- • Startseite
- • Politik
-
•
Querdenken in Leipzig: Journalist:innen sprechen über Gewalt gegen Presse
„Ich hatte Gewalt erwartet. Aber das war eine neue Dimension“
„Lügenpresse“ und „Staatsfunk“ – diese Beschimpfungen gehören zu rechten Demos ebenso dazu wie zu vielen Kundgebungen der sogenannten „Querdenker“, die gegen die Beschränkungen während der Corona-Pandemie demonstrieren. So auch am Wochenende in Leipzig, wo sich Schätzungen zufolge insgesamt etwa 45 000 Menschen versammelten. Darunter auch zahlreiche Rechtsextreme und Neonazis, die, wie auch der Großteil der restlichen Demonstrierenden, aus dem gesamten Bundesgebiet nach Leipzig angereist waren.
Die Kundgebung in der Leipziger Innenstadt wurde am Nachmittag wegen nicht eingehaltener Auflagen von der Polizei aufgelöst, vorbei war es dann aber noch lange nicht. Es kam zu zahlreichen gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei, aber auch zu Gewalt gegenüber Journalist:innen. Auf Twitter berichteten zahlreiche Pressevertreter:innen von Übergriffen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union sprach am Montag von mindestens 38 körperlichen Angriffen auf Journalist:innen, neun davon durch die Polizei. „Im Vergleich etwa zu den Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin haben wir eine völlig neue Dimension beobachtet, was das Ausmaß der Gewalt betrifft“, sagte Sprecherin Tina Groll.
Sie kritisierte das Verhalten der Polizei: „Die Polizistinnen und Polizisten sind ihrer Aufgabe, die Pressefreiheit durchzusetzen und Journalistinnen und Journalisten zu schützen, nicht nur nicht nachgekommen. Sie haben diese zum Teil selbst an ihrer Arbeit gehindert“, so Groll. Auch Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die Vorgänge am Wochenende scharf: „Die Verursacher: in erster Linie Nazis und Querdenker, dann aber auch Polizisten, die mit abstrusen Begründungen versuchten, Berichterstattung zu verhindern.“ Sachsens Innenminister Wöller sprach bei einem Pressestatement am Sonntag von einem „friedlichen Verlauf der Demonstration“.
„Wir kennen den Vorwurf des DJV“, sagt ein Sprecher der Polizei Sachsen am Dienstagnachmittag auf Nachfrage von jetzt am Telefon. Ihm seien allerdings nur zwei Fälle bekannt. Einer habe sich auf dem Gelände des Hauptbahnhofs ereignet und befinde sich somit in der Zuständigkeit der Bundespolizei. Der andere werde derzeit geprüft. „Es ist uns ein großes Anliegen, dass Journalisten ihre Arbeit ordentlich machen können“, betont er weiter. Die Taktik der Polizei werde derzeit ausgewertet und gegebenenfalls beim nächsten Demonstrationsgeschehen angepasst. „Für uns wird Kommunikation und Deeskalation immer die Strategie der Wahl sein.“
Wir haben bei denen nachgefragt, um die es in dieser Frage geht: Journalist:innen, die am Samstag auf der Demo waren.
„Ich hab an dem Tag nur Prellungen und Schürfwunden abbekommen, aber das ist auch schon zu viel“
Tim Mönch arbeitet als freier Journalist vor allem für Belltower News, ein journalistisches Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung. Er beobachtet die extreme Rechte schon lange. Um seine Persönlichkeit so gut wie möglich zu schützen, möchte er hier weder sein Alter nennen noch ein Foto zeigen.
