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Abtreibungsverbot in Polen: Protest gegen eine übermächtige Regierung
Krakau ist derzeit Corona-Hotspot, in der Öffentlichkeit müssen Masken getragen werden, Bars und Restaurants sind ab 21 Uhr geschlossen, Versammlungen von mehr als zehn Personen verboten. Trotzdem haben sich am vergangenen Donnerstagabend Hunderte Menschen vor dem Krakauer Büro der Regierungspartei PiS versammelt. „Solidarität ist unsere Waffe“, rufen die jungen Frauen und Männer, die Corona-konform Abstand zueinander halten. Eine Reihe von Kerzen schlängelt sich über den Platz. Ihr Licht könnte Wärme und Besinnlichkeit ausstrahlen – doch besinnlich ist an diesem Abend nichts, die Stimmung ist aufgebracht. Der Grund für die spontane Demonstration: Das polnische Verfassungsgericht hat entschieden, Abtreibungen faktisch zu verbieten. Immer mehr Mannschaftswagen der Polizei fahren auf der Straße neben der Demonstration auf und ab, über dem Platz fliegt ein Helikopter. Polizist*innen laufen durch die Menschenmenge und nehmen die Personalien der Demonstrierenden auf.
„Ich bin so wütend und möchte weinen“
Das tiefkatholische Polen hatte schon vor dem Beschluss eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Eine Schwangerschaft durfte man nur in drei Fällen beenden: Wenn die Ursache eine Vergewaltigung war, wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet ist – oder wenn absehbar ist, dass das Kind mit starken Fehlbildungen geboren wird, schwer krank oder nicht lebensfähig ist. Das Verfassungsgericht hat nun entschieden, dass dieser letzte Fall kein Grund mehr für eine Abtreibung ist: Das Recht auf Leben wiege schwerer.
Kate hat den Krakauer Protest anlässlich des Abtreibungs-Urteils iniziiert.
Die Demonstrierenden haben Kerzen vor dem Krakauer Büro der Regierungspartei PiS aufgestellt.
Kate ist die Initiatorin des abendlichen Protests, auch wenn sie sich selbst nicht so sieht: „Ich habe nur meinen Lautsprecher genommen und hier aufgestellt.“ Sie ist Teil der „Strajk Kobiet“-Bewegung („Frauenstreik“-Bewegung), und organisiert seit langem Demonstrationen für die Abtreibungsrechte in Polen. „Heute sind wir hier, weil wir alle dasselbe fühlen. Wir müssen einfach hier sein. Heute gibt es keinen Organisator.“
Auch wenn Kate mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts gerechnet hat, kann sie es nicht fassen: „Ich bin so wütend und möchte weinen.“ So geht es auch dem demonstrierenden Mikołaj: „Meine Gefühle sind alle durcheinander geraten. Die Situation ist wirklich übel.“ Übel findet Mikołaj auch die anhaltenden Kontrollen durch die Polizei bei Pro-Choice-Demos. „Noch vor ein paar Wochen habe ich mich sicher gefühlt, wenn die Polizei in meiner Nähe war. Jetzt beunruhigt mich die Situation. Ich weiß nicht, was passieren wird, man kann sich nicht sicher sein, wie sich die Beamt*innen verhalten werden. Mit jedem Tag werden wir mehr zu einem Polizeistaat.“ In Krakau blieb es an diesem Abend friedlich, doch in Warschau trieb die Polizei die Demonstrierenden mit Pfefferspray und unter Anwendung von körperlicher Gewalt auseinander.
Im europaweiten Vergleich gibt es schon jetzt offiziell nur wenige Schwangerschaftsabbrüche in Polen. 2019 wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Polen 1100 Abtreibungen durchgeführt – 1074 davon auf Basis der Rechtsgrundlage, die es nun nicht mehr gibt. Zum Vergleich: Im selben Jahr gab es in Deutschland, wo etwas mehr als doppelt so viele Menschen leben, laut Statistischem Bundesamt mehr als 100 000 Abtreibungen.
Wer es sich leisten kann, treibt im Ausland ab
Die Demonstrantin Sandra hat „Mangel an Abtreibungen tötet“ auf ihr Plakat geschrieben. Neben den Spruch hat die 20-jährige Studentin einen Kleiderbügel aus Draht geklebt. Der Bügel ist eine Warnung: Nur weil Frauen nicht die Möglichkeit haben, legal abzutreiben, heißt dass nicht automatisch, dass es keine Abtreibungen mehr gibt. „Ich müsste einen Haushaltsgegenstand benutzen, um abzutreiben, etwa einen Löffel“, sagt Sandra.
Aktivist*innen gehen davon aus, dass es deutlich mehr Abtreibungen gibt, als offiziell registriert werden. Laut verschiedener Frauenrechtsorganisationen treiben etwa 100 000 Pol*innen jedes Jahr ab. Wer es sich leisten kann, fährt ins Ausland: nach Deutschland, Tschechien oder in die Slowakei.
