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Iran: Demos nach gewaltsamem Tod von Zhina Mahsa Amini
„Zan, Zendegī, Āzādī!“, skandiert die Menschenmenge immer wieder, während auf der Bühne wütende und ermutigende Reden gehalten werden. „Frau, Leben, Freiheit“ – das sind die drei Wörter, die zur Losung all derer geworden sind, die seit dem Tod der 22-jährigen Zhina Mahsa Amini gegen das iranische Regime auf die Straßen gehen. Ganz still wird es erst, als eine Rednerin ein Gedicht auf Farsi und anschließend auf Englisch vorträgt. Eine Frau fragt darin einen Mann: „(...) Der Wind hat dein Zuhause weggeweht und du klammerst dich noch an das Ende meines Schleiers? Warum schläfst du? (...)“ Es handele davon, wie sich Menschen aus Angst vor der Welt eine eigene bauen, aus Regeln und Zwängen, flüstert eine iranische Frau ihrer deutschen Begleiterin zu.
Die Protestierenden in Berlin fordern auch von der deutschen Regierung, sich für die Demonstrant:innen in Iran einzusetzen.
Wer mit diesen Menschen gemeint ist, darüber dürfte Einigkeit bestehen unter den etwa 1800 Demonstrant:innen, die sich am frühen Mittwochabend vor dem Brandenburger Tor versammelt haben. Es sind die Machthaber in Iran und ihre Unterstützer und Handlanger. Zhina Mahsa Amini, die mutmaßlich von der iranischen Sittenpolizei ermordet wurde, sei ein wichtiges Symbol, sagt die 28-jährige Namensverwandte, Mahsa Behroozian. Aber es ginge mittlerweile um mehr als die frauenfeindlichen Schikanen und die Verbrechen der Sittenpolizei – das Regime müsse endlich gestürzt werden. Sie selbst sei 2015 aus Iran nach Deutschland gekommen, weil sie die Enge dort nicht mehr ausgehalten habe. Sie sei zum Beispiel beim Auto fahren wegen ihrer Kleidung angehalten worden und habe an der Uni viele sinnlose Religionskurse machen müssen. „Wenn man in Iran lebt, kommt einem das alles normal vor, aber wenn man hier ist und das von außen sieht, denkt man nur: What the fuck“, sagt Mahsa.
„Im Westen wird das Sterben im Nahen Osten einfach als normal angesehen“
Wie, glaubt sie, könne das Regime ein Ende finden? „Ich hoffe, durch friedliche Proteste.“ Eine ihrer Freundinnen ruft von der Seite: „Nein, es kann nur eine blutige Revolution geben!“
Und die ist gewissermaßen schon da. Mindestens 76 Demonstrant:innen sind seit Beginn der Proteste laut der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights von Sicherheitskräften getötet worden. „Bei den Protesten 2019 sind 1500 Menschen in zehn Tagen umgebracht worden, während das Internet ausgeschaltet war. Und jetzt haben sie es wieder ausgeschaltet“, sagt mit eindringlichem Blick Setayesh, 28. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte damals über die Zahl der Toten berichtet und sich auf Informationen des iranischen Innenministeriums berufen. Auch Setayesh ist zum Studium nach Berlin gekommen, wollte nach Beginn der Proteste unbedingt irgendwie helfen und verteilt jetzt Flyer bei der Demo der Non-Profit-Organisation Háwar. Sie fügt hinzu: „In Deutschland und im Westen allgemein wird das Sterben im Nahen Osten einfach als normal angesehen. Das muss aufhören.“
Als die Proteste anfingen, wollte Setayesh unbedingt helfen.
Von der Rolle Deutschlands wird auch auf der Bühne gesprochen: Mehrere Redner:innen werfen der Bundesregierung vor, wohlfeile Ankündigungen einer feministischen, von Idealen geleiteten Außenpolitik nicht umzusetzen. Olaf Scholz hatte den Fall Zhina Mahsa Amini als „schrecklich“ bezeichnet und ein Regierungssprecher „eine rasche und umgehende Untersuchung“ gefordert. Aber der Tod Aminis sei nicht „schrecklich“, ruft eine Rednerin. Es sei kein tragischer, bedauerlicher Unfall, sondern „ein staatlich gewollter und gelenkter Femizid“. Die Forderung nach Aufklärung findet ihr Nachredner schlicht naiv.
