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Teil-Lockdown: Betroffene aus der Gastro-, Kultur- und Sportbranche erzählen
„In unseren Betrieben wurde keine einzige Infektion nachgewiesen. Warum müssen wir trotzdem schließen?“
Die Bundesregierung hat Anfang November mit den Bundesländern einen Teil-Lockdown vereinbart, der nun schon etwa zwei Wochen anhält. Gastro- und Kulturbetriebe sowie Fitnessstudios mussten schließen, Friseursalons und Läden dürfen weiterhin geöffnet bleiben. So hofft die Regierung, die Verbreitung des Coronavirus eindämmen zu können. Bei vielen Menschen, deren Branchen derzeit lahmliegen, führen diese Maßnahmen allerdings zu Unmut. Fünf von ihnen erzählen davon und haben auch Vorschläge für die Politik, welche Regeln sie für geeigneter und gerechter halten.
„Ich verstehe einfach nicht, warum wir nicht mal unsere Säle vermieten dürfen?“
Matthias ist 26 Jahre alt und lebt in Kempten. Seine Familie besitzt dort außer dem Kino „Colosseum Center“ auch ein Restaurant. Wegen des Teil-Lockdowns hat die Familie Klagen eingereicht.
„Ich finde die Maßnahme, unsere Betriebe zu schließen, willkürlich und unverhältnismäßig. Ich fühle mich, als wären wir die Bauernopfer. Natürlich sehe ich Handlungsbedarf: Die Zahl der Corona-Fälle steigt immer weiter, Covid-19 ist gefährlich, niemand möchte daran erkranken. Klar, dass die Regierung da Druck hat, Maßnahmen zu ergreifen. Aber es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum die Regierung dann gerade Kinos und Gaststätten schließen. Wir hatten gute Hygienekonzepte, die scheinbar funktioniert haben. In unseren Betrieben wurde keine einzige Infektion nachgewiesen. Warum müssen wir dann trotzdem schließen? Während Gottesdienste und Schulen, wo tatsächlich viele Infektionen nachgewiesen wurden, offen bleiben?
Ich will damit nicht mal sagen, dass Schulen schließen sollten. Ich will nur, dass sich die Regierung andere, sinnvollere Maßnahmen überlegt. Ich finde zum Beispiel gut, dass man sich privat nur noch mit Angehörigen eines Haushalts treffen darf. Das hätte man auch für Kinos so festlegen können. Luftfiltersysteme beispielsweise sind ja auch eine gute Idee. Angesichts der derzeitigen Regeln wünsche ich mir aber auch, dass die zugesicherte Entschädigung für den Lockdown bald überwiesen wird. Beim ersten Lockdown haben wir tatsächlich Unterstützung bekommen.
Wir haben im Vergleich zu anderen noch Glück. Wir haben genügend Rücklagen und Sicherheiten für Banken, sodass uns dieser Teil-Lockdown nicht direkt in die Insolvenz stürzt. Aber dennoch fehlt uns gerade eben der Großteil der Einnahmen. Wir verkaufen zwar Essen to go, auch Popcorn und Nachos – aber das reicht natürlich lange nicht, um die laufenden Kosten zu decken. Ich verstehe einfach nicht, warum wir nicht mal unsere Säle vermieten dürfen? Wir hatten uns vorher beispielsweise überlegt, Kinosäle an zwei bis drei Menschen zu vermieten, damit die dann auf der großen Leinwand Videospiele spielen können. Dagegen spricht doch nichts?
Mich selbst betrifft das Ganze weniger als andere Familienmitglieder. Ich bin nämlich hauptberuflich Rechtsreferendar, trage aber als Mitgesellschafter eben auch die Verantwortung für den Betrieb mit. Ich kümmere mich vor allem um Verwaltungskram. Gerade gibt’s da natürlich viel zu tun, weil wir seit Corona im ständigen Austausch mit Behörden sind: Ständig muss man irgendwas beantragen, zum Beispiel Kurzarbeitergeld oder Hilfen, oft gibt es da dann viele Rückfragen – außerdem haben wir gegen die Maßnahmen geklagt. Allerdings sind wir vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem Eilantrag gescheitert. Wir warten im Moment noch auf den Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, ich fürchte aber, dass dort ähnlich entschieden wird.“
„Für den Großteil der Gastronomen ist die Pandemie eine Existenzbedrohung“
Philipp, 31, ist Besitzer eines mexikanischen Restaurants in Passau.
