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„Knast wird durch die vielen Kleinigkeiten erst fies“

Fotos: Gregor Fischer, dpa / freepik / Collage: jetzt

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Die Studentin Julia Pie* war freiwillig zwei Wochen im Gefängnis. Weil sie im Herbst 2016 einen Tortenboden mit Rasierschaum auf die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch geworfen hatte, sollte sie eine Geldstrafe von 150 Euro bezahlen. Stattdessen ging die Informatikstudentin freiwillig in den Knast. Seit Sonntag ist sie wieder draußen. Wir haben mit ihr über ihre Erfahrungen im Gefängnis gesprochen.

jetzt: Julia, du warst fast zwei Wochen im Knast und bist seit dem 18. Februar wieder draußen. Wie hast du die Tage rumgebracht?

Julia Pie: Ich habe sehr viel Zeit in der Zelle verbracht, habe viel gelesen und für meine Klausuren gelernt. Und ich habe einen Blog über meine Erfahrungen geschrieben.

Einen Blog? Hattest du Internet?

Nein, natürlich nicht! Ich habe Briefe an meine Freunde geschrieben und die haben sie dann abgetippt und ins Netz gestellt. Darin habe ich darüber geschrieben, wie mein Alltag so aussah, was ich mit anderen inhaftierten Frauen erlebt habe und warum ich Knäste nicht für sinnvoll halte.

Wie warst du untergebracht?

Das kann man sich vorstellen wie eine billige Jugendherberge – nur eben mit Gittern vor dem Fenster. Ich hatte eine Einzelzelle, das war ein relativ kleiner Raum, vielleicht acht Quadratmeter groß. Darin standen ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch. Ich hatte keinen Kontakt zur Außenwelt, konnte aber zwischendurch manchmal telefonieren – zu völlig überteuerten Preisen, eine Minute kostet da 25 Cent. Und ich konnte Briefe schreiben und bekommen. Allerdings werden die im Gefängnis auch überprüft, was dazu führte, dass so ein Brief oft vier Tage unterwegs war, bevor ich ihn bekommen habe.

Anlass für deine zwei Wochen im Gefängnis war dein Tortenwurf auf die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch im Herbst 2016. Warum hast du die Torte geschmissen?

Ich sehe den gesellschaftlichen Rechtsruck als klares Problem, aber die Argumente der AfD kann ich nicht ernst nehmen. Durch ihre Äußerungen disqualifizieren sie sich selbst für vernünftige Diskussionen. Die haben unter anderem gefordert, an Grenzen auf Flüchtlinge zu schießen. So ein Tortenwurf ist bestens dafür geeignet, die Lächerlichkeit dieser Menschen zu zeigen. Ich finde es wichtig, über die AfD zu reden, aber nicht mit ihr. Anders kann man denen nicht begegnen, finde ich.

Du hast deinen Gang ins Gefängnis damit begründet, dass du nicht einsiehst, für legitimen Widerstand Geld zu bezahlen. Was meinst du damit?

Ich denke, gerade in der heutigen Zeit ist kreativer Widerstand sehr wichtig – eben so etwas wie mit der Torte. Ganz allgemein halte nicht viel von Gerichten oder Gefängnissen. Ich glaube nicht daran, dass Strafen oder Knast helfen, die Gesellschaft besser zu machen. Insofern war ich auch nicht bereit, die Geldstrafe zu bezahlen.

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Julia Pie* vor dem Haftantritt, der von Solidaritätsbekundungen begleitet wurde.

Bild: Hanna Poddig

Lehnst du den deutschen Rechtsstaat wirklich ab?

Ja, ich lehne den deutschen Rechtsstaat komplett ab. Rein historisch betrachtet waren einige der grausamsten Dinge durch Gesetze legitimiert. Vieles, was zum Beispiel die Nazis getan haben, war gesetzlich festgelegt. Das kann man nicht eins zu eins mit der heutigen Zeit vergleichen, aber es zeigt doch, dass Rechtsstaat nicht per se etwas Gutes ist. Was meine Ablehnung des Rechtsstaats aber klar von der Ablehnung durch die Nazis unterscheidet, ist, dass ich mir Herrschaftsfreiheit und keine diktatorische Selbstjustiz wünsche. Ich möchte, dass Menschen Probleme und gesellschaftliche Konflikte einvernehmlich lösen, und nicht, dass diejenigen mit mehr Macht ihre Vorstellung von Gesellschaft allen anderen aufdrücken können.

