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Wegen Protest gegen AfD-Demo: 73-jährige Irmela Mensah-Schramm verhaftet
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Am Sonntagmittag marschierten Zehntausende Menschen in Berlin unter dem Motto „Stoppt den Hass!“ gegen die „Zukunft Deutschland“-Demo der AfD, die gleichzeitig stattfand. Auch die 73-jährige Irmela Mensah-Schramm wollte ein Zeichen gegen die Rechtspopulisten setzen. Sie ist bekannt dafür, dass sie seit 32 Jahren rechte Hass-Graffiti und Schriftzüge im öffentlichen Raum übersprüht und rassistische Aufkleber abkratzt. Über 70 000 Hassbotschaften hat sie so schon entfernt oder entschärft, Fotos davon stellt sie inzwischen in Ausstellungen aus. Sie wurde für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz und weiteren Friedenspreisen ausgezeichnet. Ihren gestrigen Protest durfte Irmela allerdings nicht lange durchziehen – die 73-Jährige wurde noch vor Beginn der Kundgebung der AfD in Handschellen abgeführt. Wie Irmela ihre Festnahme erlebt hat und was danach passierte, hat sie uns am Telefon erzählt und währenddessen immer wieder geweint.
jetzt: Irmela, Sie wurden gestern beim Demonstrieren festgenommen, weil sie einem Platzverweis keine Folge leisteten. Was war zuvor passiert?
Irmela Mensah-Schramm: Was mir gestern passiert ist, ist ein furchtbarer Skandal. Weil ich wegen meines Alters langsam Probleme habe, bei Demos mitzulaufen, stellte ich mich für einen kurzen Protest an den Bahnhof unter die Hetzer. Als ich dann dort stand – friedlich, mit einem Plakat in der Hand – forderten mich Ordner der AfD auf, zu gehen. Ich sagte zu ihnen, dass ich hier bleiben würde. Daraufhin riefen die Ordner die Polizei. Der Polizist, der kam, sagte: „Ach bleiben Sie stehen, Sie sind ja ganz alleine.“ Das fand ich toll. Aber dann kamen plötzlich zwei dieser Anti-Konflikt-Beamtinnen. Die sagten, ich dürfe dort nicht stehen. Da sieht man mal, wie unterschiedlich Polizeibeamte agieren.
Und dann haben die beiden Polizistinnen Sie abgeführt?
Nein, ich habe mich dann mit ihnen geeinigt, dass ich auf die andere Straßenseite gehe und da bis 12:15 Uhr stehen darf. Ich stellte mich rüber und hielt mein Plakat. Etwa zehn Minuten vor 12 Uhr kamen dann drei andere Polizisten auf mich zu. Mit ruppigem Ton sagten sie, sie gäben mir nun einen Platzverweis. Ich sagte: „Das sehe ich nicht ein. Mir haben doch gerade zwei Polizistinnen erlaubt, dass ich hier stehe.“ Da packten sie mich und schoben mich weg. Ich sagte: „Lassen Sie mich los!“ Die Polizisten packten mich so grob, dass ich mich freimachen wollte und die Arme breit machte. Daraufhin verdrehten sie mir die Arme nach hinten und legten mir Handschellen an. Meine schwere Baumwolltasche ließen sie einfach an meinen Armen hängen, sie schnitt mir ins Fleisch. So führten sie mich ab.
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„So rabiat wird man nur behandelt, wenn man als Bedrohung wahrgenommen wird“
Die Polizei erklärte diesen Schritt in einem Tweet. Sie schrieb, die Festnahme sei aus Sicherheitsgründen erfolgt.
Ich habe die Polizisten natürlich nicht angegriffen, ich bin radikale Pazifistin. Und sie wollten mich damit sicher auch nicht vor den Leuten der AfD schützen. So rabiat wird man nur behandelt, wenn man als Bedrohung wahrgenommen wird.
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Was passierte, nachdem Sie in Handschellen abgeführt wurden?