„Das mag überraschend klingen, aber: Ich war tatsächlich froh, als wir die Cantina wieder schließen mussten. Das liegt daran, dass wir ein Winterlokal sind, sprich: Gerade von Oktober bis Februar/März haben wir unsere starken Monate. Gegen Ende September, als die Infektionszahlen stiegen, haben wir aber schon gemerkt, dass die Leute vorsichtiger, teilweise auch panisch geworden sind. Wir hatten weniger Gäste und dementsprechend miserable Umsätze. Unsere Fixkosten konnten wir gerade so decken, an vielen Tagen haben wir aber auch Minus gemacht, obwohl wir offen hatten. Und dadurch ist es einfach immer schlimmer geworden. Durch die Schließung können wir wenigstens die Betriebskosten auf ein Minimum runterfahren. Es ist zwar nicht im Sinne unseres Jobs, das alles auszusitzen, aber anders können wir uns das gerade nicht leisten.
Für den Sommer hatte ich ein Hygienekonzept geschrieben. Wir haben darauf geachtet, viel zu lüften und die Türen offen zu lassen, damit die Leute wenig anfassen müssen. Wir haben Desinfektionsmittel und Masken zur Verfügung gestellt, viel Abstand zwischen den Tischen gelassen und die Daten der Gäste aufgenommen, um mögliche Infektionsketten nachverfolgen zu können. Das braucht man natürlich, kostet aber auch zusätzlich Geld, das wir gerade nicht haben. Ich persönlich hatte nicht den Eindruck, dass die Gastronomie das Problem bei der Verbreitung von Corona war. Durch die Schließung der Gastro vermute ich jetzt sogar eher, dass sich private Veranstaltungen, die ganz ohne Hygienekonzept stattfinden, häufen werden.
Mein Arbeitsalltag hat sich durch Corona krass verändert. Normalerweise haben wir jeden Tag geöffnet, ich selbst bin auch jeden Tag vor Ort. Es ist aber nicht so, dass du den ganzen Tag in deinem Laden stehst, ein Bierchen trinkst und um 23 Uhr geht’s heim. Dazu gehört auch viel Büroarbeit und die steht immer noch an. Wir bieten jetzt Freitag und Samstag Lieferdienst an. Dass es nur diese beiden Tage sind, ist der Größe unserer Stadt geschuldet. Wenn wir in München wären, würden wir wahrscheinlich jeden Tag versuchen zu liefern. Aber da Passau eine Studentenstadt ist, merkt man gerade auch, dass einfach viele wegen der Online-Lehre gerade nicht hier sind.
Wir könnten gerade – am besten noch im November – staatliche Hilfen gebrauchen. Aber ich könnte auch dann nicht zu 100 Prozent sagen, dass wir diese Krise überstehen. Das Geld würde auch bei Weitem nicht das Loch stopfen, das Corona über das Jahr hinweg reingerissen hat. Auch die Soforthilfe im Frühjahr war leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir hatten wahnsinnig lange zu und konnten nur unter schlechten Bedingungen wiedereröffnen. Da wünsche ich mir, dass die Hilfe einfacher zu den Unternehmern und Gastronomen kommt. Für den Großteil der Gastronomen ist die Pandemie eine Existenzbedrohung.“
„Ich würde mir wünschen, dass die Politik nicht nur die Notbremse zieht, sondern sagt, wohin die Reise geht“
Martin, 29, ist Dramaturg an den Münchner Kammerspielen.
„Für die Kammerspiele waren die vergangenen Monate noch einmal besonders schwierig, weil die Intendanz wechselte. Barbara Mundel kam, Matthias Lilienthal ging. So ein Wechsel wird normalerweise groß begangen – mit Abschlussveranstaltungen, mit vielen neuen Projekten und aufregenden Premieren. Das mussten wir alles stark zurückfahren. Wir hatten ein großes Abschiedsprojekt geplant mit zehn internationalen Regieteams – das ging natürlich nicht. Es ist frustrierend.