Wie viele andere Demonstrierende fürchtet Sandra, dass Frauen zu gefährlichen Mitteln greifen müssen, wenn ihnen eine legale Abtreibung verwehrt wird.
Der schwarze Regenschirm auf Mikołajs Plakat wurde 2016 zum Symbol der Bewegung.
Die Polizei nimmt die Personalien der Demonstrierenden auf.
Unter den Demonstrant*innen vor dem Parteibüro sind auch viele Männer. „Es ist unglaublich wichtig, Frauen bei diesem Thema zu unterstützen. Wir müssen aufhören, im Mittelalter zu leben“, sagt Mikołaj, der ein Plakat mit einem schwarzen Regenschirm hält. Der schwarze Schirm wurde 2016 zum Symbol der Bewegung, als die PiS-Partei zum ersten Mal versuchte, Abtreibungen zu verbieten. Damals gingen aus Protest Hunderttausende Frauen in schwarzer Kleidung und mit Regenschirm auf die Straße. Das Parlament stimmte daraufhin gegen eine Verschärfung des Verbots.
Protest in Autokorsos und Warteschlangen
Im Frühjahr 2020 startete die wiedergewählte PiS-Partei einen neuen Versuch. Die Situation war günstig: Durch das Coronavirus gab es in Polen zahlreiche Einschränkungen, Demonstrationen wie die am „Schwarzen Montag“ 2016 waren unmöglich. Womit die Politiker*innen nicht gerechnet hatten: Die Abtreibungsunterstützer*innen demonstrierten trotzdem. „Wir mussten nur etwas kreativer werden, mit Autokorsos oder mit Warteschlangenprotesten vor Einkaufszentren“, sagt die Studentin Lena.
Lena protestierte bereits, als das Urteil des Verfassungsgerichts noch nicht gefallen war.
Sie demonstriert am Abend vor der Entscheidung des Gerichts mit etwa hundert anderen Menschen auf dem Krakauer Marktplatz. An diesem Abend ist noch alles offen – und doch befürchten die Demonstrant*innen bereits, dass es anders ausgehen wird, als sie sich es wünschen würden. Trotzig klemmen sie Sticker in ihre Fahrradspeichen, schwenken Regenschirme mit Slogans und lauschen den Reden der Sprecher*innen, die zwischen den Häusern widerhallen. Zwischen den Wortbeiträgen dröhnt das Lied „Polska ABCiD“ aus den Boxen. „Lass mich ich sein, lass mich leben“, singt die polnische Sängerin Maria Peszek. „Ich finde es widerlich, dass wir dafür immer noch dafür kämpfen müssen. Ich wäre heute viel lieber irgendwo anders, statt hier für Menschenrechte zu demonstrieren“, sagt Vera. Sie hat sich einen schwarzen Blitz auf die Wange gemalt, das Zeichen der diesjährigen Proteste.
Ein Kampf für den Glauben
In den Kirchen Krakaus lagen Tage vor der Entscheidung Heftchen aus, die zu einem neuntägigen Gebetsmarathon aufriefen. Die Kirche hoffte auf Unterstützung von ganz oben, damit das Verfassungsgericht sich für das Verbot ausspricht. Winzige Babyfüßchen sind auf der Broschüre zu sehen, dazu ein Foto des verstorbenen Papstes Johannes Paul II., der in Krakau immer noch viele Anhänger*innen hat. Im Text schreibt die polnische Pro-Life-Bewegung von der Gerichtsentscheidung als einer „zivilisatorischen Chance für unser Heimatland“.
Die Mehrheit der polnischen Bevölkerung steht nicht hinter dieser Ansicht der Kirche. Eine Befragung des Public Opinion Research Centre ergab 2016, dass gut drei Viertel der Pol*innen gegen schärfere Abtreibungsgesetze sind. Kritiker*innen sagen, dass die PiS-Partei das Verfassungsgericht bei der Entscheidung über das Abtreibungsrecht vorschicke, um sich keine Sympathien beim Volk zu verspielen. Die rechtswidrig bestimmte Präsidentin des Verfassungsgerichts, Julia Przylębska, trifft sich laut Medienberichten regelmäßig mit der Regierungsspitze. Auch andere Verfassungsrichter*innen gelten als nicht unabhängig.
Schwangerschaftsabbrüche sind für die konservativen Politiker*innen längst zu einem persönlichen Glaubenskampf geworden. Jarosław Kaczyński, Parteivorsitzende der PiS, sagte, er sei selbst dann gegen eine Abtreibung, wenn der Tod des Kindes gewiss sei, damit dieses getauft und beerdigt werden könne.
„Es ist mein Körper, meine Entscheidung – nicht die von Jarosław Kaczyński“, sagt Kate bei den Protesten vor dem Büro der PiS-Partei. Sie greift zum Mikrofon und spricht energisch zu den Demonstrant*innen. Auf einem Banner hinter ihr zeigt ein Eierstock den Mittelfinger. Aufgeben wird Kate nach der Entscheidung des Gerichts nicht: „Wir werden weiter protestieren, jedes Jahr. Das ist unser Land.“