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Wahlalter: Warum der Forschung zufolge Wählen ab 16 Jahren eine gute Idee Ist
Julia Schulte-Cloos forscht an der LMU München unteranderem zu Wahlverhalten.
Das Thema „Wählen ab 16 Jahren“ ist in Deutschland ein absoluter Dauerbrenner: Alle paar Monate wird die Wahlalter-Senkung auf Bundeseben von Politiker*innen gefordert. Zuletzt äußerten sich die Familienministerin Franziska Giffey (SPD), die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck dazu. Bisher ist die Situation wie folgt: Auf Bundes- und EU-Ebene wird in Deutschland einheitlich ab 18 Jahren gewählt, in einigen Bundesländern darf bei Landtagswahlen dagegen schon mit 16 gewählt werden (etwa Brandenburg und Schleswig-Holstein) und auf kommunaler Ebene ist das niedrige Wahlalter noch weiter verbreitet. Aber was sagt eigentlich die Forschung zu dem Thema? Ist wählen ab 16 Jahren eine gute Idee? Wir haben Dr. Julia Schulte-Cloos gefragt. Die 29-Jährige forscht an der LMU zum Thema Wahlverhalten und politischer Sozialisierung, und hat eine klare Antwort.
jetzt: Viele vermuten hinter dem Vorschlag von Familienministerin Giffey das Wahlalter zu senken, politisches Kalkül: Junge Menschen sollen eher dazu tendieren, rot und grün zu wählen.
Schulte-Cloos: Das mag sein. Es ist aber das Recht aller Parteien, Erstwähler zu mobilisieren. Das würde ja auch für die Union gelten. Am Ende ist es doch wichtiger zu wissen, ob es sinnvoll ist, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
Und ist es das?
Aus politikwissenschaftlicher Sicht: Ja!
Mit einer so deutlichen Antwort hätte ich jetzt nicht gerechnet. Woran liegt das?
Wählen zu gehen ist etwas, das man vom sozialen Umfeld lernt. Mit 16 Jahren wohnen die meisten Menschen noch zu Hause. Das bedeutet, dass sie die Wahl-Routinen ihrer Eltern mitbekommen. Etwa: Gemeinsam zum Wahllokal spazieren, im Vorfeld der Wahl zusammen über die Inhalte der Parteien diskutieren. Wenn man so eine Routine einmal miterlebt hat, behält man sie oft sein Leben lang bei. Die Forschung spricht da von „Habitual Voting“, das heißt, wählen ist auch Gewohnheit.
Und wenn man einmal wählen war, ist es wahrscheinlich, dass man auch ein zweites Mal geht?
Genau. Es gibt Zahlen aus Skandinavien, die zeigen, dass Erstwähler*innen, die noch zuhause wohnen, im Schnitt auch später häufiger zur Urne gehen. Mit 16 Jahren wohnen die meisten noch bei den Eltern. Gerade im Alter um die 18 Jahre passieren dann Dinge, die sich negativ auf die politische Partizipation auswirken können.
Was ist denn mit 18 Jahren so anders?
Oft wohnen Erstwähler*innen nicht mehr zu Hause, und dann fällt natürlich das Lernen der „Wahlnormen“ weg. Und: Mit 18 Jahren haben die meisten jungen Menschen ein ziemlich unruhiges Leben. Da passiert einfach wahnsinnig viel: Sie müssen Entscheidungen fällen, was ihre Zukunft angeht, ziehen in eine andere Stadt, beginnen zu arbeiten oder zu studieren und, und, und. Wählen fällt dann leicht hinten herunter, auch das ist durch Studien gut belegt. Und da kommt auch oft dieser Fehlschluss her: Nur weil Leute zwischen 18 und 21 Jahren im Schnitt seltener wählen gehen als die über 30-Jährigen, heißt das noch nicht, dass das auch für 16-Jährige gilt.
„Je mehr Menschen politisch teilhaben können, umso besser ist das für die Demokratie“
Okay, aber haben 16-Jährige überhaupt schon das nötige politische Know-How? Allein die Wahlzettel sind ja schon so kompliziert….
In Österreich haben sie das elegant gelöst. Dort haben sie schon 2007 das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt. Diese Reform wurde aber auch durch gezielte Maßnahmen begleitet: Beispielsweise mehr Unterricht zu Politik und Zeitgeschehen oder Kampagnen zur politischen Sensibilisierung.
Ist unser Nachbarland diesbezüglich weiter als wir?
Österreich ist da schon ein Vorbild. Vor allem auch, weil sie das Wahlalter auf allen Ebenen gleich angesetzt haben. Dass es in verschiedenen Teilen Deutschlands so viele verschiedene Regeln gibt, ist für junge Menschen vermutlich auch zu einem gewissen Grad deprimierend.
Gibt es aus ihrer Sicht also nichts Negatives an einer Wahlberechtigung ab 16 Jahren zu sagen?
Nicht wirklich. Was sich allerdings auch durch die Senkung des Wahlalters allein wohl nicht beheben lässt, ist, dass es jungen Menschen aus bildungsfernen oder generell Nichtwähler-Familien schwerer fällt, zu „Habitual Voters“ zu werden.
Hat sich in Österreich eigentlich in der politischen Landschaft etwas geändert, nachdem sie das Wahlalter gesenkt hatten? Also wurden etwa extremistische Parteien stärker gewählt?
Studien zeigen, dass die junge Menschen in Österreich im Schnitt nicht polarisierter wählen. Und ganz generell ist es ja so: Je mehr Menschen politisch teilhaben können, umso besser ist das für die Demokratie.