„Was da am Samstag in Leipzig passiert ist, war nur die logische Konsequenz aus den vorangegangen großen Querdenker-Demonstrationen. Freie und ungehinderte Berichterstattung ist dort ohnehin schwierig. Es ist manchmal unmöglich, das Geschehen zu dokumentieren, weil man behindert oder bedroht wird. Von Demo zu Demo ist es aber schlimmer geworden. Dadurch, dass die Polizei schon die großen Demos in Berlin schwach begleitet hat, entsteht bei den Demonstrierenden ein Machtgefühl. In diese Stimmung hinein kommen Neonazis ganz gezielt, um Jagd auf Journalist:innen zu machen.
In Leipzig jedenfalls kam es schon am Mittag zu Gewalt gegenüber Journalist:innen, als sich die organisierte Neonazi-Szene am Bahnhof getroffen hat, um dann Richtung Demo zu laufen. Es waren etwa zwölf Pressevertreter:innen vor Ort, um das zu dokumentieren. Der Braunschweiger Neonazi Pierre Bauer kam immer wieder bedrohlich auf Journalist:innen zu und drohte ihnen Gewalt an. Als sich ein Kollege vor ihn stellte, riss Bauer ihn zu Boden. Die Polizei ist schnell eingeschritten. Doch dann wollte die Bundespolizei unsere Personalien aufnehmen und uns nicht arbeiten lassen, weil wir dort wegen des Hausrechts der Bahn angeblich nicht hätten filmen dürfen. Fakt ist: Wenn dort ein sogenanntes Demonstrationsgeschehen stattfindet, dann gilt dieses Verbot nicht. Das wurde im Nachhinein dann auch revidiert – hat uns in dem Moment aber nicht genutzt, da wir ständig in unserer Arbeit behindert wurden.
Danach blieb es bis 16 Uhr recht friedlich, auch wenn es immer wieder zu Bedrohungen gegenüber Journalist:innen kam. Dann wurde die Versammlung aufgelöst. Zeitgleich hat sich aus der Neonazi-Gruppe ein Protestzug formiert und ist in Richtung Hauptbahnhof gelaufen, den hatte die Polizei nicht unter Kontrolle. Die Gruppe war sehr aggressiv, viele Demonstrierende haben sich ihnen angeschlossen. Es gab Übergriffe auf Journalist:innen, ich wurde von einem Neonazi zu Boden gestoßen, bin dann schnell wieder hoch.
Ich habe an dem Tag nur Prellungen und Schürfwunden abbekommen, aber das ist auch schon zu viel. Ich möchte keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit fordern, aber es braucht ein klares Konzept, die Auflagen durchzusetzen und einen Plan, was man tut, wenn sich Demonstrierende nicht dran halten. Das, was passiert ist, hat jede*r kommen sehen können. Auch nach der Auflösung einer Demo müssen Journalist:innen und der Gegenprotest geschützt werden.
Das Konzept der Polizei – Deeskalation und Kommunikation – funktionierte einfach nicht. Wenn man Auflagen durchsetzen will, indem man an den gesunden Menschenverstand appelliert, die Teilnehmer:innen aber vorher schon ankündigen, gezielt gegen die Auflagen zu verstoßen, dann kann das nicht klappen. Dass Innenminister Wöller und Ministerpräsident Kretschmer in ihrem Pressestatement am Sonntag kein Wort zu der Gewalt verloren haben, war ein Schlag ins Gesicht aller Pressevertreter:innen, die am Wochenende da waren.“
(Anm. d. Red: Die Bundespolizei war zu einer Rückfrage zur geschilderten Situation am Hauptbahnhof am Dienstag bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.)
„Es gibt den Auftrag der Presse, zu berichten und den Auftrag der Polizei, das zu ermöglichen“
Sarah Ulrich, 28, arbeitet als Landeskorrespondentin für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für die taz.
„Das Erschreckende waren die erstmal ganz normal scheinenden Leute, die keine offensichtlichen Neonazis waren: Familien, jüngere Leute, Senior:innen. Klar, die meisten von ihnen haben keine Flaschen geworfen und niemanden niedergeprügelt. Aber sie haben das, was passiert ist, mitgetragen. Sie haben sich nicht abgegrenzt. Als die Polizeikette durchbrochen wurde, waren das Neonazis und Querdenker Hand in Hand.
