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Wie ein Rom sich gegen den Hass auf social Media wehrt
Roxhers Lufta ist ein duldsamer Mensch. Anders könnte er seine Arbeit kaum ertragen. Kanal für Kanal, Facebookgruppe für Facebookgruppe klickt sich Lufta durch den Hass. Da sind die Texte, in denen Roma wie er als „Zigeuner“ und „asozial“ beleidigt werden, Videos, in denen sich Menschen die Gesichter schwarz anmalen und im Müll wühlen, um sich über Rom*nja* lustig zu machen. Oder Memes, die fordern, dass Hitler wiederbelebt werden müsse, um alle Rom*nja zu töten.
Roxhers Lufta leitet in Albanien eine Kampagne des European Roman Right Centers gegen Antiziganismus im Netz. Gemeinsam mit 15 Freiwilligen sichtet der junge Rom regelmäßig Beiträge auf Social-Media-Plattformen, diskutiert gegen Beleidigungen an, meldet Posts.
„Noch nie war ein solches Engagement so nötig wie jetzt“, sagt Lufta. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat er beobachtet, wie der Hass gegen die etwa 100 000 albanischen Rom*nja im Netz hochgekocht ist. Durch die scharfen Lockdown-Bestimmungen konnten viele Albaner*innen wochenlang ihre Wohnungen nicht verlassen und verbrachten viel Zeit im Internet. „Die Menschen haben den ganzen Ärger, den ganzen Hass, den sie aufgrund der Situation hatten, im Netz abgeladen,“ sagt Lufta.
In der Öffentlichkeit waren die Verantwortlichen für die Verbreitung der Pandemie schnell gefunden: Rom*nja . Sie, so wurde in sozialen Medien fälschlicherweise behauptet, hätten das Virus ins Land getragen und verbreitet. Eine Welle des Hasses rollte über die Minderheit hinweg. Dabei trifft die Pandemie in Albanien ohnehin insbesondere Roma-Familien hart. Nur wessen Arbeit offiziell gemeldet ist hatte während des Lockdowns ein Anrecht auf Kurzarbeitergeld oder andere Hilfsleistungen.
Doch etwa 80 Prozent aller albanischen Rom*nja arbeiten im informellen Sektor – der umfasst das Verkaufen von Waren auf lokalen Märkten genauso wie Schwarzarbeit auf dem Bau. Sie können auch Hygienemaßnahmen deutlich schwerer umsetzen, weil die Hälfte der Haushalte nicht an fließendes Wasser angeschlossen ist. Expert*innen schätzen, dass Rom*nja-Kinder in den Schulen um Jahre zurückfallen – nur etwa sieben Prozent der Haushalte haben Zugang zu Computer und damit zum Onlineunterricht.
In Europa leben es zwölf Millionen Roma
Schon vor der Pandemie war die Situation für albanische Rom*nja schlecht. Viele leben noch immer abgeschoben in heruntergekommenen Siedlungen außerhalb der Stadtzentren, diskriminiert und übergangen von Politiker*innen, eingeschränkt in ihren Rechten. Immer wieder kommt es auch zu verbalen und körperlichen Angriffen gegen die Minderheit – selbst die Polizei wurde schon mehrfach dabei beobachtet, wie sie Roma-Bürger*innen misshandelte. Seine Arbeit als Aktivist hat Lufta mit der Zeit ernüchtert: „Ich kämpfe nicht dafür, dass wir Roma als gleichwertig angesehen werden. Ich kämpfe dafür, dass wir Roma als Menschen angesehen werden“, sagt er und klingt dabei viel zu alt für seine 26 Jahre. Lufta trägt eine Uhr, die fast dicker ist als sein Handgelenk, gepflegte Kleidung, neue Sneaker. Bloß keine Angriffsfläche bieten für Vorurteile, das hat Lufta verinnerlicht.
Wenn er von seiner Arbeit als Koordinator einer Anti-Hatespeech-Kampagne berichtet, erzählt Lufta mit ruhiger Stimme. Die Zeiten, wo er das Geschriebene an sich herankommen lassen hat, in denen er verletzt seine Wut in den Kommentarspalten ausließ, sind lange vorbei. „Heute habe ich mit diesen Menschen Mitleid. Sie sind ignorant. Oft fehlt ihnen einfach das Wissen, deswegen beleidigen sie uns.“ Durch verschiedene Trainings haben Lufta und sein Team gelernt, wie sie konstruktiv auf den Hass reagieren können.
Unter Beiträgen, die den Begriff „Gabel“ verwenden, auf Deutsch vergleichbar mit dem Begriff „Z*******“, kommentiert Lufta, dass das Wort von der Minderheit als Beleidigung empfunden werde, dass die Benutzung in Albanien strafrechtliche Konsequenzen habe, dass sie Rom*nja sind und auch so genannt werden wollen.
Die Rom*nja als verhasste Minderheit, so ist die Situation nicht nur in Albanien. Zwölf Millionen Rom*nja gibt es in Europa, sie leben seit mehreren hundert Jahren auf dem Kontinent und werden doch von vielen verachtet, verabscheut und gehasst. Trotz zahlreicher Anti-Diskriminierungsgesetze werden die Rom*nja in Europa fast überall wie Menschen zweiter Klasse behandelt. So kritisiert Amnesty International, dass Rom*nja in vielen Ländern Europas nicht in Schulklassen mit anderen Kindern unterrichtet, aus ihren Häusern vertrieben und immer wieder Ziel von gewaltsamen Angriffen werden.
