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Satire-Partei
Wenn sich ein junger Mensch sonntagnachmittags stundenlang zwischen sambatrommelnden Muttigruppen und Bluescombos in der Midlife Crisis auf die Münchner Leopoldstraße stellt, um Menschen von seiner Partei zu überzeugen, sollte man ihm eigentlich eines nicht vorwerfen: eine mangelnde Passion für Politik.
Valentin Schwarze steht vor dem Wahlwerbestand auf dem „Corso Leopold“ genannten Straßenfest und hält Ausschau nach Wählern, eilt dann wie auf 40 Espresso von Interessent zu Interessent, schönen guten Tag, kann man Ihnen weiterhelfen? Er verteilt Wahlprogramme, Sticker, Lollies, lacht, alles Gute Ihnen, springt zum nächsten. Zum Mittagessen braucht er keine Pause, Wähler lassen sich auch mit einem Dürüm in der Hand anreden. „Krass, ich glaube, der hat mich gerade wirklich erkannt“, sagt er nach einem Gespräch mit einem Studenten. Für Momente wie diesen lohne sich das alles, findet er.
Schwarze ist Direktkandidat für den Wahlkreis München Nord und mit seinen 20 Jahren eigentlich der perfekte Gegenentwurf zum desinteressierten Post-Millenial, der sich höchstens noch über superinnovative Twittergramchat-Wählen-Fuck-Yeah!-Initiativen für politische Inhalte ködern lässt. Doch was man in diesen Tagen über Schwarze und seine Wähler liest, enthält alles andere als Anerkennung: „Schurken“ seien Leute wie er, „amoralisch“, „anti-aufklärerisch“, es sei „richtig, gut und schön sie zu verachten“.
Dabei ist Schwarze weder Verfassungsfeind noch Fremdenhasser: Er kandidiert für "Die Partei", die momentan viele als eine Partei ohne Inhalte wahrnehmen, welche die Arbeit der "seriösen" Parteien in den Dreck zieht und mit ihrer Geltungssucht den demokratischen Prozess sabotiert. Warum engagiert sich ein junger Mensch wie Schwarze ausgerechnet bei "Die Partei"? Woher nimmt er die Motivation für einen vermeintlich sinnlosen Wahlkampf? Und, wenn man noch eins größer und staatstragender fragen will: Ist das Engagement für "Die Partei" echte politische Leidenschaft? Oder das genaue Gegenteil, weil damit die Demokratie in diesem Land vermeintlich nicht ernst genommen wird?
"Manche Gags sind auch mir zu stumpf. Aber ,Die Partei' ist mehr als das."
Auf den Stickern und Plakaten stehen Sprüche wie „Inhalte überwinden“ oder ein Jesus-Lookalike mit dem Satz „Mach’ keinen Scheiß mit deinem Kreuz“. Aber auch „für einen Strand, an dem wir gut und gerne liegen“, in Kombination mit dem berühmten Bild des toten syrischen Flüchtlingskindes Aylan Kurdi, oder „Der Storch bringt die Kinder – die Storch bringt sie um“.
„Ich muss gestehen: Manche Gags sind auch mir zu stumpf. Aber ,Die Partei' ist mehr als das. Unsere Satire soll auf Missstände hinweisen und darf dabei auch wehtun“, sagt Schwarze beim Anblick der Plakate. „Die Partei“ ist beides: Mittelwitziger Stammtischhumor und Relevanz-Katapult für Kleinhumoristen, aber in ihren besten Momenten eben auch kritische Satire, die jenseits von konventionellen Anstandsgrenzen ansetzt und hängenbleibt. Schwarze fühlt sich bei Zweiterem wohler.
Er sagt, dass er schon immer ein politisch interessierter Mensch gewesen sei. Vor seiner aktiven Zeit bei "Die Partei" hat er sich auf Demos und in lokalen Gruppen für linke Anliegen wie das Recht auf Asyl engagiert. Anfang 2016 gründete er dann mit Freunden den Partei-Ortsverband Neubiberg, wo der gebürtige Ayinger zur Schule ging. „Wir hatten da ein paar politische Satire-Aktionen geplant und da hat es sich einfach angeboten, sich dafür das ,Die Partei’-Label zu sichern“, sagt Schwarze, der unter seinem schwarzen Mantel die Partei-Uniform aus grauem Sakko und roter Krawatte trägt, dazu einen streng gekämmten Seitenscheitel, was ihn auf den ersten Blick eher wie ein Mitglied der Jungen Union aussehen lässt. Die Sache habe sich dann aber recht schnell verlaufen, Schwarze zog nach München um Bio-Informatik zu studieren, der Ortsverband zerfiel. Im Gegensatz zu seinen Freunden blieb Schwarze aber weiter aktiv, besuchte den wöchentlichen Stammtisch des Münchner Kreisverbandes und Parteitage. Beim Aufstellungsparteitag bot ihm sein Parteigenosse und Kreisvorsitzender Gerd Bruckner die Direktkandidatur an, Schwarze sagte spontan zu.
