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Rolle der FDP in der Corona-Krise: Juli-Vorsitzende Ria Schröder im Interview
Opposition sein in der Krise – das ist gar nicht so einfach. Das Vertrauen vieler Menschen in die Bundesregierung ist derzeit sehr hoch, 38 Prozent der Menschen sind zufrieden mit der Arbeit von Angela Merkel. Die FDP steht dagegen bei fünf Prozent und hat in der vergangenen Woche vor allem durch Negativ-Schlagzeilen von sich Reden gemacht. Am vergangenen Samstag nahm Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich in Gera bei einem sogenannten „Spaziergang“ gegen die Corona-Maßnahmen teil, ohne Abstand und Mundschutz, vor allem aber Seite an Seite mit AfD-Politiker*innen und Verschwörungstheoretiker*innen. Inzwischen pausiert er nach Kritik auch aus der eigenen Partei sein Amt. Am Sonntag dann wurde FDP-Mann Wolfgang Kubicki hart für seinen Auftritt bei Anne Will kritisiert – er sagte, wer Angst habe, solle einfach daheim bleiben, wusste zudem nichts mit der Reproduktionszahl R anzufangen und zweifelte die Arbeit des Robert Koch-Instituts an.
Wie wirkt sich all das auf die jungen Menschen in der FDP aus? Wir haben mit Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, über die Ausgangsbeschränkungen gesprochen, über junge Frauen in der FDP und darüber, warum sie findet, dass Thomas Kemmerich nicht mehr Teil der FDP sein darf.
jetzt: Wie geht es dir mit den aktuellen Ausgangsbeschränkungen?
Ria Schröder: Ganz gut. Ich bin in einer sehr privilegierten Situation. Ich habe keine Kinder, die jetzt nicht in die Kita können, ich habe einen Job, ich wohne mit meinem Freund in einer Wohnung, in der jeder auch mal Raum für sich hat. Vielen geht es schlechter. Aber auch denjenigen, denen es gut geht, darf mal die Decke auf den Kopf fallen. Die Situation, die wir gerade haben, ist herausfordernd und kann kein Dauerzustand werden.
„Durch die Maßnahmen lastet auf vielen ein hoher psychischer Druck“
Was hältst du von den beschlossenen Lockerungen?
Ich finde es sehr sinnvoll, dass die Lockerungen in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt werden. Meine Mama zum Beispiel wohnt in Rheinland-Pfalz in einem Dorf mit 300 Einwohnern. Da gibt es kaum Infizierte. Wenn man da vor die Tür geht, trifft man kaum Menschen, da ist die Situation eine andere als zum Beispiel in Hamburg. Es geht darum, dass man sich fragt: „Ist es das Risiko wert, wenn ich jetzt rausgehe?“ Ich persönlich erlaube mir jetzt noch ein bisschen weniger als zum Beispiel Eltern mit Kindern, die sagen: „Wir müssen jetzt mal raus auf den Spielplatz.“ Ich finde es gut, dass jetzt jedem die Entscheidung weitgehend überlassen wird. Und ich bin überzeugt, dass Menschen diese Entscheidung treffen können.
Vielen Menschen reicht das nicht, Tausende gehen gegen die Corona-Beschränkungen auf die Straße.
Niemand, der heute lebt, hat eine solche Situation schon einmal erlebt. Ich verstehe, dass das Menschen aufreibt, dass es schwierig ist, zu akzeptieren, dass es nicht die eine richtige Lösung gibt. Durch die Maßnahmen lastet auf vielen ein hoher psychischer Druck. Ich kann verstehen, wenn Menschen sagen: „Das muss aufhören. Ich halte das nicht mehr aus.“ Demonstrieren ist ein wichtiges Grundrecht.
Einige der Demonstrant*innen hängen Verschwörungstheorien an und haben kein Vertrauen in den Staat und die Medien. Inwieweit macht dir das Sorgen?
Nicht jeder, der auf die Straße geht, ist ein Verschwörungstheoretiker. Aber ja: Da hat eine toxische Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, Rechtsextremisten, esoterischen Hippies und verkappten Nazis eine Front gebildet gegen die Medien und gegen den Staat. Das macht mir extreme Sorgen. Wir müssen Konzepte finden, um diese Menschen zu erreichen. Das ist schwierig.
Was könnten das für Konzepte sein?
Wir brauchen Aussteigerprogramme, wie es sie für Menschen gibt, die aus der Neonazi-Szene aussteigen wollen oder aus islamistischen Kreisen. Da wurde in den vergangenen Jahren sehr an der Finanzierung gespart, das sollte sich ändern. Politische Bildung ist natürlich wichtig. Aber es geht auch darum, wie wir in der Gesellschaft miteinander reden. Rede ich mit meinem Nachbarn oder meinen Eltern auch mal über Politik? Sprechen wir Verwandte an, wenn sie komische Sachen auf Facebook posten? Wir müssen das Gespräch suchen und auch die Konfrontation. Und zwar bevor Menschen in eine Echokammer reinfallen, aus der sie nicht mehr rauskommen und in der wir sie nicht mehr erreichen.
Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich ist am Samstag in Gera auch bei einer solchen Demonstration mitgelaufen. Ein Aufschrei folgte. Was hast du gedacht, als du davon erfahren hast?
Ich dachte nur: „Meine Güte, er hat nichts gelernt.“ Als er im Februar mit den Stimmen der AfD in Thüringen für kurze Zeit Ministerpräsident wurde, dachte ich noch: „Er hat es nicht kommen sehen, er war überfordert mit der Situation.“ Aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Das hat nichts mehr mit Naivität zu tun, das ist Opportunismus und eine absolute Abwesenheit von politischem Gespür.
Er hat sich auf der Bühne vorstellen lassen als „einziger legitimer Ministerpräsident“, der „vom Anruf einer machtgierigen Frau gestürzt“ worden sei.
Da muss man widersprechen, auch wenn das anstrengend ist. So viel politischen Kompass braucht man. Wer dieses Rückgrat nicht hat, der darf keine Verantwortung in einer liberalen Partei übernehmen.
Reicht es dir, dass Kemmerich nach scharfer Kritik aus der Partei seine Mitgliedschaft im Bundesvorstand jetzt zeitweise ruhen lässt?
Aus meiner Sicht müsste er alle seine Ämter zur Verfügung stellen, auch das als Fraktionsvorsitzender in Thüringen. Aber ihm sei jetzt die Zeit gegönnt, darüber nachzudenken. Vielleicht kommt er selbst zu dem Schluss, dass er seinen Platz verspielt hat.
„Ich hab mich nach der Wahl Kemmerichs Anfang Februar für einen Moment gefragt, ob ich noch in der richtigen Partei bin“
Grenzt sich die FDP da strikt genug nach rechts ab?
Viele Parteimitglieder haben Kemmerichs Verhalten ja direkt kritisiert und klar Stellung gegen rechts bezogen. Aber so etwas schadet uns dennoch immens. Mir macht das wirklich Sorgen. Ich überlege mir oft, wie es Menschen geht, die von der Hetze der AfD direkt betroffen sind, die die Gewalt, die daraus erwächst, tagtäglich erleben. Die bei dem Attentat in Hanau dachten: „Das hätte ich sein können.“ Für die FDP gehört ein diskriminierungsfreies Leben zur Grundmaxime. Und wenn wir es nicht schaffen, uns da wirklich ganz klar abzugrenzen, dann kann ich verstehen, wenn Menschen Angst haben. Wir müssen uns sowieso immer wieder Vertrauen erarbeiten. Wir sind keine Volkspartei. Wir kämpfen um jede einzelne Wählerstimme. Dafür müssen wir verbindlich sein und zu unseren Werten stehen. Und wenn jemand aus der FDP mit der AfD auf eine Demo geht, macht das die Arbeit von Monaten kaputt.
Erschüttert dich das auch im Glauben an deine Partei?
Ich hab mich nach der Wahl Kemmerichs Anfang Februar für einen Moment gefragt, ob ich noch in der richtigen Partei bin. Ich will, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es egal ist, welche Hautfarbe jemand hat, wen er liebt, woher seine Eltern kommen, was seine sexuelle Orientierung ist. Deswegen bin ich in der Politik. Doch ich habe gemerkt: Thomas Kemmerich ist nicht die FDP. Im Gegenteil, es haben sich so viele Menschen aus der Partei gegen das ausgesprochen, was er getan hat. Das hat mir deutlich gemacht: Er ist das Problem, nicht ich.
Erst Kemmerich, dann am Montag der nächste Shitstorm: Viele waren wütend, weil Kubicki bei Anne Will gesagt hat, wer in der Krise Angst habe, solle einfach daheim bleiben.
Das ist total frustrierend. Und macht die Arbeit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier total kaputt. Kubicki ist ja bekannt für sein loses Mundwerk. Die Reaktionen wären meiner Meinung nach auch nicht so dramatisch ausgefallen, wenn am Samstag nicht Kemmerich in Gera auf der Straße gewesen wäre. Ich finde es auch legitim, dass er an die Eigenverantwortung appelliert. Aber er hat natürlich nicht gesagt, dass viele Menschen nicht daheim bleiben können, zum Beispiel, wenn sie im Krankenhaus arbeiten oder im Pflegeheim. Ich hätte das so nicht formuliert. Insgesamt sind solche Aktionen einfach anstrengend, denn dann müssen wir wieder von vorne anfangen.
Auf Podien sieht man vor allem männliche FDP-Politiker sitzen – sollte sich das deiner Meinung nach ändern? Im Vorstand der Julis sieht das deutlich diverser aus.
