeld habe. Die seien aber trotzdem menschlich total in Ordnung, sie hätten bloß die falsche Ideologie. Ein anderer betont, dass er noch nie einem Corona-Erkrankten begegnet sei, und dass es die Krankheit für ihn demnach nicht gebe. Und immer wieder hört man von der Zwangsimpfung, die Bill Gates angeblich an allen Menschen auf der Erde durchführen lassen will. Dass das vielfach widerlegt wurde? Ist den meisten egal.
Einige Meter abseits von der Demonstration auf dem Münchner Marienplatz sammelt sich gewissermaßen der stille Gegenprotest, der aus einer Gruppe von vier Männern besteht. Sie fallen sofort auf, weil sie Mundschutz tragen und die Existenz des Coronavirus nicht leugnen. Alle vier sind Mitte 20 und, genau wie viele der Demonstrant*innen bezeichnen auch sie sich als „kapitalismuskritisch“. Der Unterschied: Hinter ihnen steht ein Schild, auf dem steht „Gegen jeden Antisemitismus“. Ihre Systemkritik, sagt einer, habe wenig mit denen da drüben zu tun. „Die sollen mal Marx und Adorno lesen“, sagt er. „Und die sollen mal checken: Wir werden nicht von Eliten gesteuert.“
Die vier wirken irritiert von den 3000 Menschen, die sich dort versammelt habe. Sie unterhalten sich leise miteinander, um bloß nicht aufzufallen, und doch scheint es so, als würden sie am liebsten etwas rufen. Warum tun sie es nicht? Einer der vier schaut in Richtung des Pulks der Demonstranten, in dem nun wieder irgendwas von Xavier Naidoo läuft, und sagt: „Mit denen brauchst du nicht reden.“