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Student berichtet vom eskalierten AfD-Protest an der Uni Magdeburg
Am Donnerstagabend ist es bei einer Veranstaltung des AfD-Uniablegers „Campus Alternative Magdeburg“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zu Handgreiflichkeiten gekommen. Sie schloss sich an eine andere Veranstaltung an, in der Frau Dr. Tiefel, die Gleichstellungsbeauftragte der Universität, über die Gleichbehandlung der Geschlechter referierte. 400 Studierende und Mitarbeiter der Universität blieben schließlich auch nach diesem ersten Vortrag im Raum sitzen, um gegen die Folgeveranstaltung des AfD-Uniablegers „Campus Alternative Magdeburg“ zu protestieren. Ein Biologieprofessor sollte reden, über die "verschieden tickenden Gehirne von Männern und Frauen", wie auf dem Plakat der Veranstalter stand.
Die Redner, unter ihnen AfD-Landeschef André Poggenburg, wollten den Hörsaal allerdings trotz lautstarker Aufforderungen nicht verlassen. Die Situation eskalierte – es wurde getreten, geschlagen und ein Böller flog in Richtung des Podiums. Am Ende wurden die Veranstalter unter polizeilichem Schutz aus dem Raum begleitet. (Mehr über den Vorfall hier)
Marcus Gercke (19) ist Sprecher für Internes im Studierendenrat der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und hat den ersten Vortrag des Abends mitorganisiert. Hier erzählt er, wie er den Abend erlebt hat.
jetzt: Du warst sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Veranstaltung die ganze Zeit im Raum und hast die Geschehnisse beobachtet. Was würdest du sagen - von wem ging die Gewalt aus? Marcus Gercke: Für jeden, der dabei war, ist das relativ eindeutig. Die Personenschützer der AfD haben schon beim Reinkommen Menschen, die auf den Treppen standen, rabiat weggeschubst und ihren Leuten so den Weg durch die Menge gebahnt. Es gab also schon in den ersten Momenten ein paar Rangeleien.
Kein guter Start für einen friedlichen Ausgang. Aber wie ist es dann tatsächlich so eskaliert? Auf Bildern und Videos kann man ja deutlich heftigere Dinge erkennen als nur Geschubse.
Nun ja, das liegt sicher auch daran, dass von vornherein schon eine Anti-AfD-Stimmung geherrscht hat. Sie hatten ja schon allein mit dem Thema des geplanten Vortrages provoziert. Darin sollte es darum gehen, dass Frauen und Männer sich neurobiologisch unterscheiden, dass also das weibliche Gehirn ganz anders aufgebaut sei, als das männliche. Und die Spitze des Eisbergs war natürlich auch der Ort, den sie für den Vortrag ausgewählt hatten. Der Raum ist nämlich eigentlich der Hörsaal der Fakultät für Humanwissenschaften.
Dann hat uns wütend gemacht, dass die Redner sich in aller Ruhe darauf vorbereitet haben, jetzt diese Veranstaltung tatsächlich durchzuziehen. Sie wussten ja ganz genau, dass wir sie hier nicht haben wollen und sie mit ihren Ansichten unerwünscht sind. Der Hauptredner ist dann sogar zu einzelnen Personen im Publikum hingegangen. Er hat dann wirklich fast Nase an Nase versucht, besonders die Frauen im Saal in Gespräche zu verwickeln. Während AfD-Landeschef André Poggenburg sich noch auf sein Grußwort vorbereitet und Herr Mertens, der Sprecher der Campus Alternative, erste einleitende Worte ans Publikum gerichtet hat, sind Paperschnipsel und -flugzeuge durch die Luft geflogen und fünf Gegner unter starkem Beifall des Publikums mit einem Transparent vor das Pult gezogen. Von Seiten der AfD kamen dann Schubser und Tritte. Dann ist das einfach ausgeartet und es wurde von beiden Seiten getreten und geschlagen. Das Handgemenge war aber eigentlich gar nicht so groß, es ist dann nur eben dieser Böller gezündet worden.
"Wir hatten eine Vorahnung, dass der Abend unschön verlaufen könnte"
Dieser Böller spricht ja eigentlich gegen die Aussage, dass diese Gewaltbereitschaft von Seiten der Studierenden durch das Verhalten der AfD ausgelöst wurde. Denn wer auch immer diesen Knaller geworfen hat, muss sich ja schon vor Beginn der Veranstaltung darauf eingestellt haben.
Das fand ich auch definitiv nicht cool, das hätte nicht sein müssen. Aber diese Gesamtsituation spiegelt eben wider, was die Studierenden wollten. Sie wollten keinen Diskurs mit der AfD, sie wollten nicht, dass eine demokratiefeindliche Partei in einem Hörsaal ihrer Fakultät Gehör bekommt.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht meinte dazu sinngemäß, dass man den antidemokratischen Forderungen der AfD nicht dadurch begegnen dürfe, dass man selbst antidemokratisch sei. Wie bewertest Du die Sache mit dem Böller angesichts dieser Aussage?
