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„Kameradenverrat ist eine Todsünde“

Foto: Oliver Berg / dpa / Bearbeitung: Daniela Rudolf

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Der Polizeibeamte Robert (Name geändert) hat uns von Fremdenfeindlichkeit unter seinen Kollegen, dem Hass vieler Polizisten auf „die Linken“ und der Angst vor offenen Vorwürfen erzählt (hier geht es zu Roberts Bericht). Wir können seine Aussagen nicht belegen. Doch vieles, was man über die „Polizistenkultur“ weiß, deckt sich mit seinen Vorwürfen.

Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei in Hamburg und Autor des Buches „Cop Culture – Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei“, ist Experte auf diesem Gebiet. Daher haben wir ihn darum gebeten, Roberts Aussagen einzuordnen.

jetzt: Herr Behr, was würde unserem Informanten Robert drohen, wenn er seine Vorwürfe an die Polizei öffentlich erheben würde?

Rafael Behr: Formell würde er vermutlich selbst zum Beschuldigten werden: Jemand würde Anzeige erheben, das Ganze könnte auch auf eine Verleumdungsklage hinauslaufen. Das Beamtengesetz regelt außerdem, dass man Dienst-Interna nicht ohne Weiteres preisgeben darf. Der Beamte hat eine sogenannte „Wohlverhaltenspflicht“: Danach hat er alles zu vermeiden, was dem Ansehen der Polizei schadet. Interna ausplaudern gehört dazu. Die Sanktion kann, je nach Schwere des Vergehens, von einem Verweis, über eine Geldbuße bis hin zur Zurückstufung oder Entfernung aus dem Beamtenverhältnis reichen. 

Und informell?

Würde er aus der Gruppe gemobbt. Kameradenverrat ist eine Todsünde. Ich habe oft erlebt, dass Polizisten entsetzt waren, wenn etwas von einem Übergriff durch Polizisten in der Zeitung stand – aber nicht über das, was passiert war, sondern darüber, dass es veröffentlicht wurde.

Wer sich nicht an den „Code of Silence“ hält, dem droht also der soziale Tod in der Gruppe. Kann das Ganze auch Auswirkungen auf die Karriere haben?

Das hängt sehr von der Atmosphäre in der jeweiligen Dienststelle ab. Ich kenne beides: Zum einen die Selbstzuschreibungen von Kollegen, die sagen: „Ich werde nicht befördert, weil ich unbequem bin.“ Zum anderen aber auch Fälle, in denen Beamte nicht befördert wurden, weil sie den erwarteten Handlungsmustern nicht entsprachen und darum als nicht vertrauenswürdig galten.

Robert beklagt vor allem die Fremdenfeindlichkeit vieler Kollegen. Gibt es bei der Polizei institutionellen Rassismus?

Nein. Nichts weist darauf hin, dass bei der Polizei Rassismus gelebt oder gefördert würde. Allerdings macht das das Problem nicht kleiner.  

Es gibt also ein Problem?

Es gibt zwar keinen institutionellen, aber sehr wohl überindividuellen Rassismus: In bestimmten Innenstadt-Dienststellen oder in Einsatzhundertschaften, die vor allem bei Großlagen eingesetzt werden und so von einem Brennpunkt zum nächsten kommen, blühen die Vorurteile. Und es gibt strukturelle Bedingungen, die Rassismus ermöglichen.

 

„Wenn ein Beamter gezielt junge Migranten in tiefer gelegten Autos kontrolliert, wird er auch hin und wieder Betäubungsmittel bei ihnen finden“

 

Zum Beispiel?

Im Asylgesetz gibt es die sogenannte Residenzpflicht: Bestimmte Flüchtlinge dürfen sich nur in bestimmten Gebieten aufhalten. Da kann ein Dienstgruppenleiter theoretisch sagen: „Wir haben aktuell noch zu wenig Vorgänge. Fahrt zur Flüchtlingsunterkunft und schaut, ob ihr ein paar Anzeigen wegen Verletzung der Residenzpflicht zusammenkriegt.“ Das Gesetz selbst ist nicht rassistisch – aber die Disposition zum Rassismus ist gegeben.