Ich habe aber auch das Gefühl, dass wir an den Kammerspielen gerade noch enger zusammenrücken. Wir wissen, dass wir neue Strategien finden müssen. Auch wir müssen überlegen: Für wen wollen wir künftig Theater machen? Was wollen wir im Theater verhandeln? Ich denke, entscheidend ist: Wo stehen wir, wenn das alles vorbei ist? Im Frühling haben wir wahnsinnig viele digitale Projekte gemacht. Wir hatten Angst, dass uns die Menschen sonst vergessen. Das ist jetzt anders, wir sind etwas entspannter dahingehend und sehen letztendlich die Verantwortung bei der Politik. Doch wir wollen unbedingt wieder Theater machen. Und wissen, dass das länger dauern wird als uns lieb ist. Jetzt können wir immerhin weiterhin proben, anders als im Frühjahr. Man könnte also im Dezember Premieren aufführen – aber ich glaube nicht, dass die Theater dann schon wieder geöffnet sein werden.
Die Maßnahmen der Regierung sind für mich nachvollziehbar. Natürlich kann man sagen, dass man in den großen Häusern mit guten Lüftungsanlagen und ausreichend Platz auch Theater vor Zuschauer*innen spielen könnte – aber ich kann nachvollziehen, dass das die kleinen Einrichtungen, die diese Möglichkeiten nicht haben, dann schwer vermitteln könnten, wer jetzt Aufführungen machen darf und wer nicht. Lieber einheitliche Regelungen – aber auch einheitliche, zukunftsgerichtete Hilfen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik nicht nur die Notbremse zieht, sondern sagt, wohin die Reise geht – dass es langfristige Konzepte gibt dahingehend, wie es mit Theatern weitergehen kann. Diese Scheibchentaktik ist verheerend. Kunst und Kultur sind eben nicht nur „Freizeitgestaltung“, sondern zu Recht verfassungsmäßig besonders geschützt. Kommunale Kultureinrichtungen geraten als freiwillige Leistung einer Stadt schnell in den Blick von Sparmaßnahmen. Wir brauchen aber gerade jetzt und nach der Pandemie Orte wie die Münchner Kammerspiele: Orte der Begegnung und der Reflexion.
Niederschmetternd ist die Situation auch, weil wir bei den Kammerspielen viel mit der freien Szene zusammenarbeiten – und diese Menschen sind ja noch viel mehr betroffen als diejenigen von uns, die angestellt sind. Uns trifft auch hart, dass wir auf internationale Kunstprojekte verzichten müssen. Das muss sich nach Ende der Pandemie auf jeden Fall wieder ändern.“
„Das sind 19,90 Euro im Monat, die darüber entscheiden, ob wir nach der ganzen Geschichte wieder aufmachen können“
Timo, 32, ist als Studioleiter im Fitnessstudio „V8 Fitness“ in Soest fest angestellt.
„Die Soester sind ziemlich solidarisch mit uns. Das Studio ist zwar zu, trotzdem haben sich bei uns bisher kaum Leute gemeldet, die zum Beispiel ihr Geld zurückhaben wollten. Die Menschen wissen: Das sind 19,90 Euro im Monat, die darüber entscheiden, ob wir nach der ganzen Geschichte wieder aufmachen können. Trotzdem ist diese Zeit für Fitnessstudios natürlich hart. Es kommen ja keine Neukunden dazu und gleichzeitig gehen einige Leute. Diese Verluste wieder reinzuholen, kann Jahre dauern.
Bei uns wurde trotzdem niemand in Kurzarbeit geschickt – nur die Trainer, die nach Stunden bezahlt wurden, kriegen jetzt weniger oder auch gar kein Geld, weil sie derzeit keine Kurse mehr geben. Ich als Festangestellter arbeite weiter so viel wie vorher und werde genau wie Azubis normal bezahlt. Wir machen seitdem viel online, zum Beispiel posten wir Video-Trainings auf Instagram oder machen Challenges wie die Plank-Challenge, wo sich Leute gegenseitig verlinken können. Wir sind außerdem über Telefon erreichbar für Kunden, geben Tipps, wie man zu Hause trainieren kann, oder teilen online Rezepte.
Ich bin trotzdem ziemlich enttäuscht und sauer. Es ergibt für mich keinen Sinn, dass EMS-Studios oder fast alle Geschäfte in Innenstädten aufhaben dürfen, während wir und Restaurants schließen müssen. Diese willkürliche Auswahl ärgert mich. Bei uns gab es im Sommer nämlich ein strenges Hygienekonzept: Die Kunden mussten mit einer Handy-App ein- und auschecken, sich Handtücher mitbringen, die groß genug waren, um die benutzten Geräte abzudecken, sich die Hände, aber auch die Geräte desinfizieren. Verschiedene Bereiche haben wir durch Absperrbänder und Schilder abgetrennt, wir haben ständig kontrolliert, ob irgendwo zu viele Leute sind, ob sich alle an die Regeln halten. Bei uns hat es keine nachgewiesene Ansteckung gegeben.
