Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Was hat Legida ruiniert?

Foto: getty ; Collage: Johannes Englmann

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Legida ist weg, die Straßen sind leer; die Plakate mit „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ stehen eingerollt in irgendwelchen Häusern, hinter irgendwelchen Kühlschränken. Der Leipziger Pegida-Ableger hat angekündigt, keine Demos mehr zu veranstalten. Man wolle keine Kosten mehr für die Stadt verursachen und die Polizei schonen, heißt es.

Und ich, der in Leipzig lebt? Ich mache mir Gedanken. Stimmt das alles so? Ist die Auflösung ein Grund zum Feiern? Und wenn ja, was feiert man da eigentlich? Die Ruhe vor einem Sturm? Immerhin hat direkt nach der Auflösung die Offensive für Deutschland (OfD), ein militantes und rechtes Bündnis, einen Aufmarsch durch Leipzig-Connewitz angekündigt. Der letzte dieser Aufmärsche war eine Zerstörungsorgie, wer auch immer all das getan hat. Hat sich Legida wirklich erledigt? Oder hat sich der Kampf nur verlagert – zum Beispiel ins Internet? 

Als im Januar 2015 klar wurde, dass es nach dem Dresdner Vorbild auch einen Pegida-Ableger in Leipzig geben würde, reagierten viele in der Stadt irritiert. Montagsabends ab 17 Uhr wurden die Straßen gesperrt, Straßenbahnen umgeleitet und Autos gestaut. Man hörte Legida von Weitem, jeder spürte ihre Präsenz. Viele zogen sich ins Private zurück, murrten, man könne ja kaum noch zum Bahnhof kommen wegen „dieser Leute“. Aber haben sie auch etwas gegen Legida getan? Sollte man sich da bei irgendwem bedanken?  

Ich habe da einen Bekannten, der das alles weiß. Der Legida kennt – von außen und von innen. Und weil es eine wirklich schöne Geschichte ist, erzähle ich sie.

Verteufeln ist doch undifferenziert, dachte Schubél und reiht sich inkognito in die Legida-Märsche ein 

Schubél sitzt in einem Café. Schubél ist um die 40 und will seinen richtigen Namen nicht nennen, er hat gute Gründe dafür. Einer davon ist, dass seine Bekannten von Legida nicht erfreut wären, wenn sie wüssten, dass er ausgepackt hat. Schubél ist gebürtiger Leipziger, fast sein gesamtes Leben hat er in dieser Stadt verbracht. Am Anfang auf der Seite von #nolegida. Diese Gegenbewegung formte sich sehr schnell nachdem Legida auf den Straßen war. Aber während in Dresden Tausende Pegida-Anhänger demonstrierten, gingen in Leipzig nur ein paar Hundert auf die Straße. Legida war für Leipzig nie, was Pegida für Dresden ist: eine Massenveranstaltung.

Schubél stand von Anfang an etwas unschlüssig in den Reihen der Gegendemo. "Wer sind diese Leute, gegen die ich hier demonstriere?", fragte er sich. "Wer ist der Gegner, was will er, was sind seine Ziele?" Schon bald reichten ihm vorgegebene Erklärungen nicht mehr aus – er wollte eigene Antworten. "Verteufeln ist doch undifferenziert", dachte er und reihte er sich ab Januar 2016, und dann das ganze Jahr hindurch, inkognito in die Legida-Märsche ein. Jeden Montag. Jede Woche. Jeden Monat. Jetzt kennt er beide Seiten sehr gut.

„Was ich zuerst verstand, war“, sagt Schubél, „das simple Etikett 'Nazi' greift für Legida-Anhänger zu kurz.“ Das hätten alle gerne denken wollen, weil es leicht gewesen sei, findet Schubél, „aber es ist undifferenziert und falsch:  No Legida war zum Beispiel deshalb so erfolgreich, weil da normale Leute wie du und ich mitlaufen konnten. Nicht nur Linke.“ Und genau so sei es eben auch bei Legida gewesen: „Da war der Bäcker, der Mann oder die Frau, die deine Haare schneidet, und der Typ von der Bank, der dein Konto verwaltet. Das Schockierende an den 'besorgten Bürgern': Es sind meist ganz normale Leute wie ich und du.“

Schubél begriff schnell, dass das sich gegenseitige Etikettieren beiden Gruppen helfen sollte, die eigenen Leute gegen den Gegner zu mobilisieren. „Bei meiner ersten Legida-Demo ging ich einfach hin, sah die Leute und dachte: Mach lieber kehrt. Es könnte gefährlich werden. Aber hinter mir hatte sich schon die Polizei zusammengezogen und wollte mich nicht mehr durchlassen. Da dachte ich: Bleib halt hier.“ Besser, als von der Polizei einen auf den Deckel zu bekommen.