Robert hat Ähnliches berichtet: dass er zum Racial Profiling aufgefordert wurde und Kollegen der Aufforderung gefolgt sind, weil sie auf diese Weise eine Menge Anzeigen aufnehmen konnten.

Polizisten weisen immer den Vorwurf zurück, dass sie aus reinem Rassismus kontrollieren, sondern finden in der Regel eine zusätzliche Bestätigung ihres Verdachts. Ich nenne das „selbstreferenzielle Verdachtsschöpfung“: Wenn ein Beamter gezielt junge Migranten in tiefer gelegten Autos kontrolliert, dann wird er wahrscheinlich auch hin und wieder Betäubungsmittel bei ihnen finden. Und kann dann behaupten, die Praxis beruhe auf polizeilicher Erfahrung.

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Rafael Behr ist Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg .

Foto: Polizei Hamburg

Was aber in diesem Falle nicht stimmt. 

Genau. Natürlich ist es klug von Polizisten, an bestimmten Orten auf bestimmte Personengruppen zu achten – wenn sich dieses Vorgehen mit empirischem Wissen deckt. Wenn sie also zum Beispiel wissen, dass aktuell Männergruppen einer bestimmten Nationalität in einem bestimmten Gebiet Einbrüche begehen. Aber deswegen ist es noch lange nicht okay, in jeder Situation Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu kontrollieren, weil man dann schon irgendwas finden wird. Und das macht das Racial Profiling aus: Es beruht auf Vorurteilen und Stereotypen statt auf Beweisen.

Zieht die Polizei Menschen mit rechtem Gedankengut besonders an?

Nein! Ich bin sehr dagegen, das zu behaupten. Zur Polizei gehen viele Menschen, die nach einem gewissen Ordnungsschema suchen. Dabei geht es aber um soziale Ordnung und private Sicherheit, die der öffentliche Dienst bietet. Hinzu kommen Motive wie „Ich will helfen“. Wer ein Faible für Waffen hat, für den Nationalstaat und Traditionspflege, der geht zum Militär. Dort entstehen dann auch eher rechte Subkulturen.

Aber es gibt trotzdem eine bestimmte, geschlossene „Polizistenkultur“?

Ja. Der wichtigste Bestandteil dieser „Cop Culture“ ist, dass man sich nicht gegenseitig verrät, anzeigt oder anschwärzt. Da werden auch Übergriffe schon mal gedeckt. Der „Whistleblower“, der dem Vorgesetzten meldet, dass ein Kollege einen Wehrmachtshelm im Spind hat, gilt als Kameradenschwein. Die Polizistenkultur verhindert oft Zivilcourage.

Aber es gibt auch Polizisten wie Robert, die vieles nicht gutheißen. 

Ich bin sogar sicher, dass es ganz viele aufrechte Polizisten gibt, die nur schweigen, weil sie sonst in diesem System nicht weiterleben können. Sie sind abhängig von der Solidarität der Kollegen. Und diejenigen, die rassistische Sprüche klopfen, sind oft charismatische Typen, die großen Einfluss in der Gruppe haben.

Wie der „Widerstandsbeamte“, von dem Robert erzählt hat.

Genau. Der „Widerstandsbeamte“ ist jemand, der bei einer Festnahme einen Widerstand provoziert, um dann hart durchzugreifen. Das zwingt wiederum die Kollegen zu einer dienstlichen Stellungnahme, die positiv für diesen Beamten ausfallen muss. Entgegen ihrer eigenen Überzeugung.

 

„Linke Demonstranten wurden und werden stärker dämonisiert als rechte“

 

Robert empfindet es auch als belastend, dass es ein so klares Feindbild bei der Polizei gibt: die Linken. 

