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„Volt Europa“: Die junge Partei tritt am Sonntag zum ersten Mal bei den Europawahlen an
Es braucht zwischen 1,5 und 2 Millionen Wählerstimmen, damit Eileen O’Sullivan am nächsten Sonntag als Abgeordnete in das Europäische Parlament gewählt wird. Sie ist 23, studiert Politik und Religion in Frankfurt und steht auf Platz vier der bundesweiten Kandidatenliste von Volt Europa – der ersten paneuropäischen Partei, die in insgesamt acht europäischen Ländern mit einem einheitlichen Wahlprogramm antritt.
Was als Bürgerbewegung einiger aktiver Europäerinnen und Europäer begann, ist mittlerweile in 13 Ländern Europas eine eingetragene Partei – seit März letzten Jahres auch in Deutschland. Das Durchschnittsalter der insgesamt 1 300 Mitglieder in Deutschland (europaweit sind es über 20 000) liegt unter 35 Jahren. Sie verstehen sich als gesamteuropäisches Projekt, das jenseits der klassischen parteipolitischen Links-Rechts-Orientierung funktioniert. Sie vertreten die „Generation Erasmus“ – die Menschen also, die sich mehr mit Europa identifizieren als mit dem jeweiligen Land, in dem sie geboren sind. Sie glauben, dass Europa die Zukunft ist und gießen damit das Gefühl, das aktuelle sehr viele Menschen auf die Straße bringt, in ein politisches Parteiprogramm.
„Ich will Politik machen, die nicht nur einem Land zugutekommt, sondern der ganzen Europäischen Union“, sagt Eileen. Ihre Mutter kommt aus der Türkei, ihr Vater aus Irland, aufgewachsen ist sie in Deutschland – drei Heimaten und drei völlig unterschiedliche politische Situationen. Zu Volt ist sie durch einen ehemaligen Schulkameraden gekommen, von dem sie wenig später den regionalen Vorsitz – den „Citylead“ – in Frankfurt übernommen hat. Es war der europäische Ansatz der Partei, der sie überzeugte. „Wenn wir schon eine Gemeinschaft sind, dann sollten wir auch einander helfen und konsequent aufeinander achten“, sagt Eileen. Gleichzeitig glaubt sie aber auch, dass sich die Europäische Union aktuell zu schlecht verkaufe. „Die Menschen sind wütend und verstehen nicht, warum wir die EU überhaupt brauchen und wofür sie gut ist“, sagt Eileen, „Daran müssen wir arbeiten, sonst gibt es die EU bald nicht mehr.“
Bei der letzten Europawahlen 2014 haben nur 43 Prozent der Bürger und Bürgerinnen abgestimmt. Die Krisen der letzten Jahre – Eurokrise, Brexit, die Verteilung von Flüchtlingen, Klimakrise – haben der Union geschadet. Nie war der Zusammenhalt der europäischen Gemeinschaft wichtiger, aber gleichzeitig war die Europäische Union auch noch nie weniger selbstverständlich. Immer mehr euroskeptische, rechtsnationale oder populistische Parteien ziehen in die Parlamente der Mitgliedstaaten ein und die Stimmen gegen eine tiefergreifende europäische Integration werden lauter. Wahlbeobachter bezeichnen die Wahl am Sonntag als „Schicksalswahl“ für Europa. Als die Wahl, die entscheiden wird, wie es weitergeht.
„Es reicht nicht, nur auf die Straße zu gehen und ein Schild hochzuhalten, man muss auch bereit sein, in die Politik zu gehen“
Gegründet wurde die Kleinstpartei Volt 2017 von Andrea Venzon, Colombe Cahen Salvador und Damian Boeselager – zwei junge Europäer und eine junge Europäerin, die europäische Probleme gesamteuropäisch lösen wollen. Der Name steht symbolisch für neue Energie, denn sie wollen die Beziehungen der Mitgliedstaaten stärken und fordern mehr Verantwortung der Europäischen Union in der Weltpolitik. Im Wahlprogramm der Partei geht es nicht nur um Punkte wie Klimaschutz, europäische Außen- und Wirtschaftspolitik oder soziale Gerechtigkeit, sondern auch um institutionelle Reformen der Europäischen Union. Sie fordern ein Europa, das demokratischer ist, das mehr Bürgerbeteiligung zulässt und ein Initiativrecht für das Europäische Parlament, denn bisher darf nur die Europäische Kommission Gesetzesvorschläge einreichen, nicht aber das Parlament als einzige direkt gewählte EU-Institution.
Konstantin Feist ist 19, studiert Jura in Leipzig und ist „Policylead“ bei Volt. Er und sein Team sind für die inhaltliche Ausrichtung der Partei zuständig. Sie entwickeln, übersetzen und kommunizieren die politischen Positionen an die Volt-Mitglieder, die dann wiederum darüber abstimmen. Konstantin trat bei Volt ein, nachdem die Briten für den Brexit gestimmt hatten: „Ich wollte politisch aktiv werden, meine Wut bündeln und etwas Sinnvolles daraus machen.“ Er findet es gut, dass aktuell in vielen europäischen Städten Menschen auf die Straßen gehen, um für Europa (Pulse of Europe) oder für eine bessere Klimapolitik (Fridays for Future) zu demonstrieren. Gleichzeitig sieht er dabei aber auch die Gefahr, dass Politiker und Politikerinnen die Proteste einfach aussitzen und sie früher oder später versanden. „Es reicht nicht, nur auf die Straße zu gehen und ein Schild hochzuhalten, man muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und in die Politik zu gehen“, sagt Konstantin. Nur so könne sich etwas verändern.
Es ist unklar, wie groß der Wahlerfolg der Partei am Sonntag sein wird. Volt taucht aktuell noch in keinen Umfragen auf. Beim Wahl-O-Mat, dem Onlinewahltool der Bundeszentrale für politische Bildung, steht Volt am Ende der alphabetischen Liste. Dagegen, dass nur acht Parteien zum Vergleich ausgewählt werden können, hat die Partei vergangene Woche einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Sie sagen, das Auswahlverfahren sei eine Benachteiligung kleinerer Parteien und verstoße daher gegen die verfassungsrechtlich garantierte Chancengleichheit der Parteien. Am Montag gab das Gericht ihnen recht: Der Wahl-O-Mat darf in seiner jetzigen Form nicht mehr angeboten werden und ging daraufhin kurzzeitig offline. Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte am Dienstag zunächst angekündigt, Beschwerde gegen den Beschluss einzureichen, später dann aber eingeräumt, den Wahl-O-Mat zur nächsten Wahl in einer anderen Version anzubieten.
Seit dem Urteil bekommt die Kleinstpartei sehr viel mediale Aufmerksamkeit. Auf Anfrage sagen jedoch mehrere Wahl- und Parteienforscher und -forscherinnen, dass sie aktuell noch keine zuverlässige Einschätzung zur Partei und ihrer Bedeutung für die Europäische Union geben können und es daher auch lieber nicht tun. Die Partei ist zu neu und ihr Mobilisierungspotenzial noch unbekannt.
Auf die Frage, was sich für sie verändern würde, wenn sie in das Europäische Parlament gewählt wird, lacht Eileen und sagt: „Alles. Es würde mein ganzes Leben auf den Kopf stellen“. Jetzt gerade komme sie zwischen den ganzen Terminen noch gar nicht dazu, kurz stehenzubleiben und sich zu überlegen, wie sie das alles überhaupt machen würde. „Aber es wäre natürlich extrem spannend und ich würde mich wahnsinnig freuen“, sagt Eileen.