Und plötzlich war er unter ihnen. „Das Zweite, was ich schnell verstand: Auf die Sorgen der Legida-Anhänger muss man nicht hören. Sie wollen keinen Dialog. Sie wollen Wut loswerden – und die anderen sollen gefälligst zuhören! Deshalb auch das mit der Presse: Widerspruch ist generell unterwünscht“, meint Schubél.

Auch die Sache mit der Heterogenität, dem "Leute wie du und ich" war nicht so leicht, wie gedacht: „Da waren auch viele krude Leute dabei. Menschen, die an Chemtrails glauben. Menschen, die meinen, dass es eine Juden-Rothschild-Kapital-Verschwörung gibt“, sagt Schubél. „Also eben nicht mündige, politische Menschen, denen man nur mit den besseren Argumenten kommen muss.“ Auf diesen Minimalkonsens – es gibt uns und es gibt die – darauf hatte man sich intern schnell verständigt und dann die Gatter hochgezogen. „Anschluss gefunden habe ich nie, vielleicht wollte ich das gar nicht.“

Legida war angelegt als die Stimme von allen. Aber trotzdem muss man sich von extremen Positionen abgrenzen. Das lief schlecht: Es mischten sich rechte Kader bei, Verirrte unter Verwirrte, Verstoßene unter  Vernünftige. Das konnte nicht klappen, sagen Experten wie der Leipziger Politikwissenschaftler Hendrik Träger. Man habe bei Legida den Fehler gemacht, sich nicht nach Rechtsaußen abzugrenzen. „Für viele könnte da der Punkt gekommen sein“, sagte er kürzlich dem MDR, „wo die Leute einfach gesagt haben: Ich bin vielleicht unzufrieden mit der Situation im Land, aber ich möchte nicht mit Leuten von Rechtsaußen auf die Straße gehen"

Auch interne Streitigkeiten, meint Schubél, habe man zunehmend offen ausgetragen: „Da wollten sich immer neue Leute zum Regionalfürsten aufschwingen. Das hat Legida sicher geschadet, weil die Identifikationsfigur fehlte“, meint er. Und irgendwann habe das Bündnis keine Leute mehr auf die Straße gekriegt, bestätigt auch die Die-Linke-Politikern Juliane Nagel, die ebenfalls nah dran an der Gegendemo war und selbst in Connewitz arbeitet. Jetzt will Legida im Internet weiterwirken – und Kabarettabende veranstalten. So gesehen auch ein Rückzug ins Private.

 

"Man hat hier gelernt, sich dauernd zu beschweren und sich ohnmächtig zu geben. Was man aber nicht gelernt hat: Was kann ich eigentlich dagegen tun?"

 

Die sächsische Seele, und das habe mit den Erfahrungen aus der DDR zu tun, meint Schubél, habe sich immer mit den Umständen arrangiert: „Die Deutschen sagen gerne, auch wenn einem etwas nicht passt: Ich hab die Regeln nicht gemacht!“ Mit diesem Argument habe sich die DDR-Bevölkerung gut unter einer Diktatur eingerichtet. „Die Argumentation war immer: Das haben die da oben so beschlossen, ich finde das zwar nicht gut, aber ich kann es nicht ändern. Diese Selbstverzwergung, die da oben, mächtig, ich hier unten, ohnmächtig“, sagt Schubél, „findet sich jetzt voll in den Argumentationen der besorgten Bürger wieder. Man hat hier gelernt, sich dauernd zu beschweren und sich ohnmächtig zu geben. Was man aber nicht gelernt hat, oder was einem die Politik, – die im Übrigen in Sachsen sehr, sehr dürftig gegen Pegida & Co agiert hat – nie erklärt hat: Was kann ich eigentlich dagegen tun? Welche demokratischen Mittel besitze ich? Jetzt haben die Organisatoren von Pegida den Weg gezeigt: Geht auf die Straße. Und da sind sie nun, weil sie denken: Endlich weiß ich, was ich machen kann.“

 

„Das Unglaubliche ist: Die meisten, die ich zum Beispiel bei Pegida in Dresden getroffen habe, waren eher Alte und Rentner, die haben sich danach in den Mercedes gesetzt und sind nach Hause gebraust.“ Sie hätten nie etwas zu verlieren gehabt oder auszustehen, glaubt Schubél. „Der Sachse will aber persönlich gefragt werden, ob er Flüchtlinge in der Stadt haben will oder nicht. Das ist die Mentalität hier“, sagt er. „Der Sachse möchte, dass der Bürgermeister mit dem Stadtrat zu Besuch kommt, ihm alles in Ruhe erklärt und dann darf der Sachse entscheiden.“ Sachsen im Allgemeinen und Dresden im Speziellen habe einfach noch dieses Fürstliche. 