Das ist zwar keine offizielle Polizei-Doktrin, aber es hat Tradition. Bevor es die autonomen Nationalisten gab, sind die Rechten nie aufmarschiert, um den Staat in Frage zu stellen, sondern haben sogar noch mehr Ordnung und Disziplin verlangt als die Polizei selbst. Linker Protest hingegen richtet sich traditionell gegen staatliche Autorität und war schon immer durchlässiger für Gewalt, auch gegen Polizeibeamte. Linke Demonstranten wurden und werden darum stärker dämonisiert als rechte. Das konnte man auch im Vorfeld des G-20-Gipfels gut erkennen.

Inwiefern?

Da war die Rede von „bis zu 8000 Chaoten aus aller Welt“, die die Stadt auseinandernehmen und Polizisten angreifen würden. Diese Dramatisierung des Gegners ist natürlich auch eine Methode, um sich abzusichern: Wenn nichts passiert, wird nachher gesagt, dass die Strategie der Polizei Wirkung gezeigt hat. Und wenn etwas passiert, waren die Chaoten eben noch chaotischer als gedacht.

Die Situation in Hamburg ist eskaliert. Warum?

Es herrschte eine völlig asymmetrische Beziehung: auf der einen Seite die stark hierarchisch organisierte Polizei, auf der anderen Seite ein antihierarchischer, quasi anarchistischer Mob, der jegliche Struktur vermissen lässt und auch kollektive Verantwortung ablehnt. Ich frage mich allerdings, warum die Polizei davon so überrascht wurde – das ist ja alles nicht erst seit dem Gipfel so. 

Wie bewerten Sie insgesamt den Einsatz der Polizei bei G20?

Die Einsatzstrategie war ja eher konventionell: schweres Gerät auffahren, Korridore für die Prominenz freihalten und den Schwarzen Block frühzeitig zerschlagen. Das ist die traditionelle „Hamburger Linie“. Und das mussten viele Polizisten, die im Einsatz waren, ausbaden.

Wie meinen Sie das?

Bei dem Einsatz wurden extrem viele Beamte regelrecht verschlissen, zum Beispiel durch zu wenig Schlaf oder Dehydrierung. Sie wurden einem Risiko ausgesetzt, das im Nachhinein auf die Demonstranten geschoben wird. Aber dass diese Einsatztaktik, also zum Beispiel die sofortige Auflösung des Schwarzen Blocks, in Kauf nimmt, dass sich sehr viele Polizisten verletzen, wird nirgends thematisiert.

 

„Die Polizei muss sich dringend Kontrolle gefallen lassen“

 

Die Polizisten sind also Opfer der harten Einsatzstrategie – und nicht die Demonstranten?

Nein, mir ist wichtig zu verdeutlichen, dass es Opfer auf beiden Seiten gab. Viele Beamte und ihre Ideale haben Schaden genommen. Mir tut das Ganze aber auch für die Menschen leid, die kreativ und friedlich protestiert haben und über die jetzt keiner mehr spricht, weil sie vom Gewaltexzess überrollt wurden. Die Ohnmacht der Zivilgesellschaft hat sich bei diesem Gipfel sehr deutlich gezeigt.

Was halten Sie von der Aufarbeitung?

Die ist bis jetzt noch nicht angelaufen. Olaf Scholz hat gesagt, die Polizei habe „heldenhaft“ agiert. Außerdem wurde behauptet, es habe keine Polizeigewalt gegeben – aber natürlich sind einzelne Beamte übergriffig geworden. Kritik wird also von vorneherein negativ bewertet, dabei muss die Polizei sich dringend Kontrolle gefallen lassen. Gerade weil sie die Institution ist, der die Bevölkerung eigentlich Vertrauen entgegenbringt. 

Welchen Einfluss hat das aktuelle politische Klima auf die Polizei? Robert sieht Zusammenhänge zwischen seinen Kollegen und den Rechtspopulisten.