Das Vorgehen war mit Sicherheit nicht besonders demokratisch und ich würde auch als Einzelperson niemals zu solchen Mitteln greifen. Aber ich sehe mich solidarisch mit allen Protestformen, die gestern gewählt wurden. Dieser Knaller zum Beispiel wirkt zwar krass in den Medien, wurde aber meiner Meinung nach ziemlich hochstilisiert. Er wurde schließlich nicht in die Menge und auch nicht in die Nähe von André Poggenburg geworfen. Er explodierte vor der Tafel, weit weg von Menschen und hat eigentlich nur einen Schockeffekt gehabt. Die Person, die den Knaller gezündet hat, war sich bestimmt dessen bewusst, dass sie den jetzt nicht irgendjemandem gegen den Kopf schmeißt.
Hätte man so eine Eskalation schon vorher kommen sehen müssen?
Wir als Studierendenrat hatten natürlich eine Vorahnung, dass der Abend unschön verlaufen könnte, wenn so viele Gegner der AfD zusammenkommen. Aber mit dieser Besucherzahl haben wir nicht gerechnet und wir haben die Eskalation auch sicher nicht geplant. Deswegen war in dem Moment eben auch nicht klar, wie man darauf reagieren muss.
In welcher Form hätte der Protest denn eigentlich stattfinden sollen? Der Studierendenrat hatte diesbezüglich eigentlich nichts Konkretes geplant. Wir haben eigentlich nur den ersten Vortrag organisiert. Dafür hatten wir auf sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich bunt anzuziehen, sich mit Regenbogenfarben zu schminken und Transparente mitzubringen. Diese Banner sind dann auch die, die man in den Videos sehen kann. Auf alles, was nach 18.30 Uhr passiert ist, also nach der ersten Veranstaltung, hatten wir insofern keinen Einfluss. Allerdings denke ich, dass, wenn zu unserer Veranstaltung weniger Menschen erschienen wären, wir der AfD das Feld überlassen hätten und einfach unserer Wege gegangen wären. Irgendwann gingen in der ersten Veranstaltung dann aber auch Zettel herum, in denen die Anwesenden aufgefordert wurden, danach auch noch für die Veranstaltung der Campus Alternative zu bleiben und ein Zeichen zu setzen. Woher diese Zettel kamen, weiß ich aber auch nicht.
"Ich habe eine tiefe Zufriedenheit gespürt"
Auf Facebook kommentieren gerade einige Studenten unter Artikeln und Videos, dass die Ausschreitungen eben notwendig gewesen wären. Es werden sogar Vergleiche zur 68er-Bewegung gezogen.
Ich distanziere mich auf jeden Fall von der Gewalt an sich, also von Schlägen, Tritten und Verletzungen. Die Mittel des zivilen Ungehorsams – also das Vorbringen von Transparenten und Singen von Sprechchören – unterstütze ich aber. Einen Vergleich zur 68er-Bewegung würde ich außerdem auf keinen Fall ziehen. Da sind wir noch lange nicht. Ich kann mich mit diesem Kommentar jedenfalls nicht identifizieren. Ich fand es aber insgesamt stark, dass die Studierenden das Zeichen gesetzt haben. Dass Akademiker gesagt haben: „Wir wollen keinen Diskurs mit der AfD über das Thema Gender und Frauenbild!“ Wir haben so gezeigt, dass hier an der Universität die Vielfalt regiert und nicht die Einfalt.
Aber habt ihr den Rechtspopulisten mit der gewalthaften Ausschreitung gestern nicht in die Hände gespielt, damit sie sich als Opfer inszenieren können?
Für uns war das schon vorher klar, dass egal, was passiert, sich die AfD nachher in eine Opferrolle stellen würde. Auch ohne die Eskalation hätte sie sich dann beklagt, dass zu viele Studierende als Gegner da waren oder so.
Hat es vor schon mal ähnliche Vorfälle zwischen der Studierendenschaft und der Campus Alternative gegeben?
Die Campus Alternative besteht meines Wissens bis jetzt nur aus drei Menschen, die das auf die Beine stellen, und hat sich bis gestern noch gar nicht gezeigt. Deshalb sind wir auch noch nie zuvor aneinandergeraten. Unter den Unterstützern der AfD, die gestern da waren, waren glaube ich auch keine Studenten.
Wie ist der Abend weiterverlaufen, nachdem die AfD-Sympathisanten unter Polizeischutz aus dem Raum geführt worden sind?
Als sie dann endlich den Hörsaal verlassen haben, haben die Leute noch „Auf Wiedersehen“, „Das ist unser Haus“ und „Haut ab!“ skandiert. Dann waren wir alle sehr erleichtert. Wir haben uns beglückwünscht, dass wir geschafft haben, ihnen klar zu machen, dass wir ihre undemokratischen Ansichten hier nicht haben wollen. Ich zumindest habe eine tiefe Zufriedenheit gespürt. Am Ende haben wir dann sogar noch eine kleine Queer-Party im Foyer gefeiert.