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Robert Claus über Hooligans, Neonazis und den „Kampf der Nibelungen“
Am Samstag treffen sich Neonazis in dem sächsischen Ort Ostritz, um am „Kampf der Nibelungen“ teilzunehmen – einer Veranstaltung, bei der sie sich seit 2013 mit Hooligans und Rocker in Mixed Martial Arts (MMA) duellieren. Bislang trafen sie sich dafür immer an geheimen Orten, als Teil des rechtsextremen „Schild und Schwert“-Festivals findet der Kampf erstmals öffentlich statt.
Robert Claus arbeitet in der „Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene Soziale Arbeit“, außerdem forscht er seit mehreren Jahren zum Thema Rechtsextremismus. Im vergangenen Jahr ist sein Buch „Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ erschienen. Er geht darin unter anderem der Frage nach, wie sich die Hooligan-Szene mit der Zeit verändert hat und wie stark sie sich mittlerweile mit der Neonazi-Szene überschneidet. Wir haben mit Robert darüber gesprochen, welche Bedeutung der „Kampf der Nibelungen“ für die Neonazi-Szene hat.
jetzt: Robert, der „Kampf der Nibelungen“ hat bislang immer an geheimen Orten stattgefunden. Morgen wird er im Rahmen des neonazistischen „Schild und Schwert“-Festivals zum ersten Mal öffentlich ausgetragen. Was bedeutet das?
Robert Claus: Das bedeutet vor allem, dass die Veranstaltung wächst und sich kommerzialisiert. Angefangen hat sie im pfälzischen Teil der Eifel, 120 Zuschauer, ein ganz kleines Szene-Event. Über die Jahre ist es auf 200 Leute angewachsen, 2017 waren dann in Kirchhundem im Sauerland erstmals über 500 Gäste da. Im vergangenen Jahr ist der „Kampf der Nibelungen“ übrigens auch als Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen worden. Das ist in meinen Augen ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Veranstalter wohl kommerziellen Erfolg haben. Man scheint sich also einem größeren Publikum öffnen zu wollen. Und ab einer bestimmten Größe lässt sich so eine Veranstaltung nicht mehr geheim halten.
Ähnlich konnte man das 2017 bei den Rechtsrock-Konzerten in Themar beobachten. Auch die fanden unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit statt. Zeigen Neonazis ihre Gesinnung heute offener?
Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, dass sich die Form verändert hat. Die rechtsextremen Parteien befinden sich seit fünf bis zehn Jahren in einer heftigen Krise. Die NPD musste zwei Verbotsverfahren durchlaufen und ist zudem ziemlich pleite. Die Republikaner sind völlig unwichtig geworden, die Partei „Die Rechte“ ist nur noch ein lokales Auffangbecken für rechte Hooligans in NRW. Außerdem hat natürlich die AfD ein gewisses Spektrum abgesogen. Meine These ist: Mit der Krise der klassischen rechtsextremen Parteien wurden solche Kulturevents wieder wichtiger.
Weil die Szene sich dort ihrer selbst vergewissert?
Klar. Diese Events haben ja auch eine verbindende Funktion, man pflegt dort Kontakte, geht gemeinsamen Hobbies nach. Sie sind gewissermaßen der soziale Kitt der rechtsextremen Szene.
Wie setzt sich die Szene um den „Kampf der Nibelungen“ denn personell zusammen? Man findet dort ja nicht nur Neonazis, sondern auch Hooligans und Rocker.
Im Wesentlichen sind es diese drei Gruppen. Es gab dort zum Beispiel immer auch Kämpfer, die keine expliziten Neonazis waren, sondern aus der rechten Hooligan-Ecke kamen. Aber genau das ist die Strategie solcher Musik- und Kampfsportevents: gewaltinteressiertes und rechtsoffenes Publikum über diese Kulturschiene an sich zu binden.
„Der gemeinsame Nenner ist natürlich die Gewalt“
Seit wann vermischen sich etwa Neonazis und Hooligans auf diese Art?
Die Hooligan-Szene entstand in Deutschland Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Die waren nicht alle rechtsextrem, tendierten aber zum großen Teil schon zum Nationalismus und zu rechten Symbolen. In den Achtzigern war dann Michael Kühnen sehr wichtig, der damalige Anführer der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei. Der hat seinerzeit die Strategie entwickelt, in den Fußballkurven zu rekrutieren, um eine Art Straßen-SA aufzubauen. Man wollte die Hooligans also nicht als ideologische Vordenker, sondern als schlagkräftigen Arm der Szene. Seitdem versuchen rechtsextreme Parteien und Organisationen, Hooligans zu rekrutieren.
Und woher kommt die Begeisterung der Neonazis für MMA?
Der gemeinsame Nenner ist natürlich die Gewalt. Kampfsport ist für Neonazis nicht nur interessant, weil sie dort Gewalt ausleben können, sondern weil sie auch Gewaltkompetenz lernen. Professionelle MMA-Kämpfer sind ja keine wilden Schläger, sondern Leute, die über Jahre hinweg trainieren, sich entsprechend ernähren, ihren Lebensrhythmus darauf ausrichten. Für Rechtsextreme ist MMA also auch reizvoll, um Leute für ihren politischen Straßenkampf zu trainieren. Die MMA-Szene darf aber wiederum nicht nur durch diese Folie betrachtet werden. Dort gibt es auch viele vernünftige Leute.