Der International Roma Resistance Day am 16. Mai erinnert an den Aufstand der Rom*nja am 16. Mai 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Auch in Deutschland leiden die 70 000 Sinti*zze und Rom*nja unter Stigmatisierung und Diskriminierung. Sie haben Probleme auf dem Wohnungsmarkt, bekommen trotz entsprechender Qualifizierung keinen Job und werden im Netz mit Hass überschüttet.
Laut der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig aus dem Jahr 2016 ist der Antiziganismus, also der Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, alles andere als eine Randerscheinung in Deutschland. So gaben 57,8 Prozent der Befragten an, dass sie ein Problem hätten, wenn Sinti*zze und Rom*nja in ihrer Nachbarschaft wohnen würden, und fast jede*r Zweite sagte, dass er sie gern komplett aus den Innenstädten verbannen würde. Außerdem glaubten 58,5 Prozent, dass Sinti*zze und Rom*nja zu Kriminalität neigen.
Der Hass auf Rom*nja ist in Deutschland kein neues Phänomen. Die Nationalsozialist*innen verfolgten die Rom*nja und deportierten sie in Konzentrationslager. Insgesamt wurden im Zweiten Weltkrieg Schätzungen zufolge zwischen 220 000 und 500 000 Sinti*zze und Rom*nja von den Nazis getötet. Am 16. Mai wird dem Widerstand der Rom*nja gegen ihre Vernichtung gedacht. Der International Roma Resistance Day erinnert an den Aufstand der Rom*nja am 16. Mai 1944, als 6 000 Rom*nja im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gegen ihren drohenden Tod kämpften. Die Gefangenen wehrten sich mit Steinen, Stöcken und Schaufeln gegen die bewaffneten SS-Männer. Nachdem sie zunächst Erfolg hatten, wurden die kampffähigen Männer isoliert und in andere Lage deportiert. Die Zurückgebliebenen wurden am 2. August 1944 vergast.
Dieser Massenmord kam lange in der europäischen Öffentlichkeit nicht vor
Dieser Massenmord kam lange in der europäischen Öffentlichkeit nicht vor. Doch für Roma wie Lufta ist er wichtig, weil er zeigt, dass seine Volksgruppe sich trotz aller Widerstände und Unmöglichkeiten wehrte, nicht aufgab. Bis heute wissen darüber zu wenig Menschen Bescheid, sagt Lufta. Er wünscht sich, dass der Massenmord und der Widerstand auch Teil des albanischen Geschichtsunterrichts werden.
In Tirana wird mit einem Wandgemälde an den 16. Mai 1944 erinnert. Roma-Aktivist*innen haben 2018 an einer der belebtesten Straßen der Stadt ein mehrere Meter großes Graffito gesprüht, um ihre Solidarität zu zeigen. Auch Roxhers Lufta war bei der Einweihung dabei. Sein Kampf ist ein anderer als der vor 77 Jahren und doch tritt er die Nachfolge der kämpfenden, der sich wehrenden Rom*nja an. Seine Waffe ist die Bildung. In der NGO Roma Versitas ist er als Mentor aktiv und unterstützt über 60 Roma-Schüler*innen. Kinder, die von ihren Eltern keine Unterstützung bekommen können, weil diese selbst nicht zur Schule gegangen sind. Kinder, die sich keine Schulbücher leisten können, die keinen Zugang zum Internet haben. Kinder, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden und die eigentlich gar keine Zeit haben, zur Schule zu gehen, weil sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen müssen, damit am Ende des Tages genug Essen auf dem Tisch steht.
Lufta weiß, wie er diesen Kindern helfen kann, denn er ist selbst eines dieser Kinder gewesen. Sein Vater konnte zwar die Schule abschließen, musste aber arbeiten, um die Familie zu versorgen. Damit sein Sohn die Chance hat, sein Leben selbst zu gestalten, arbeitete er viel und schickte Lufta in eine Schule in einem anderen Stadtteil. Lufta war aber immer ein Außenseiter. „In der Nachbarschaft war ich der Privilegierte, der zur Schule ging. In der Schule war ich der Roma, der in Armut lebt. Meine Lehrer fragten mich, warum ich nicht auf der Straße sei und dort bettele.“
Obwohl er in fast allen Fächern Klassenbester war, wie er sagt, kam er in einigen Fächern nur gerade so durch. Lufta erinnert sich noch an seinen Geographie-Lehrer, der ihm stets eine Fünf gab, was im albanischen Schulsystem die schlechteste Note ist, mit der man bestehen kann. „Er sagte, das verdienst du, jetzt setz dich und sei still. Ich war klein und konnte mich nicht wehren.“ Doch Lufta ließ sich davon nicht unterkriegen, im Gegenteil: „Die Lehrer haben mich zwar gehasst, aber sie haben mir einen Grund gegeben zu kämpfen. Ich wollte, dass sie mich akzeptieren und mir das geben, was ich verdiene.“ Lufta schloss die Schule ab, bekam ein Stipendium und konnte studieren. Als Sozialarbeiter mit Masterabschluss verdient er heute gutes Geld.
Doch damit ist Lufta eine Ausnahme. Damit das nicht so bleibt, kämpft er jeden Tag für eine bessere Zukunft der Rom*nja in Albanien. Die nächste Generation könnte alles verändern: „Oft denke ich, wir schaffen es nicht, weil es so viel Hass, so starke Diskriminierung gibt und es immer mehr wird. Dann denke ich, dass ich versage. Aber wenn ich mir die vielen junge Menschen anschaue, mit denen ich zusammenarbeite, dann bin ich optimistisch.“
*Die Wörter „Roma“ und „Sinti“ stehen beide in der männlichen Form im Plural. Die weiblichen Formen im Plural lauten „Romnja“ und „Sintizze“. Daraus ergibt sich die Schreibweise Rom*nja und Sinti*zze.