„Zwei meiner Freunde wurden im Gefängnis ermordet“
Arash, 30, stimmt dem zu: „Mit Fundamentalisten kann man nicht reden. Sie werden sich nie ändern. Das muss auch endlich der Westen begreifen.“ Er verstehe, dass Europa gerade viele andere Sorgen habe. Aber es sei unglaublich, dass sich Macron kürzlich bei einem netten Handshake mit dem iranischen Präsidenten Raisi habe fotografieren lassen – mit einem Mann, der als Richter in den 80er Jahren für den Tod von 30 000 politischen Gefangenen mit verantwortlich sei. Tatsächlich war Raisi Teil der sogenannten „death commissions“, die 1988 in Iran tausende politische Gefangene hinrichten ließen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International geht von etwa 5000 Todesopfern aus, andere Organisationen schätzen die Zahl auf bis zu 30 000.
Arash ist sich sicher: Mit Fundamentalist:innen sei kein Frieden möglich.
Ein Schicksal, dem er womöglich selbst nur knapp entgangen ist: 2016 habe er Iran verlassen, nachdem er drei Mal wegen seines politischen Aktivismus im Gefängnis gewesen sei. „Zwei meiner Freunde wurden im Gefängnis ermordet“, sagt er. „Wir haben zusammen eine illegale sozialistische Zeitschrift herausgebracht.“ Er sei überglücklich, dass die Leute in Iran nach 42 Jahren endlich genug haben und auch hier in Deutschland unterstützt werden. Aber Proteste gegen das Regime hat es schon viele gegeben. Ob er glaube, dass dieses Mal etwas anders sei? „Ja, ich habe das Gefühl, dass die Menschen jetzt begreifen, dass es um alles geht.“
Das bestätigt auch einer, der es wissen muss: Mohammed, 65, ein freundlicher Mann mit Schnauzbart, erzählt, er habe gleich nach der islamischen Revolution 1979 Iran verlassen und seitdem viele Protestwellen kommen und gehen gesehen: „Vor 13 Jahren bei der ‚Grünen Bewegung‘ ging es um Wahlbetrug. 2019 um hohe Ölpreise. Dieses Mal ist es anders. Es wird nichts Spezifisches gefordert, sondern der Sturz des Regimes ist das Ziel.“
Auf dem rechten Plakat: Die abgeschnittenen Haare einer Frau als Flagge. In Iran haben Demonstrantinnen öffentlich ihre Haare abgeschnitten und ihre Hidschabs verbrannt.
Der Bauingenieur versuche, in Deutschland ein ganz normales Leben zu führen, er sei nicht besonders politisch. „Aber seit dem Tod von Mahsa kann ich nicht mehr schlafen. So viele Bilder kommen wieder hoch. Ich meine, dort werden Menschen die Hände abgetrennt, weil sie Schokolade geklaut haben!“ Unter solchen Umständen, meint er, sähen die jungen Leute, die jetzt protestieren, einfach keine Zukunft für sich – sie hätten nichts zu verlieren. „Und das ist auch die Schuld meiner Generation und der vorherigen“, murmelt Mohammed bekümmert. „Wir hätten diese unsäglichen Mullahs nie an die Macht bringen sollen.“
„Zan, Zendegī, Āzādī!“, ruft die Menge wieder. Auch viele der Deutschen, die hier ihre Solidarität bekunden wollen, haben den Spruch mittlerweile übernommen. „Aber schöne Worte bringen nichts“, wirft Arash, der ehemalige politische Gefangene, noch hinterher. „Deutschland muss Sanktionen auf den Weg bringen, iranische Diplomaten ausweisen und darf sich nicht einreden, dass diese Terroristen mit sich verhandeln lassen.“