Besagter Gerd Bruckner greift nun zum Megafon und setzt zu einer „Rede“ an. Es geht um Bier, die AfD und den ursprünglich ganz guten, nach der zehnten Wiederholung aber ziemlich überstrapazierten Gag, man möge "Die Partei" doch bitte wählen, weil sie „sehr gut“ sei. Will man innerhalb von "Die Partei" so etwas wie ideologische Flügel ausmachen, gehört Bruckner im Gegensatz zu Schwarze wohl zur eher stumpfen Fraktion. Schaut man sich die anderen Mitglieder an, die am Stand mit Bierflaschen herumstehen und Schwarze Pfeffi aus einem Spülmittel-Aufsatz in den Mund sprühen, denkt man: Der seriös-satirische Flügel mit dem intelligenten Humor, er ist – zumindest hier in München – doch eher klein.
Dass "Die Partei" tatsächlich auf dem Wahlzettel steht, ist vielen noch gar nicht bewusst: „Wie kommt’s, dass ihr hier einen Stand habt?“ fragt eine ältere Frau, die mit ihrem bayerisch sprechenden Ehemann gerade noch über das „Sozial ist, wer Bier ranschafft“-Plakat gekichert hat. Schwarze erklärt geduldig, dass "Die Partei" es sich zum Ziel gemacht habe, Nichtwähler an die Urnen zu bringen. „Wir sagen: Bevor ihr überhaupt nicht wählen geht, wählt lieber uns!“ Das Paar nimmt einen Flyer mit. Nach kurzer Lektüre sagt der Mann zu seiner Frau: „Ah da schau' her, des war ja der Direktkandidat!“
"Es gibt tatsächlich keine Partei, von der ich mich als Bürger rein inhaltlich gut vertreten fühle."
Drei Tage später sitzt dieser Direktkandidat an einem langen Tisch im Münchner Augustinerstüberl vor einem Glas Spezi. Heute mal ohne Anzug-Krawatten-Uniform, sondern im grauen Longsleeve. In einer halben Stunde beginnt der wöchentliche Stammtisch. Genug Zeit für die Frage, was Schwarze denn nun eigentlich ausgerechnet zu "Die Partei" getrieben hat. Die Antwort: Zunächst einmal Sympathie für die Sache, zu einem großten Teil aber auch der Mangel an Alternativen. Das vermeintlich geringste Übel zur Maxime seiner Wahlentscheidung oder Parteimitgliedschaft zu machen, hält er für falsch. Links sei er, klar, und die Grünen stünden ihm auch irgendwie nahe. „Aber es gibt tatsächlich keine Partei, von der ich mich als Bürger rein inhaltlich gut vertreten fühle. Da gibt es immer bestimmte Programmatiken, die ich nicht vollumfänglich unterstützen kann“, sagt Schwarze, auch heute wieder wie unter Strom, mit den Händen fuchtelnd wie der Philosoph Slavoj Zizek.
An den Linken stört ihn „der ganze autoritär-kommunistische Flügel“, die Haltung gegenüber Russland, die Verteufelung Amerikas. „Obwohl auch ich Amerika nicht für das tollste Land der Welt halte und Putin sicher nicht das ultimative Böse darstellt, wird mir da zu viel mit Ressentiments gespielt“, sagt er. Bei den Grünen wiederum sieht er eine Abkehr vom „ehemals anti-autoritären Kern“. Die heutigen Grünen wollten innere Sicherheit um jeden Preis, polizeiliche Repression sei allerdings immer das falsche Mittel. „Das kann ich einfach nicht mittragen“, sagt Schwarze.