Ich wurde in ein Polizeifahrzeug verfrachtet und auf die andere Seite des Bahnhofs gefahren. In der sengenden Sonne musste ich dort stehen, neben einem jungen Polizisten, der mich bewachen sollte. Ich hatte das Gefühl, dass ihm das alles sehr unangenehm war. Zwei Männer, die meine Verhaftung beobachtet hatten, machten ihn schließlich darauf aufmerksam, mit wem er es da zu tun hatte. Sie sagten: „Das ist eine Aktivistin, die ein Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Wie geht ihr mit der um?“ Das half aber alles nichts, ich wurde in die die Gefangenensammelstelle gebracht und erkennungsdienstlich vollbehandelt.
Was meinen Sie mit „erkennungsdienstlich vollbehandelt“?
Erst wurde ich zwei Stunden in eine Zelle gesperrt – ohne etwas zu trinken, ohne mein Handy, ohne alles. Dann wurden von mir zwölf Fotos angefertigt. Es wurden Stehfotos, Sitzfotos, Finger- und Handabdrücke gemacht. Erst die digitalen, dann die mit Tinte. Später hieß es sogar, ich solle dem Haftrichter vorgeführt werden. Diese Maßnahme sollte ergriffen werden, weil man in meiner Tasche den Schaber, den ich immer dabei habe, um Aufkleber zu entfernen, und eine Spraydose gefunden hat.
Inzwischen sind Sie aber wieder zu Hause. Wann durften Sie Ihre Zelle verlassen?
Ich wurde erst um um 17 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen. Ich drohte den Polizisten um mich herum an, dass das ein Nachspiel haben würde. Das war alles sehr schlimm für mich. Aber immerhin: Ich habe gestern junge Polizisten und junge Polizistinnen erlebt, die sich geschämt haben für den Umgang ihrer Kollegen mit mir. Ich spürte, dass denen das richtig peinlich war.
„Die Stadt Berlin geht nie gegen rechte Hetze vor – nur gegen Menschen, die sich gegen rechte Hetze einsetzen“
Warum glauben Sie, dass man Sie gerade für Ihren Protest gestern so behandelt hat? Sie engagieren sich ja schon seit 32 Jahren gegen Rechts.
Ich habe das Gefühl, dass einige Polizisten sich gestern dachten: „Der zeigen wir’s mal.“ Die Berliner Polizei hat sich schließlich im vergangenen Jahr vor der ganzen Welt blamiert, weil sie ein Strafverfahren für das Übersprühen einer rassistischen Botschaft gegen mich eingeleitet hatte. Das wurde inzwischen eingestellt, aber Medien aus China, Japan, Russland, Portugal, Spanien haben über diesen Skandal berichtet. Und ich habe währenddessen weiter Parolen übersprayt. Das hat die vermutlich sehr verärgert.
Woher nehmen Sie die Motivation weiterzumachen? Weiter Aufkleber zu entfernen, Parolen zu übersprühen und an Friedensdemonstrationen teilzunehmen – selbst, wenn Sie dafür angefeindet und gestern dann sogar festgenommen werden?
Ich möchte nicht zulassen, dass gegen Geflüchtete und Minderheiten so vorgegangen wird, wie es in Deutschlands Städten tausendfach vorkommt. Wenn der Staat versagt, dann muss ich es eben selbst verhindern. Die Stadt Berlin geht nie gegen rechte Hetze vor – nur gegen Menschen, die sich gegen rechte Hetze einsetzen. Am vergangenen Freitag habe ich 101 Aufkleber entfernt, da stand unter anderem: „Kanacken vergasen – Hitlers Sohn“. Ich kann an solchen Botschaften nicht tatenlos vorbeigehen, weil ich das nicht aushalten könnte. Dafür ertrage ich dann eben auch die Zeit in einer Zelle. Ich würde sterben für mein Engagement.
Die Polizei wollte sich auf Anfrage von jetzt bisher nicht zur Festnahme von Irmela Mensah-Schramm äußern.