Ich war auch 2018 in Chemnitz, als es dort zu rechten Ausschreitungen kam. Der Unterschied ist aber: Da hat die Polizei die Leute klar in Schach gehalten. Jetzt, am Samstag, gab es einen Moment, in dem wir Journalist:innen keinen Ausweg gesehen haben: Vor dem Leipziger Hauptbahnhof ist eine große Kreuzung. Die Demo-Teilnehmenden sollten abreisen, aber das wollten sie natürlich nicht. Wir Medienvertreter:innen standen alle in der Mitte, um uns herum ein Kreis aus Polizist:innen. Um diesen Kreis herum eine sehr aggressive Masse an Leuten, die uns angefeindet haben. Wir wurden immer wieder heftig beschimpft, als „Lügenpresse“, als „Medienf*tzen“. Und wir konnten nicht raus. Es war nicht möglich, uns sicher da rauszubringen. Das war Wahnsinn. Ich hatte Gewalt erwartet. Aber das war eine neue Dimension.
Meine Befürchtung ist, dass sich der Protest weiter radikalisiert und dass die sogenannte Querdenken-Bewegung gleichzeitig anschlussfähig bleibt und mehr Menschen mitzieht. Denn durch das fehlende Einschreiten der Polizei und die fehlende Positionierung der Politik fühlen sich die Menschen legitimiert. Also wird für die Presse die Bedrohungslage weiter steigen.
Die Polizei hat immer wieder zu uns gesagt: ,Sie müssen ja hier nicht stehen.‘ So, als wäre man selbst schuld. Das geht gar nicht. Es gibt in Deutschland die Pressefreiheit. Es gibt den Auftrag der Presse, zu berichten und den Auftrag der Polizei, das zu ermöglichen. Die Ansicht, dass wir uns selbst freiwillig in eine gefährliche Situation begeben würden, die wir ja auch einfach wieder verlassen könnten, führt dazu, dass Gewalt weiter legitimiert wird. Die Coronaleugner:innen haben ja ohnehin ein schlechtes Verhältnis zu den Medien. Für viele von ihnen sind wir sogenannte ,Staatsmedien‘.
Die Aussage von Roland Wöller hat mich angesichts vorheriger Statements nicht überrascht, schockierend und sehr bedenklich ist sie dennoch. Ich erwarte von einem Innenminister, dass er sich ganz klar gegen diese Gewalt positioniert. Das passiert überhaupt nicht.
Was auch problematisch ist: Es gab immer wieder Momente, in denen die Polizei unsere Presseausweise nicht anerkannt hat und uns durch Absperrungen nicht durchgelassen hat. Wenn man sich aber etwas informiert – und das sollte passieren, wenn man als Polizist*in eine solche Demo begleitet – dann weiß man, dass für Journalist*innen bei Demos andere Regeln gelten als für Nicht-Journalist:innen. Ich fordere, dass sich die Polizei intensiver damit auseinandersetzt, welche Rechte Medienvertreter:innen auf Demos haben – und dass sie geschützt werden müssen.“
(Anm. d. Red.: Ein Sprecher der Polizei Sachsen sagte dazu auf Nachfrage: „Dass Presseausweise nicht anerkannt wurden oder Kollegen zu Journalisten sagten, sie müssten da ja nicht stehen, ist uns nicht bekannt, wir können aber nicht ausschließen, dass das passiert ist. Es ist uns wichtig, unsere Beamten so gut wie möglich zu schulen, was den Umgang mit der Presse angeht. Es ist uns ein Bedürfnis, Pressefreiheit zu gewährleisten.“)
„Ein Helm gehört bei bestimmten Demos zum festen Bestandteil meiner Ausrüstung, auch bei den Querdenken-Demos“
Julius Geiler, 22, war für den Tagesspiegel auf der Demo:
„Ich bin bei vielen Demos der extremen Rechten und auch der Linken, aber sowas wie am Wochenende in Leipzig habe ich noch nie erlebt. Ich stand daneben, als ein Fotograf von Sven Liebich, einem bekannten Rechtsextremen aus Halle und dessen Gefolgschaft vor den Augen der Polizei zusammengeschlagen wurde. Die ist dann zwar dazwischen gegangen, aber da war es eben schon passiert. Später stand ich mit drei Kollegen in einem Hofeingang, da kam eine Gruppe von etwa 100 Hooligans auf uns zugerannt, warum, wissen wir nicht genau. Da sind wir nur noch weggelaufen und haben uns in die Demo gemischt.