 

Was alles schlussendlich verändert hat, und diese Auffassung teilt Schubél mit dem Grünen-Politiker Jürgen Kasek, der selbst von einer Gruppe rechter Hooligans in einem Zug attackiert wurde: kontinuierlicher und sichtbarer Gegenprotest. 

 

„Anfangs waren Legida und #nolegida noch weiträumig getrennt. Man hörte einander, aber man sah einander nicht. Die Polizei begleitete die Demos aneinander vorbei. Legida lief praktisch alleine“, erklärt Schubél. „Irgendwann wurden wir dort aber zunehmend durch einen Korridor geführt, wir sahen die Menschen der Gegendemo – und sie sahen uns. Plötzlich klappte die Etikettierung nicht mehr. Die Legida-Leute merkten: Dass sind ja gar keine linken Steineschmeißer oder faule Studenten da drüben. Das ist ja mein Nachbar, mein Bäcker – und den Typ kenne ich von der Post! Das sind ganz normale Bürger!“ Schubél überlegt. „Ich glaube, da haben sich viele gedacht, dass wir alle Bürger dieser Stadt sind, dass man sich noch in die Augen gucken muss am nächsten Tag, dass der Gegendemonstrant mein Nachbar oder Arbeitskollege sein könnte – und will ich dann wirklich hier stehen? Mit diesen Leuten?“

 

Mehr und mehr zogen sich die Mitläufer zurück. „Anders als in Dresden, wo es viele ältere Leute sind, wo es keinen Zuzug von jungen Leuten gibt wie in Leipzig, ging hier einfach die Luft aus. Wir können sehr glücklich sein, dass wir die Uni haben, dass immer neue Menschen in die Stadt kommen, gerade jüngere“, sagt Schubél. „Sie haben die Veränderung gebracht – und letztlich waren sie es auch, die die Gegendemos überhaupt organsiert und am Leben gehalten haben.“ Das war der Unterschied. Die jungen Leute. Die ach so unpolitische Generation.

 

Schubéls Geschichte ist nicht deshalb so schön, dass ich sie erzählen musste, weil sie einen bestimmten Ausgang hat. Sie ist schön, weil Schubél nie verurteilt, sondern nur guckt. Er macht sich sein eigenes Bild. Er glaubt nicht, er vermutet nicht. Schubél hat die Legida-Welt als Entdecker mit Tropenhut betreten, mit den wachen Auges eines wirklich an den Dingen interessierten Mannes. Ich schätze, gerade deshalb glaube ich ihm: Weil er nie ein böses Wort verloren hat, weil er diese Oberlehrerhaftigkeit abgelegt hat, mit denen viele Menschen viel zu oft ihren Mitmenschen begegnen und sie bekehren wollen.  

 

Und jetzt? Jetzt, einige Tage nach dem Ende von Legida, sind die Straßen wieder leer. Aber ich weiß: Dass Menschen, die neu in eine Stadt kommen, immer etwas bewegen können. Dass das Positive das Negative oft zahlenmäßig aufwiegt. Und auf die Straße zu gehen, das ist vielleicht die wichtige Erkenntnis, macht doch ­– nach all den Jahrzehnten und Widerständen unserer Eltern – noch immer einen Unterschied. Man kann jetzt stolz sein, wenn man dabei war, auf sein Plakat hinter dem Kühlschrank gucken und sagen: Ja, auch ich habe das geschafft. Ich habe Haltung gezeigt.

 

Eine Bevölkerung kann – ganz allein und ohne Gewalt – eine Sichtweise durchsetzen. Natürlich im Positiven wie Negativen. Und klar: Es gibt auch Verlierer in einer funktionierenden Demokratie. Aber dass sie funktioniert, dass sie intakt ist, das ganz alleine ist vielleicht die gute Nachricht in einer Zeit, die gute Nachricht braucht. Und später, wenn die Kinder von Leuten wie Schubél die Plakate in der Abstellkammer finden, verstaubt und gerissen, dann haben Leute wie er eine schöne Geschichte zu erzählen; die Geschichte einer kleinen, weiteren Wende vielleicht. 

 

Mehr zu Leipzig, Pegida und Legida:

  • teilen
  • schließen