Unsere Kunden ärgern sich deshalb auch auf Social Media. Ist ja auch klar: Bei Kraftsport hat man immer schnell das Gefühl, dass alle Muskeln sofort wieder verschwinden, wenn man länger nicht trainiert hat. Das ist besonders ärgerlich für Menschen, die zum Beispiel Probleme mit der Hüfte oder der Schulter haben und das Training wirklich brauchen. Mir geht es derzeit eigentlich ganz gut – ich habe auch viel Equipment zu Hause und kann fit bleiben. Trotzdem ist das Training alleine natürlich was anderes als im Fitnessstudio. Das Soziale fehlt.“
„Wenn die Politik uns von heute auf morgen was wegnimmt, muss sie dafür sorgen, dass wir zumindest überleben können“
Diana, 28, aus Ulm ist Studentin und selbständige Fotografin.
„Die Maßnahmen des neuen Lockdowns erscheinen mir willkürlich. Im Frühjahr war ja so gut wie alles zu. Nun macht man Unterschiede und wägt ab. Allerdings kommt es mir so vor, dass die Politik die Veranstaltungsbranche gar nicht erst in diese Abwägung mit einbezogen hat. Ich fühle mich vergessen und weiß von Kolleg*innen, dass es ihnen ähnlich geht. So viele Kunstschaffende haben über den Sommer ausgiebige Hygienekonzepte ausgearbeitet, unter denen kleinere Veranstaltungen möglich wären. Ich frage mich, warum diese von der Politik ignoriert werden? Warum wird so getan, als wären Konzerte der Tummelplatz des Coronavirus? Natürlich können diese nicht wie gewohnt stattfinden. Aber das erwartet ja auch niemand.
Ich bin davon überzeugt, dass kleinere Konzerte mit Zweier-Sitzgelegenheiten und genügend Abstand gut funktionieren könnten. Was ich nicht verstehe, ist der Punkt, dass auch andere Bereiche mit Hygienekonzepten gut arbeiten können, zum Beispiel Friseursalons. Die waren während der ersten Welle auch geschlossen und durften dann unter bestimmten Bedingungen wieder aufmachen. Wieso soll das nicht auch für Konzerte funktionieren? Wir Selbständigen aus der Konzertbranche erwarten eine angemessene Antwort auf diese Frage. Und wenn der Staat uns diese nicht geben kann, sollte er wenigstens für finanzielle Mittel sorgen. Wenn die Politik uns von heute auf morgen was wegnimmt, muss sie dafür sorgen, dass wir zumindest überleben können.
Ich kenne Kunstschaffende, die die Soforthilfen bekommen haben. Aber ich kenne auch welche, die keine bekommen haben, obwohl sie beruflich in der gleichen Situation waren. Nur das Bundesland war ein anderes. Ich kann nicht nachvollziehen, warum da Unterschiede gemacht werden. Die Situation belastet mich sowohl psychisch als auch finanziell. Durch meine Arbeit als Tourmanagerin und Bandfotografin war ich immer viel unterwegs, das war ein großer Bestandteil meines Lebens, der mir jetzt fehlt. Auch meine finanziellen Sorgen sind groß. Dennoch weiß ich, dass es mir in diesem Punkt momentan besser geht als anderen Kunstschaffenden. Ich konnte den Sommer über kleinere Familien-Shootings machen und ein paar Hochzeiten fotografieren. Das hat mir ein kleines finanzielles Polster verschafft. Wobei Polster eigentlich das falsche Wort ist. Ich habe dadurch ein bisschen an Sicherheit gewonnen, die aber auch nicht lange anhalten wird, wenn sich demnächst nichts ändert.
Durch die Corona-Pandemie bin ich in meiner Planung und Denkweise bodenständiger geworden. Ich hatte überlegt, nächstes Jahr vielleicht in eine andere Stadt zu ziehen, aber das lasse ich jetzt. Ich bin gerade sehr dankbar für meine Wohnung. Generell bin ich dankbarer geworden.”