Wir haben hervorragende Politikerinnen und Politiker und ich würde mir wünschen, dass bei Podien und Talkshows nicht immer die sitzen, die für ihre flotten Sprüche und Provokationen bekannt sind, sondern auch andere und gerne mehr Frauen. Nur so verändert sich das Bild, das nach wie vor männlich geprägt ist und außerdem kommen mehr Perspektiven in die Debatte.
Welche Rolle hat die FDP aus deiner Sicht in der Corona-Krise?
Wir haben in den vergangenen Wochen massive Freiheitseinschränkungen erlebt. Das war meiner Ansicht nach zunächst der richtige Weg und das hat die FDP ja auch mitgetragen, genauso wie die Maßnahmenpakete, um der Wirtschaft zu helfen. Das war keine Selbstverständlichkeit, denn diese massive Investition in den Erhalt der Wirtschaft bedeutet auch, dass Spielräume für künftige Generationen genommen werden. Die Regierung bekommt gerade viel Zuspruch, aber es ist wichtig, dass ihr jemand auf den Zahn fühlt und jede Maßnahme auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft. Die FDP hat das gemacht, das finde ich sehr gut. Liberalen liegen die Freiheiten der Bürger besonders am Herzen, deswegen ist es auch wichtig, hinzuschauen, wenn Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden.
Der Staat greift wegen der Pandemie gerade in die Freiheitsrechte ein, Wirtschaftspolitik ist gefragt, das sind ja eigentlich Steckenpferde der FDP. Dennoch steht ihr in Umfragen bei um die 5 Prozent. Welche Antworten habt ihr in der Krise?
Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die zum Beispiel wegen Kurzarbeit oder Auftragsausfällen weniger verdienen, mehr Geld in der Tasche haben, indem auch Steuersenkungen stattfinden. Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden und abzufedern, brauchen wir eine Weiterbildungsoffensive und ein Midlife-Bafög, das die finanziellen Sorgen während dieser Zeit nimmt. Jetzt ist eine gute Zeit für öffentliche Infrastrukturprojekte, besonders beim Breitbandausbau, die dem Land langfristig helfen und die Wirtschaft ankurbeln.
Welche Rolle können die Julis dabei spielen?
Wir setzen uns insbesondere für die Chancen junger Menschen ein. Mehr Autonomie für die Schulen und eine umfassende Reform der Bildung, die hybrides und digitales Lernen für alle möglich macht. Neben Breitband und Hardware müssen dafür Lehrkräfte weitergebildet werden. Wie wäre es außerdem mit einem großen Schul-Hackathon, wo Schüler, Lehrer, Eltern die besten Ideen für die digitale Schule entwickeln und präsentieren?
„Die Kreditlösung für Studierende finde ich enttäuschend“
Covid-19 bestimmt gerade unseren Alltag. Welche Themen fallen deiner Meinung nach gerade runter?
Klimaschutz ist ein Thema, das stark unter die Räder gekommen ist. Mir wird außerdem noch zu wenig über das Thema Rente gesprochen. Wir brauchen ein System, das auch für die junge Generation trägt. Und da stehen wir noch ganz am Anfang. Ich finde es frustrierend, dass die Rentenkommission der Bundesregierung nur eine Problembeschreibung und keine Lösung aufgezeigt hat. Denn gerade jetzt müssen wir schauen, dass wir Probleme nicht in die Zukunft verschieben. Wir müssen den Sozialstaat langfristig so aufstellen, dass die Jungen nicht leiden.
Werden junge Menschen deiner Meinung nach von der Politik gerade genug unterstützt?
Überhaupt nicht. Man merkt, dass die Bildungsministerin sich offenbar nicht dafür interessiert, wie es jungen Menschen geht. Die Kreditlösung für Studierende finde ich enttäuschend. Zumal die Zinsfreiheit auch nur für ein Jahr gilt. Ich habe als Studentin Bafög bekommen und hatte einen Nebenjob. Insgesamt hatte ich etwa 1000 Euro im Monat zur Verfügung, davon musste ich unter anderem in Hamburg meine Miete bezahlen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich einen Kredit zurückzahlen soll. Das ärgert mich sehr. Ich finde wir sollten endlich das Bafög für alle öffnen.
Gemeinsam mit den Jugendorganisationen von Grünen, SPD und CDU hast du einen offenen Brief auf den Weg gebracht, in dem ihr genau das fordert – bringt euch die Krise über Parteigrenzen hinweg zusammen?
Schon, ja. Wir haben sehr früh angefangen, in Städten und Gemeinden mit anderen politischen Jugendorganisationen Hilfsangebote zu schaffen und zum Beispiel beim Einkaufen und Gassigehen geholfen. Da sind viele von uns auch parteiübergreifend enger zusammengewachsen. Auf Bundesebene standen wir vorher schon regelmäßig im Kontakt, aber wir machen sehr selten gemeinsam Aktionen. Dass wir uns für diesen Brief alle auf einen Nenner einigen konnten, ist schon ein Zeichen dafür, dass die Regierung ganz schön auf dem Holzweg ist.