Der „Kampf der Nibelungen“ wurde erstmals 2013 ausgetragen. Wie kam es dazu?
Gegründet haben ihn die Hammerskins, eine selbsternannte Neonazi-Elite. Schnell wurden Dortmunder Neonazis immer wichtiger, die das Event in meinen Augen mittlerweile übernommen haben. Für die Professionalisierung war außerdem Denis Nikitin sehr wichtig. Ein russischer Hooligan, der mit „White Rex“ eine eigene Kampfsportmarke betreibt, die in Russland sehr erfolgreich ist. Nikitin hat den Leuten in Deutschland gezeigt, wie man ein professionelles Kampfsport-Event aufzieht, hat sein Wissen über Werbung, Organisation und Layout eingebracht. Und selbst auch mehrfach dort gekämpft.
Wie läuft so ein Kampf denn ab?
Die Kämpfer werden vorab kontrolliert, ob sie versteckte Waffen oder Metallgegenstände bei sich tragen. Dann wird ihnen Vaseline ins Gesicht gerieben, damit die Schläge besser abrutschen. Und dann wird nach Regeln gekämpft, entweder MMA, Boxen oder Kickboxen. Meistens drei Runden. Je nach Niveau tragen die Leute Schutzkleidung. Die Sieger bekommen am Ende eine Medaille oder eine Plakette. Und zwischendurch werden völkische Reden gehalten. Auch Denis Nikitin hat dort das eine oder andere Mal gesprochen.
„Der 'Kampf der Nibelungen' dient der Vernetzung und Finanzierung der Neonazi-Szene“
Laut Veranstalter soll der „Kampf der Nibelungen“ ja eine Alternative zu einem „faulenden politischen System“ sein, zum „vorherrschenden ehr- und wertelosen Zeitgeist“, auf der Homepage steht viel von „Wille, Disziplin und Fleiß“. Es geht um mehr als Sport, richtig?
Der „Kampf der Nibelungen“ dient der Vernetzung und Finanzierung der Neonazi-Szene. Diverse rechte Labels haben dort ihre Stände und verkaufen Merch. Da wird niemand reich, aber sie machen Umsätze. Das T-Shirt zum „Kampf der Nibelungen“ etwa ist erfolgreich genug, dass vergangenes Jahr mit „Wardon“ noch eine vegane Straight-Edge-Marke gegründet wurde. Im rechten Kampfsport-Sektor ist Straight Edge inzwischen sehr verbreitet, man hat ein modernes Körperideal, versucht keinen Alkohol zu trinken und den Drogen abzuschwören. Und was die Vernetzung angeht: Zu den Kämpfen kommen Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Chemnitz, Bielefeld, Aachen, Cottbus. Außerdem reisen Kämpfer aus Frankreich, Russland, der Schweiz und Skandinavien an.
Bislang fand der „Kampf der Nibelungen“ an geheimen Orten statt. Wie wurde dorthin eingeladen?
Auf den Plakaten stand als Veranstaltungsort „Westdeutschland“, dazu noch eine Mailadresse. Wenn man an die geschrieben hat, wurde dem Sender ein Postfach vermittelt, an das er Geld überweisen musste. Daraufhin hat er ein Ticket bekommen, zusammen mit einem Kontakt, den er am Veranstaltungstag anrufen sollte. Per Telefon hat man sich dann an Autobahnraststätten verabredet, von denen aus die Gäste zum „Kampf der Nibelungen“ gebracht wurden. Das heißt: Die Veranstaltung hatte kein Laufpublikum. Die Gäste wollten gezielt dorthin.
„Die extreme Rechte hat mittlerweile weit mehr Symbole als Hakenkreuze und Reichskriegsflaggen“
Der Kampf morgen beim „Schild und Schwert“-Festival firmiert unter dem Slogan „Reconquista Europa“ – ein Slogan der „Identitären Bewegung“. Auch der Merch und die Aufmachung der Homepage erinnern optisch an diese Gruppe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Überschneidet sich die „Identitäre Bewegung“ mit dem „Kampf der Nibelungen“?
Personell kann ich das nicht sagen. Man konnte aber in der Vergangenheit immer wieder beobachten, dass sich auch Neonazis modernisieren können. Sei es in der Gestaltung ihrer Webseiten, ihrer Videos oder generell in ihrer Außendarstellung. Die extreme Rechte hat mittlerweile weit mehr Symbole als Hakenkreuze und Reichskriegsflaggen.
Hat man es beim „Kampf der Nibelungen“ mit einer Szene zu tun, die unter sich bleibt, oder überträgt sich die Gewalt nach den Kämpfen auch auf den Alltag?
Bei dem Event bleiben die Kämpfer unter sich. Jedoch kommen sie aus dem gesamten Bundesgebiet und trainieren in ihren lokalen Gyms. Diese sind nicht immer extrem rechts, haben aber offensichtlich zu wenig Berührungsängste mit Neonazis. Es gibt demnach viele Fälle, in denen Neonazis ihre professionalisierte Gewalt politisch einsetzen: durch Gewalt gegen Asylbewerber oder politische Gegner.