Das Statement von Wöller und Kretschmer hat mich am Sonntag sehr geschockt. Es zeigt, dass es wichtig ist, dass wir ungestört arbeiten können, um die Realität zu dokumentieren. Es ist klar, dass die Polizei nicht alle Pressevertreter:innen davor schützen kann, angegriffen zu werden. Aber wenn Presse angegriffen wird, dann muss die Polizei schnell handeln. Und der Angreifer muss dann auch mit einer Strafe rechnen.
Ein Helm gehört bei bestimmten Demos jedenfalls zum festen Bestandteil meiner Ausrüstung, auch bei den Querdenken-Demos. Das rettet einfach Leben, wenn man damit rechnen muss, dass Steine oder Flaschen fliegen, wie es in Leipzig auch der Fall war. Außerdem bewege ich mich nur in Gruppen, bin immer mit mehreren Kolleginnen und Kollegen zusammen. Es gab auch am Wochenende wieder einige Situationen, wo wir uns zu mehreren in eine Ecke gedrängt haben, weil die Stimmung so aggressiv war.
Was auch immer problematischer wird: Immer mehr Menschen, die auf diese Demos gehen, drucken sich einfach selbst Presseausweise – und die Polizei glaubt ihnen. Die Polizei ist nicht ausreichend geschult, einen echten, validen Presseausweis zu erkennen. Da sehe ich die Politik in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Beamten Workshops und Seminare bekommen. Dieses Phänomen erlebe ich seit dem Anfang der Querdenken-Demos, aber das nimmt immer mehr zu. Das ist eine Taktik der Szene, um durch Polizeiabsperrungen zu kommen, in den Telegram-Gruppen wird dazu aufgerufen.
Die Demo reiht sich ein in eine Vielzahl von Querdenken-Demos, die mehr oder weniger eskaliert sind. Was in Leipzig passiert ist, war aber die Spitze. Für mich kam das alles nicht überraschend, es war klar, dass es zu Gewalt kommt, denn es hatten NPD-Kader und rechtsextreme Hooligans aus ganz Deutschland aktiviert. Ich dachte, es wird mindestens so schlimm wie am 29. August in Berlin, als versucht wurde, in den Reichstag reinzukommen. Es wurde schlimmer, ganz klar.
Meiner Meinung nach war nicht zu wenig Polizei vor Ort, es gab sogar Wasserwerfer und Panzer. Aber die Strategie der Polizei war falsch. Es wurde immer versucht, zu kommunizieren und zu deeskalieren, aber irgendwann war einfach klar, dass das nicht funktioniert. Die Polizei selbst wurde ja auch angegriffen.“
(Anm. d. Red.: Ein Sprecher der Polizei Sachsen sagte dazu auf Nachfrage: „Dass Beamte Menschen mit gefälschten Presseausweisen durch Absperrungen gelassen haben, ist uns nicht bekannt, wir können aber nicht ausschließen, dass das passiert ist. Es ist uns wichtig, unsere Beamten so gut wie möglich zu schulen, was den Umgang mit der Presse angeht. Es ist uns ein Bedürfnis, Pressefreiheit zu gewährleisten.“)