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Rechtsradikaler Terror in Hanau: Neonazi-Aussteiger Felix Benneckenstein im Interview
Tobias R. hat in Hanau mutmaßlich neun Menschen erschossen, seine Beweggründe sind rassistisch. Die meisten der Getöteten stammen aus Einwandererfamilien. Wenige Tage vorher wurde eine rechtsextreme Terrorzelle hochgenommen. Die „Gruppe S.“ plante wohl Anschläge auf Moscheen in zehn Bundesländern.
Was bedeuetet der jüngste Anschlag für die rechte Szene? Darüber haben wir mit Neonazi-Aussteiger Felix Benneckenstein gesprochen.
Felix war selbst Teil der Neonazi-Szene. Jetzt begleitet er Aussteiger*innen.
jetzt: Am Wochenende wurde die rechtsextreme Terrorzelle „Gruppe S.“ hochgenommen. Jetzt hat ein mutmaßlich Rechtsradikaler in Hanau neun Menschen getötet.
Felix: Ich glaube auf keinen Fall, dass es ein Zufall ist, dass sich die Anschläge massiv verdichtet haben. Ich denke, es ist alles eine Reaktion auf alles. Es sieht ja stark so aus, als ob der Täter aus rassistischen Motiven gehandelt hat. Mit Waffen loszuziehen und Menschen zu töten, die nicht ins eigene Weltbild passen, sieht nach rechtem Terror aus. Zwar teilt der Täter in seinem Video wirre Interpretationen. Doch er teilt auch Verschwörungstheorien, die in der rechten Szene massiv verbreitet werden. Und für die Rechten gibt es als Ausweg dann Krieg und Kampf. Das putscht sich alles immer weiter hoch. Und ich fürchte, dass dieser Trend auch noch nicht vorbei ist.
Fühlen sich Rechte durch die Ermittlungen so sehr in die Ecke gedrängt, dass das gefährlich werden könnte?
Ich denke: ja. Aber das muss man leider in Kauf nehmen. Der Staat muss reagieren. Für Rechtsradikale ist klar, dass es einen Bürgerkrieg geben wird. Und die Behörden müssen sich das eingestehen. Rechtsradikale denken, dass unsere Gesellschaft sich selbst abschafft und dass sie deswegen handeln müssen.
„Mit jedem Amoklauf und jedem Manifest wird in der Szene ein neuer Held geboren“
Der mutmaßliche Täter war wohl nicht Teil der Neonazi-Szene. Kann er für diese dennoch ein Vorbild werden?
Ja, und diese Gefahr ist sehr groß. Die Menschen, die er getötet hat, stammen aus Einwandererfamilien. Das sind in den Augen der Nazis genau die, die weg müssen, so krass das klingt. Dass er auch noch ein Bekennerschreiben und ein Video hinterlässt, zeigt: Das Ziel ist auch eine Heldenverehrung. Man soll sich immer weiter aufeinander berufen können. Mit jedem Amoklauf und jedem Manifest wird in der Szene ein neuer Held geboren. Allerdings muss man sagen, dass er aufgrund seiner sehr kruden Theorien vielleicht auch nur bedingt als Idol taugt.
Die AfD relativiert die Tat auf Twitter. Inwieweit prägt das den Diskurs?
Das spielt leider wirklich eine Rolle. Wenn man sich die Kommentarspalten zu Hanau anschaut, dann ist es vor allem die AfD-Community, die mit Unglauben reagiert, die schreibt, dass der Täter sicher eigentlich ausländische Wurzeln habe. Sie nimmt den Täter in Schutz. Aus rassistischer Motivation zu töten, ist für diese Menschen keine Straftat.
Es wird vermutet, dass der mutmaßliche Täter einen Bezug zur Reichsbürgerbewegung hat. Welche Rolle spielen Reichsbürger*innen in der Szene?
Das vermischt sich alles auf einer ganz merkwürdigen Ebene. Man bedient sich der gleichen Ideologie, dass ein neuer Staat hermüsse. Schon als ich noch in der Szene war, wurde immer gesagt: Unsere Zeit wird noch kommen. Es wurden unzählige Menschen jahrzehntelang in diesem Modus des Wartens gehalten. Jetzt ist es wohl so, dass sich viele immer sicherer fühlen. Und dieses Gefühl wird mit jedem Skandal im rechten Flügel der AfD und mit jedem rechtsradikalen Anschlag verstärkt. Dagegen muss rigoros vorgegangen werden. Beides ist gefährlich: Wenn sich die Rechten in die Ecke gedrängt fühlen, genauso aber auch, wenn sie das Gefühl haben, ihr Denken sei mehrheitsfähig.
In Hessen ist die rechtsradikale Szene ohnehin aktiv, oder?
Ja, im hessischen Hinterland gibt es eine sehr aktive und große Neonaziszene. Vor allem Kleinstädte sind die Anlaufpunkte. Eigentlich hassen Neonazis Großstädte wie Hanau, Frankfurt oder Marburg, eben auch genau weil, weil dort viele Menschen mit ausländischen Wurzeln leben.
Was muss die Politik jetzt tun?
Sie muss sich schonungslos von Rechtsradikalen abgrenzen. Die Grenze muss schon bei Rassismus gezogen werden. Denn Rassisten haben durch die sozialen Netzwerke das Gefühl, einer Mehrheit anzugehören. Rechtsradikale Ideologien und Rassismus dürfen kein normaler Teil des politischen Diskurses werden. Dafür muss man auch Menschen ausgrenzen.