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US-Wahl: Was Deutschland von der amerikanischen Politik lernen muss
Trump gegen Biden. Rot gegen Blau. Empathieloser Power-Kapitalismus gegen liberalen Pseudo-Sozialismus. Jingles, Wahlbetrug, FBI-Ermittlungen, Breaking News im Minutentakt, Beleidigungen, bewaffnete Demonstrant*innen und mit QAnon eine immer stärker werdende Verschwörungstheorie-Gruppierung, die die Welt von Grund auf verändern will. Politik in den USA hat in letzter Zeit eher an DIE neue HBO-Serie erinnert als an schnöde Staatsführung. Millionen von Menschen saßen tagelang gebannt vor dem Fernseher, bingewatchten das Staffelfinale mit dem Titel „US-Präsidentschaftswahl“, das – wie es bei erfolgreichen Serien so Usus ist – natürlich Überlänge hatte. Nicht nur in den USA, sondern auch bei uns, in Deutschland. Twitter, Zeitungen, Wissenschaftler*innen und Wähler*innen, alle ergötzten sich an diesem Spektakel mit einer Mischung aus Hoffnung, Abscheu und Sensationsgier.
In Deutschland fieberten viele schon seit Monaten der US-Wahl entgegen. Dass im kommenden Jahr auch bei uns gewählt wird, scheint außer Friedrich Merz noch niemanden so richtig in Wallung zu bringen. Damit sich das ändert, muss auch die Bundestagswahl zum Blockbuster werden. Aber, wie soll das funktionieren?! Da kann man ja gleich fordern, dass ab jetzt alle den Tatort genauso geil finden müssen wie Game of Thrones. Aber es ist nicht ganz hoffnungslos. Dieser Fünf-Punkte-Plan kann dabei helfen, dass die Bundestagswahl mit genauso viel Spannung verfolgt wird wie das epische Battle zwischen Trump und Biden.
1. Das politische System: Es darf aus Storytelling-Gründen nur noch zwei geben!
Zunächst einmal muss unser politisches System von Grund auf erneuert werden. Aktuell kommt es zu durchdacht, zu logisch, zu funktional daher. Ein breites politisches Spektrum, das Platz für Zwischentöne lässt? Bringt keine Action. Und dann diese ganzen Koalitionen, die demokratische Zusammenarbeit, Debatten … Puh. Marie Kondo hat uns gelehrt, dass wir alles ausdünnen müssen. Bedeutet: Alles, was für eine spannende Politik-Show nicht zwingend notwendig ist, muss weg. Zum Beispiel die FDP. Nichts für ungut, liebe FDP, ihr wart mal extrem wichtig in diesem Land. Ihr habt Charaktere wie Christian Lindner in den Reihen, zu der das Publikum im Laufe der Jahre eine Art Hassliebe entwickelt hat. Christian Lindner, der Joe Gerner der Bundespolitik. Aber mehr ist es leider nicht mehr. Deswegen schauen wir euch noch einmal an, bedanken uns für die Zeit, die wir mit euch hatten, denken an Scheel, Genscher, Westerwelle, Lindner, und legen euch auf das bundespolitische Abstellgleis.
Doch die FDP ist nicht die einzige Partei, die gehen muss. Es darf aus Storytelling-Gründen nur noch zwei geben. So funktioniert gute Unterhaltung. Aber welche Parteien müssen außer der FDP gehen? Ein Ausscheide-Verfahren im Hunger-Games-Format, quasi als Appetizer für die große Show, wäre wohl die beste Lösung. Die Radikalisierung der beiden verbleibenden Parteien erfolgt dann im Laufe der Zeit von ganz alleine. Zusätzlich muss noch das Wahlsystem so kompliziert werden, dass nur echte Nerd-Fans dieser Show es wirklich verstehen. Oder zumindest so tun.
2. Das Staatsoberhaupt: Mit rotem Telefon und direktem Draht zum Erzfeind!
Der wichtigste Posten in Deutschland ist einfach nicht heftig genug. Was bringt denn dem Publikum ein Staatsoberhaupt, das sich nicht per Dekret über die Entscheidungen des Parlaments hinwegsetzen kann, das keine verurteilten Verbrecher*innen aus dem Gefängnis entlassen kann, weil es Bock drauf hat?! Wo sind wir hier? Arte? Unser Staatsoberhaupt braucht dringend ein Upgrade: Ein rotes Telefon mit einem direkten Draht zum Erzfeind (wo sich schon die nächste Schwäche offenbart: Deutschland hat einfach keinen Erzfeind). Einen fetten Knopf, um das Armageddon auf die Welt niederregnen zu lassen. Das ist Fallhöhe. Das ist Spannung. Das ist der Stoff, aus dem griechische Tragödien und Hollywood-Blockbuster gemacht sind.