Die, die vorher schon chauvinistische Einstellungen hatten oder stark vereinfachende Weltbilder vertreten haben, werden jetzt sicher mutiger und lauter. Aber das ist keine Gesamtstimmung. Das Problem sind eher Fälle, in denen sich die Polizisten nicht stark genug von Gruppen wie Pegida abgegrenzt und durch bestimmte Maßnahmen oder Aussagen Beifall von der falschen Seite bekommen haben. Dadurch entstand eine bestimme öffentliche Wahrnehmung. Einen allgemeinen Rechtsruck in der Polizei sehe ich darin allerdings noch nicht. In den frühen Neunzigerjahren war das anders, als man davon ausgehen musste, dass viele Polizisten bei den Republikanern aktiv sind. Heute ist das moralische Klima in der deutschen Polizei meiner Meinung nach immer noch anerkennenswert. Wir stehen nicht schlechter da, als andere demokratische Staaten. 

Trotzdem bleibt das Problem der Polizistenkultur, die Robert belastet. Was würden Sie ihm raten? 

Wenn er mich um Rat fragen würde, würde ich sagen: Pass in erster Linie auf dich, deine Integrität und deine Gesundheit auf. Und wenn es irgendwie geht, such' dir Allianzen. Leute, von denen du weißt, dass sie auf deiner Seite sind. Es gibt ja auch sozial wache Kollegen. Gerade unter älteren Polizisten gibt es erstaunlicherweise viele, die eine sehr integre moralische Haltung haben und die sich durch Zugehörigkeitszwang nicht mehr beeinflussen oder erpressen lassen. 

 

„Ich kenne kein Ausbildungsmodul, in dem Rassismus geduldet oder gar gelehrt würde“

 

Was müsste sich strukturell verändern, damit jemand wie Robert nicht mehr gezwungen ist, zu schweigen?

Das Problem ist, dass es bei der Polizei zu wenig geschützte Räume gibt, in denen man Informationen weitergeben kann, ohne sich bloßzustellen. Selbst Gewerkschaftsfunktionäre, die ja eigentlich für die Interessen der Polizisten zuständig sind und offen reden dürfen, machen es oft nicht – weil sie ihre Wählerschaft nicht verprellen wollen. Es gibt sogar Staatsanwälte, die sagen: „Es gibt kein Fehlverhalten in der Polizei, denn wir kriegen ja kaum Anzeigen.“ Das liegt aber auch daran, dass man eine Strafanzeige mit dem eigenen Namen stellen muss. 

Robert fordert darum unter anderem eine unabhängige Ermittlungsstelle für die Polizei.

Wir bräuchten zumindest unabhängige Beschwerdestellen und Polizeibeauftragte, die einen gesetzlichen Auftrag zur Anonymisierung und ein Auskunftsverweigerungsrecht haben. Das würde die Zivilcourage innerhalb der Polizei sicherlich fördern. 

Muss sich vielleicht auch an der Ausbildung etwas ändern? Wie viel Platz nimmt bisher zum Beispiel die politische Bildung ein?

Das ist abhängig von den unterschiedlichen Lehrplänen. Bei uns an der Fachhochschule macht Politologie im gesamten Studienverlauf 16 Stunden aus. Das ist so gut wie nichts. Allerdings gibt es so etwas wie Wertevermittlung und Polizei-Ethik auch noch in anderen Bereichen des Unterrichts. Bei mir im Soziologie-Modul sprechen wir viel über den „Code of Silence", Gewalt an der Polizei und durch die Polizei, Fehlverhalten, Risikobewertung und so weiter. Ich kenne kein Ausbildungsmodul, in dem Rassismus geduldet oder gar gelehrt würde, und auch in den praktischen Trainings würde keiner offiziell sagen: „Kontrolliert Ausländer!“ Problematischer finde ich, dass die guten Ansätze und die gute Theorie durch später Erfahrungen in der Praxis sehr schnell an Bedeutung verlieren. Die Ausbildung ist also nicht der Stein des Anstoßes – sondern das anschließende Loslassen.

Hier geht es zu Roberts Bericht über Rassismus und Corpsgeist in der Polizei:

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