Dann also lieber eine Partei ohne echte Inhalte? Schwarze widerspricht: Im Grundsatzprogramm sei eine klare Links-Orientierung der Partei angelegt: Nachhaltigkeit, Umverteilung, Gleichberechtigung. „Wir bieten zwar keine perfekt ausgearbeiteten Lösungsvorschläge für alle Probleme. Wir sind aber auch nicht apolitisch, unsere Arbeit kann durchaus Dinge verändern.“
Auch innerhalb von „Die Partei“ gäbe es Äußerungen und Gags, denen er nicht "vollumfänglich zustimmen" könne. Aber abgesehen vom Grundsatzprogramm hätte nun mal jeder Kandidat freie Hand, was seinen inhaltlichen Anspruch betrifft. „Dieser Pluralismus in der Partei ist eine gute Sache. Der ein oder andere Spruch mag mir zwar nicht gefallen. Aber ich habe eben auch selbst genug Freiheiten, mein eigenes Verständnis von Humor und Politik zu entfalten.“
„Kleine Parteien haben eine Daseinsberechtigung! So lange sie der demokratischen Grundordnung nicht widersprechen, können sie stehen, wofür sie wollen."
Und was ist mit den Kommentaren der vergangenen Tage, welche seine Partei im Angesicht von Rechtspopulismus und Wutbürgertum für die denkbar schlechteste, wenn nicht sogar eine demokratiefeindliche Wahloption halten? „Meine Position ist“, setzt Schwarze in seinem etwas bemühten und tatsächlich ironiefreien Politiker-Jargon an „wenn man von einer der etablierten Parteien komplett überzeugt ist, dann soll man sie eben auch wählen. Und das machen ja auch alle, da nehmen wir niemandem was weg“, sagt Schwarze. Und ob man nun ihn oder einen Kandidaten der Tierschutzpartei wähle, sei im Hinblick auf die Chancenlosigkeit eines tatsächlichen Mandats gleichwertig.
Genau das, was die Kritiker Wählern seiner Partei vorwerfen, eine Art postdemokratische Überheblichkeitsgeste, sieht Schwarze im Schlechtreden der kleinen Parteien: „Kleine Parteien haben eine Daseinsberechtigung! So lange sie der demokratischen Grundordnung nicht widersprechen, können sie stehen, wofür sie wollen. Schließlich haben alle wochenlang Unterschriften gesammelt und Leute mit viel Arbeit für ihre Sache begeistert! Demokratischer geht es ja fast nicht!“ Außerdem sei das Konzept ja schließlich auch, Nicht-Wähler zum Wählen zu bekommen, um dadurch indirekt den Einfluss der AfD zu mindern. Wie könne man denn dagegen etwas haben?
Langsam trudeln seine Parteigenossen ein, darunter auch Gerd Bruckner und interessierte Noch-Nicht-Mitglieder. Die langen Bänke sind bald voll, es sitzen neun Männer und zwei Frauen am Tisch, außer Bruckner sind die meisten junge Durchschnitts-Studenten. Ein Neuankömmling namens Georg schüttelt Hände durch die Runde und sagt dabei „Georg, Georg, immer noch Georg“. Die Noch-Nicht-Mitglieder zitieren die alten Plakat-Sprüche und sagen sehr oft „saulustig“ und bestellen sehr viel Bier bei der sehr überforderten Kellnerin. Eine Unterhaltung mit mehr als dem Sitznachbarn ist unmöglich. „Hier kann man nur schreien“, schreit einer der Partei-Mitglieder und schafft es tatsächlich, sich über die lange Bank hinweg über das „schon recht forsche“ Auftreten der Kellnerin zu unterhalten. Schwarze hält sich aus dem Stammtischgerede heraus, versucht die etwas verloren wirkenden Interessierten neben ihm einzubinden: „Zum ersten Mal hier? Schön, dass ihr da seid!“
Später setzt sich dann ein anderer Genosse neben Schwarze, er plant eine Wahlkampf-Aktion an der Allianz Arena, direkt nach einem Fußballspiel. „Ich sehe darin nicht all zu viel Sinn, wie soll man denn eine Horde Fußballfans erreichen?“ fragt Schwarze. Sein Genosse: „Ist doch egal. Wir tragen rot. Die tragen rot. Wir haben ein Megafon, paar Sticker, perfekt!“ Als einer der Gäste in seinen Burger beißt, hat Bruckner eine Idee: „Ich fänd’s ja geil, wenn du jetzt da in den Burger reinbeißt und wir machen ein Plakat draus und schreiben drauf: Burger-Entscheid! Das wär’ ja voll gut!“ Manche lachen.
Die meisten von ihnen scheinen froh zu sein, einen wöchentlichen Spaßstammtisch zu haben. Man könnte denken, dass diese Motivation ausreicht, um eine ganze Partei am leben zu halten. Paar Witze machen, ab und zu in der Presse auftauchen, Bier trinken – und auch: sich einen kleinen Spaß mit der Demokratie erlauben. Verachtenswert ist das nicht. Valentin Schwarze will mehr. Außerdem trinkt er heute gar nicht, schließlich ist er mit einem Auto voller Plakate da.