3. Das Personal: Wir brauchen jemanden mit Reality-TV-Erfahrung!
Angela Merkel, Olaf Scholz, Armin Laschet, Annalena Baerbock. Klar, solche Leute können vielleicht ein Land regieren, aber können sie ein Millionenpublikum, vielleicht sogar ein Milliardenpublikum, vor den Fernseher fesseln? Ganz sicher nicht. Keiner von diesen Leuten kann uns so polarisieren, dass alle entweder tiefsten Hass oder bedingungslose Bewunderung fühlen, sobald sie ihren Mund aufmachen. Wir brauchen neues Personal. Donald Trump hat es quasi im Alleingang geschafft, den US-Wahlkampf auf ein neues Entertainment-Level zu heben. Wir brauchen jemanden mit Reality-TV-Erfahrung, der von einem Großteil des Landes nicht ernst genommen wird, aber fanatische Fans und wie „The Donald“ einen Artikel im Namen hat. Helene Fischer wirkt viel zu vernünftig, Dieter Bohlen wäre ein vielversprechender Kandidat, aber bei ihm fehlt der Hang zu Verschwörungmythen. Es gibt wohl nur einen Menschen, der all das in sich vereint, was Donald Trump ausmacht: Michael Norberg aka. Der Wendler.
4. Die Medien: Wir wollen donnernde Bässe!
Ausgeglichene Berichterstattung, faktenbasierte Beiträge und Analysen – all das muss weg. Kein öffentlich-rechtliches-Politik-Blabla, sondern Nachrichten wie bei Fox News und MSNBC. Wir wollen donnernde Bässe als Nachrichten-Titelmusik, wütende Schreihälse als Moderator*innen, die ihre Loyalität ganz einer Partei verschrieben haben. Wir dürfen die politische Berichterstattung nicht mehr den Journalisten überlassen. Deutschlands größte Medienmacher – Stefan Raab, Til Schweiger, Sonja Zietlow und Vera Int-Veen – müssen zusammenkommen und Nachrichten ganz neu denken.
5. Das Geld: „Der Wendler 2021“ – Powered by Shell und Kaufland!
Das vielleicht wichtigste Element ist allerdings, wie so oft, das Geld. Die SPD war beim Bundestagswahlkampf 2017 der Big Spender unter den Parteien – mit lächerlichen 24 Millionen Euro. Richtig geiles Entertainment kostet richtig Asche. Wir wollen Massenevents, fette Kampagnen-Busse, Auftritte von Superstars, kreative Fanartikel. Das alles kriegt man nicht, wenn man nicht auch bereit ist, tief in die Tasche zu greifen. Den US-Demokraten war ihr Wahlkampf dieses Jahr knapp 7 Milliarden Dollar wert. Das ist Commitment, SPD. Das ist Unternehmergeist. Die Republikaner waren mit 3,8 Milliarden Dollar da schon etwas vorsichtiger, aber beide Parteien haben das Budget im Vergleich zum Wahlkampf 2016 fast verdoppelt. Solche Summen kommen natürlich nicht von alleine. In Deutschland muss das Parteienfinanzierungsgesetz nach amerikanischem Vorbild umgeschrieben werden, sodass Großinvestoren aus dem Ausland ordentlich Geld in den Wahlkampf pumpen. „Der Wendler 2021“ - Powered by Shell und Kaufland. Was! Ne! Show!
Klar, Deutschland hat in den vergangen Jahren schon von Amerika gelernt und Schritte in diese Richtung gemacht. Inhalte und politische Themen treten im Wahlkampf in den Hintergrund, um dem Spitzenpersonal mehr Raum zu geben. Seit 2002 bringen TV-Duelle im Vorfeld der Bundestagswahl ein paar Show-Elemente in den Wahlkampf und geben einen Vorgeschmack, wie sich ein Zwei-Parteien-System anfühlen könnte. Mit Bild Live gibt es einen Online-Sender, der das Zeug dazu hat, das neue Fox News zu werden. Und bei der Wahlkampffinanzierung dürfen zwar auch Unternehmen helfen, aber müssen leider öffentlich bekanntgegeben werden. Ein Albtraum für Unternehmen mit unlauteren Absichten. Doch die AfD hat 2017 schon einmal kreativ vorgemacht, wie man dieses Spielverderbergesetz umgehen kann. Und überhaupt geht die AfD in Sachen Trump-Imitation vorbildlich voran, wenn es um Wahrheitsauslegung, Wissenschaftsleugnung und Polemisierung geht.
Aber vielleicht, ja ganz vielleicht, ist es doch nicht sooo eine gute Idee, wenn die Bundespolitik auch zur HBO-Serie wird. Denn selbst der besten Blockbuster-Serie geht irgendwann der Stoff aus. Und wer zu viele schaut, der durchschaut irgendwann, das fast alles nach dem selben, alten Muster abläuft. Wie enttäuscht waren alle von den letzten beiden Staffeln Game of Thrones und wer kennt es nicht, gelangweilt durch Netflix zu scrollen, weil zwar alles ganz gut aussieht, aber letzten Endes doch der gleiche schnöde Einheitsbrei ist. Wie schön ist es dann, wenn man Sonntags um 20.15 Uhr zur Fernbedienung greift und den Tatort einschaltet. Nicht umsonst hält sich die Sendung seit mittlerweile 50 Jahren im deutschen Fernsehen. Da weiß man wenigstens, was man hat.
Dieser Artikel wurde am 8.11.2020 aufgrund des inzwischen vorliegenden Wahlergebnisses der US-Präsidentschaftswahl aktualisiert.