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Der "Riot-Hipster" von Hamburg

Foto: Screenshot / Twitter @sixtus

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Über fast nichts kann man sich so gut aufregen wie über unangemessene Selfies. Ob vorm KZ, dem Berliner Holocaust-Mahnmal oder Beerdigungen – Menschen, die an Orten der Trauer oder in kritischen Situationen das machen, was ungefähr als die narzisstischste und eitelste Handlung des 21. Jahrhunderts gilt, kriegen eine Menge Häme ab. Der neuste Selfie-GAU könnte sich  zum Meme entwickeln: Es geht um das Bild eines bärtigen Mannes, der sich vor einer brennenden Barrikade im Schanzenviertel selbst fotografiert.

Unter dem Hashtag #riothipster beginnen findige Photoshopper nun schon damit, ihn in verschiedenste Situationen zu basteln, die allesamt auch völlig unangemessen für persönliche Eitelkeiten sind: von der Explosion der Hindenburg und dem Sturm auf die Bastille bis hin zum Tsunami: 

Er taucht aber auch in Bildern auf, die mit der Ursprungskritik gar nichts zu tun haben, wie etwa vorm Disney-Schloss oder beim letzten Abendmahl: 

Während es bei reddit schon einen Aufruf zum Photohop-Battle gibt, diskutieren Twitter-Nutzer, ob das Bild überhaupt echt ist. „Jeder Mensch der sich ansatzweise mit Photoshio auskennt sieht genau das dies ein Fake ist“ (sic!), schreibt einer. „Qualitativ passt die Person nicht rein, die Konturen wirken zu scharf und von den Lichtverhältnissen brauch ich nicht wirklich zu reden.“ Mario Sixtus, der das Bild als einer der ersten getwittert hat, antwortet: „Ich bin Fotograf & kenne mich mit Photoshop aus. Für mich ist das nicht als Fake sichtbar.“ „Kein Fake“, schreibt auch Christoph Kappes. 

Während auf Twitter Screenshots von Bildanalyse-Tools zum möglichen Beweis der Echtheit gepostet werden, erreichen wir Christoph Kappes, Blogger und Digital-Manager, telefonisch. Er lebt seit 17 Jahren in Hamburg und war gestern im Schanzenviertel unterwegs. „Als ich das Foto gesehen habe, habe ich gesagt: An die Szene erinnere ich mich. Ich habe sie von rechts gesehen und erinnere mich genau an den Vermummten mit dem nackten Oberkörper“, sagt er. „Aber wenn man mich jetzt noch dreimal fragt, fange ich auch an zu zweifeln.“

Der Riot-Hipster ist heute die perfekte Projektionsfläche

Aber egal ob Zweifel oder nicht, eines kann Kappes definitiv bestätigen: „Szenen wie diese gab es massenweise. Extrem viele Menschen haben Fotos gemacht, auch von sich selbst. Generell würde ich sagen, dass mehr als die Hälfte der Anwesenden gestern Nacht Zuschauer waren. Und auch die Krawall-Meister selbst haben vorm Feuer gepost.“ Dieses spezielle Bild findet er selbst „eher belanglos“. Aber der „Riot-Hipster“, den man nur wegen seines Bartes (Hipster?) und der schwarzen Kleidung mit Halstuch (schwarzer Block?) gar nicht genau zuordnen könne, sei wohl heute eine perfekte Projektionsfläche: Für die einen ist er der zutiefst unpolitische, krawallreisende Hipster, für die anderen ein narzisstischer Krawallmacher. Die Debatte um die Schaulustigen und Katastrophenfotografen rund um die Ausschreitungen geht ja gerade erst los.

Kappes berichtet auch noch von seinen persönlichen Eindrücken gestern auf der Schanze. „Man stellt sich das immer als große, organisierte Masse vor, aber so war es nicht“, sagt er. „Klar, es gab beim schwarzen Block Organisierte, bei denen einer einen Befehl ausgegeben hat und zehn rennen ihm hinterher. Aber da liefen auch Schüler in Hoodies durch die Straße.“ Verstört hat ihn aber vor allem die Stimmung: „Ich hatte keine emotionale Wahrnehmung von Aggression“, sagt er. „Da hat jemand mit einem Hammer eine Ampel eingeschlagen und das wirkte eher wie eine technokratische Handlung. Nicht so, als würde da Frust abgelassen, sondern als würde es nur gemacht, um bestimmte Bilder zu erzeugen.“

nasch

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