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„Nicht mal Wasser?“

Während des Ramadan essen Fastende erst nach Einbruch der Dunkelheit.
Foto: Eman Helal/dpa

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„Und da dürft ihr nicht mal Wasser trinken?“ – Entsetzt schaut mich meine Kollegin an. In einem Halbsatz hatte ich erwähnt, dass der islamische Fastenmonat Ramadan ansteht und ich faste. Ich kenne die Frage, die sie mir stellt, ich kann nicht sagen, wie oft ich sie in meinem Leben schon beantwortet habe. Um also die wichtigsten Punkte direkt abzuhandeln: Nein, nicht mal Wasser. Nein, ungesund ist das nicht. Vom Fasten befreit sind alte Menschen, Kranke, Schwangere und Stillende, Kinder bis zur Pubertät und Reisende.  

Jedes Jahr fasten um die fünf Millionen Muslime in Deutschland, das besagt eine Studie des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2020. Am kommenden Freitag geht der Ramadan in diesem Jahr zu Ende, er endet mit dem Zuckerfest. Ich faste jedes Jahr. In einer mehrheitlich nicht-muslimischen Gesellschaft ist das jedoch nicht immer ganz einfach. Ich erinnere mich nicht an ein einziges Gespräch aus der Schule, der Uni oder dem Berufsalltag zum Thema Ramadan, nach dem ich mich nicht wie von einem komplett anderen Planeten gefühlt habe. Während Heilfasten und Intervallfasten auf Instagram omnipräsent sind und es ganz normal ist, sich „zum Entschlacken“ fünf Tage von teuren Säften zu ernähren, wird das religiöse Fasten oft direkt mit den Worten „das könnte ich niemals“ kommentiert. Einmal stand ich in einer Runde mit einigen deutschen weißen Männern, die mir mit Zigarette in der Hand erklärten, wieso das Fasten ungesund sei. Dabei hat das religiöse Fasten, also der komplette Verzicht auf Essen und Trinken für eine bestimmte Anzahl an Stunden, genauso wie andere Arten des Fastens auch, viele medizinische Vorteile, das zeigen Studien.   

Während des Ramadans klingelt mein Wecker um halb fünf Uhr morgens, noch vor dem Sonnenaufgang, besonders leise, damit mein einjähriger Sohn nicht wach wird. Bis es hell wird, versuche ich noch etwas zu essen und viel Wasser zu trinken. Denn zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang heißt es: kein Essen und kein Trinken. Das ist zur Mittagszeit auf der Arbeit gar nicht so einfach. Während die Kolleg:innen genüsslich essen, schauen mich viele von ihnen mitfühlend an und fragen, ob das vor mir „denn wirklich okay wäre“. Ja, ist es.  

Zu keiner anderen Zeit im Jahr schätze ich es mehr, nette Menschen um mich herum zu haben

Der Ramadan verändert jedes Jahr aufs Neue die Art und Weise, mit der ich auf die Welt schaue. Ich merke, wie viel Zeit ich plötzlich habe. Verrückt, wie oft ich in meinem Alltag den Kühlschrank öffne und schließe. Jedes Jahr wird mir aufs Neue bewusst, wie gut es mir in so einem wirtschaftsstarken Land wie Deutschland geht. Die Ramadanzeit macht mich dankbarer. Denn nichts ist vergleichbar mit dem ersten Biss und dem ersten Schluck, den man nach dem Fastenbrechen zu sich nimmt. Manchmal stutze ich darüber, wie selbstverständlich ich das ganze restliche Jahr davon ausgehe, jeden Tag zwei warme Mahlzeiten zu mir zu nehmen. Und ich achte mehr darauf, was ich eigentlich alles essen kann: Während meine Großeltern in Pakistan ihr Fasten jeden zweiten Tag mit derselben Mahlzeit brechen, habe ich das Privileg, von Biryani bis Pizza alles Mögliche zu essen. Doch wenn ich ehrlich bin, steht gar nicht das Essen im Mittelpunkt sondern die Gemeinschaft. Jeden Abend bereiten wir gemeinsam in der Küche die Mahlzeiten vor, überbrücken die letzte halbe Stunde durch Spiele oder etwas Sport, um dann besinnlich mit Einbruch der Dunkelheit das Fasten zu brechen. Zu keiner anderen Zeit im Jahr schätze ich es mehr, Menschen um mich herum zu haben. Ramadan, das sind auch die kurzen Spaziergänge am Abend, das gemeinsame nächtliche Gebet in der Moschee und die tiefgründigen Gespräche mit den Geschwistern beim Mitternachtssnack. Eine besondere Zeit, die von Muslim:innen weltweit jedes Jahr sehnsüchtig erwartet wird. 

Trotzdem fehlt mir beim Fasten im christlich geprägten Deutschland auch vieles. Während mir meine Familie in Pakistan über einen Videocall ihre Ramadan-Dekoration und ihre besondere Beleuchtung zeigt, freue ich mich in Deutschland schon darüber, wenn ich beim Einkaufen auf Medjool-Datteln stoße – das sind besonders große, nährstoffreiche Datteln, mit denen wir oft am Abend das Fasten brechen. Dabei geht es auch anders: In London zum Beispiel leuchteten dieses Jahr für den Fastenmonat Ramadan zum ersten Mal goldene Sterne, Halbmonde und typische Fanoos-Laternen, umrahmt von hellen Lichterleuchten, über den Straßen im Londoner Stadtteil West End.   

Es ist schön, wenn nicht-muslimische Menschen ein echtes Interesse an religiösen Praktiken haben

Erst kürzlich erzählte mir mein jüngerer Bruder, in seiner Schule sei über Lautsprecher durchgesagt worden, dass während des Ramadan in der Schule nicht gebetet werden solle. Ich würde mir wünschen, dass Muslim:innen in der Ramadan-Zeit neben dem Durst und Hunger nicht auch noch gegen das Unverständnis in einem großen Teil der Gesellschaft ankämpfen müssen. Statt in der Schule schweißtreibenden Sport machen zu müssen und auf der Arbeit die immer gleichen Fragen beantworten zu müssen, würde ich mich freuen, zu Beginn der Fastenzeit ein „Ramadan Kareem“ zu hören. Ich erwarte gar nicht viel. Es ist schön, wenn nicht-muslimische Menschen ein echtes Interesse an religiösen Praktiken haben und aus Neugier ein Gespräch beginnen. Die Aussage: „Ah, zurzeit ist ja Ramadan“ reicht manchmal schon, damit Fastende sich willkommen fühlen – und nicht wie vom anderen Stern. Nicht selten enden diese Gespräche beim gemeinsamen Fastenbrechen, mit Cay und Baklava. 

Kultur wird durch Menschen gemacht und ständig neu erschaffen. In diesem Jahr haben sich die christliche und muslimische Fastenzeit sogar überschnitten. Diese gemeinsame Zeit der Rückbesinnung und Spiritualität hat einen großen Mehrwert für die Gesellschaft. Man könnte sie nutzen, um sich auf die Gemeinsamkeiten der Religionen zu fokussieren. So selbstverständlich wie das „Frohe Ostern“ kann auch zu Ramadan ein herzliches „Ramadan Kareem“ gewünscht werden. Und wenn am kommenden Freitag der Ramadan endet und alle Fastenden das Zuckerfest feiern, freuen wir uns sehr über ein „Eid Mubarak“.   

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