„Es ist gar nicht so unüblich, dass bei niedrigen Strafgeldern Leute in den Knast kommen“

Das Urteil war relativ milde, du solltest eine Geldstrafe von 150 Euro bezahlen. Und auch das kam erst zustande, nachdem du Einspruch gegen den Strafbefehl erhoben hattest. Was war deine Motivation, dich dagegen zu wehren?

Ursprünglich hatte ich einen Strafbefehl über 800 Euro bekommen, gegen den ich Einspruch erhoben habe. Mit so einem Strafbefehl wird versucht, Menschen ohne Prozess zu verurteilen. Aber ich wollte den Prozess – und den auch als Bühne für AfD-Kritik nutzen. Was ich dann auch getan habe. Dann kamen irgendwann die Mahnungen, mit denen ich erst gebeten wurde, die Strafe zu zahlen, irgendwann wurde ich dann gemahnt, zu zahlen, und dann kam am Ende die Haftladung. Es ist übrigens gar nicht so unüblich, dass bei so niedrigen Strafgeldern Leute in den Knast kommen.

Wieso?

Weil sie zum Beispiel bei einem Diebstahl erwischt wurden oder beim Schwarzfahren. Denn für die sind auch solche geringen Summen ein echtes Problem. Auch darauf wollte ich mit meiner Aktion aufmerksam machen: dass das System Menschen anders bestraft, je nachdem, ob sie Geld haben oder nicht. Daran zeigt sich auch deutlich, dass Knast nicht dabei hilft, dieses Problem zu lösen. Denn durch die Haftstrafe haben die Menschen ja nicht plötzlich das Geld für das Bahnticket. Im Gegenteil: Viele verlieren durch die Haft ihre Wohnung oder ihren Job.

War es für dich eine große Überwindung, in Haft zu gehen?

Ich hatte die Entscheidung relativ schnell gefasst – auch aus dem Gefühl heraus, dass andere Leute die Möglichkeit nicht haben, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Die haben nicht die Unterstützung, die ich habe. Ich hatte viele Leute, die mich darin bestärkt haben und die auch zum Teil ganz praktische Sachen für mich übernommen haben: Manche haben meine Briefe abgetippt, andere haben meine Besuche koordiniert.

 

Du hattest angekündigt, dass du dich während deines Gefängnisaufenthalts auf deine Klausuren vorbereiten würdest. Ist das Gefängnis ein guter Ort zum Lernen?

Ich konnte nicht so viel lernen, wie ich gerne wollte, weil ich dann doch immer mit anderen Dingen beschäftigt war. Dazu kommt, dass dir der Knast Energie raubt. Und alles, was außerhalb der Wände ist, rückt immer weiter weg. Man denkt sich: Das kann ich alles machen, wenn ich wieder draußen bin.

 

„Ein Wärter hat mich immer wieder angeschnauzt, weil ich barfuß gewesen bin“

 

Warum raubt der Knast Energie?

Ich glaube, es ist einfach dieses Eingesperrtsein und dass man nicht in einem vernünftigen Austausch mit anderen Menschen sein kann. Daraus ziehe ich für mich im Alltag sehr viel Energie. Aber das war während dieser zwei Wochen nicht möglich und das hat mir sehr gefehlt.

 

Hattest du Kontakt zu anderen Häftlingen?

Ja, sogar recht viel. Einmal am Tag war Hofgang und jeden Tag konnte ich Sport machen. Es war auch jeden Tag eine Zeit lang Aufschluss der Zellen. In diesen Stunden sind die Zellen eine Weile offen, dann kann man in den Gemeinschaftsraum gehen oder in die Küche. Man brütet also nicht 24 Stunden am Tag in der Zelle. Ich glaube, Knast wird durch die vielen Kleinigkeiten erst fies. Dass man zum Beispiel nicht selbst über seinen Tagesablauf entscheiden kann oder immer wieder von Wärtern zurechtgewiesen wird. Ein Wärter hat mich zum Beispiel immer wieder angeschnauzt, weil ich barfuß gewesen bin.

 

Bist du jetzt eigentlich automatisch vorbestraft?

Nein. Das ist das Gute an Ersatzfreiheitsstrafen unter 90 Tagen. Wenn man die abgesessen hat, gilt das ausstehende Geld als bezahlt. Das ganze bleibt zwar irgendwo gespeichert, aber es landet nicht in meinem Vorstrafenregister. Aber absurd ist es schon: Ich hätte eigentlich 150 Euro Strafe zahlen müssen – mein Aufenthalt im Knast hat den Staat allerdings gut 2000 Euro gekostet. Da zeigt sich, wie absurd das System ist.

 

*In Wahrheit heißt Julia Pie anders. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.  

 

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